Erst nahmen sie den Bahnhof Zoo, nun nahmen sie TXL – oder: Zivilisationsmarker


Der Bahnhof Zoo, der Flughafen Tegel: Beide waren – wie sich jetzt, da es sie nicht mehr gibt, herausstellt – für mich Aufklärungsindizes, waren Zivilisationsmarker, und sie standen auf einem hohem Niveau.

Und ich hatte das Privileg, mit beiden aufzuwachsen, mit dem Bahnhof Zoo und dem TXL. Und mit Schulunterricht, in dem die Lehrerinnen und Lehrer uns damit ‚triezten‘ (so empfanden wir das damals, aber auch damals schon ahnungsvoll offen für die Triezerei [denn: Wie lustvoll war unser Diskutieren!] – heute bin ich vollends froh drum, kopfschüttelnd ob all der Vergeblichkeit), den argumentativen Standpunkt des Andersdenkenden einzunehmen: dessen Argumente zu suchen und in dessen Haut, dessen Geschichte zu schlüpfen, und seinen Standpunkt erst danach argumentativ zu widerlegen (und das hat funktioniert).
Wir haben erbittert diskutiert.
Oft gab es keinen Kompromiss.
Aber wir haben argumentiert.
Und dabei gelernt, dass die Menschenwelt schwierig bis unmöglich ist, aber nicht auf Menschenverachtung gründen darf.

Der Fernbahnhof Zoo und der Flughafen TXL sind für mich Symbole jener Zeit.

Und sie sind ganz persönliche Glücksmarker:
Am Zoo kam der Lebenmensch so oft an und unzählige Küsse (und am Zoo kam ich so oft an und fühlte mich mit jeder Stufe hinab gen U-Bahn alleiniger auf meinem Weg aus der Pfalz oder am Schluss von Frankfurt aus in meine Wohnstatt). Die Schließung vom Bahnhof Zoo haben wir noch ganz gesund erlebt – und was waren wir da froh, keine Fernbeziehung mehr leben zu müssen. Und doch war auch da schon ein „First they take“-Gefühl.

Die Schließung von Tegel, meinem persönlichen Weg auf die Welt – die erlebe ich jetzt allein (aber ich kann mich erinnern, dass wir zu zweit noch dachten, letztmalig von dort in die Krebsklinik zu fliegen; doch meist fuhren wir mit dem Zug dahin).
Nach dem Tod bin ich noch zwei-, dreimal in den Süden der Republik geflogen, häufiger mit dem Zug gefahren, vom „Hauptbahnhof“ aus, dieser mehrgeschossigen Betongurke mit nicer-dicer-Glaswürfeldach.
Irgendwann – lange vor der aktuellen Massen-Hysterie – habe ich das Reisen aus persönlichen Gründen eingestellt. Und doch ist jetzt, da nun auch Tegel geschlossen worden ist, wieder das „First they take“-Gefühl da.
Und das geht auf diese Weise weiter: And than they take the rest of humanity.

Da hilft auch der Wahl-Sieg eines US-demokratischen Präsidentschaftskandidaten nichts.

Die Menschenwelt ist in den letzten zwanzig Jahren eine mir völlig fremde geworden. Sie hat mit dem, was ich als ihren Kern, was ich als eine humane, eine zivilisierte, eine aufgeklärte Menschenwelt kennengelernt habe, nichts mehr zu tun.
Ich könnte dem Lebensmenschen auch nicht mehr ansatzweise erklären, wie die Menschenwelt jetzt, 10 Jahre nach seinem Tod, beschaffen ist.
Und es gibt seit vielen Jahrzehnten kein zeitgenössisches Buch, keine zeitgenössische Musik, keine aktuellen Gedichte, kein neues Bild mehr, die so etwas wie Zuversicht in des Menschen Menschlichkeit – also in sein von sich persönlich Abstandnehmen – eröffnen.

Wenn ich jetzt nicht sterbe, werde ich also als Zynikerin sterben.

{ Ich sehe Paare. Die in etwa, paar Jahre plus/minus, so alt sind wie ich, wie wir es wären. Die halten jetzt durch. Ich bin allein. Ich hab so gekämpft. So.
So.
Und ich erteile mir immer noch nicht die Erlaubnis. Welcher Teufel treibt mich?}

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