Nullsamkeit

Eine Trauer

für Fio Bernhard Theobald
von Corinna Laude

Immer mal wieder zum Beispiel
ein Raunen im Muschelkalk meiner Knochen,
ein warmer Geschmack auf der Zunge,
ein halber Herzschlag weniger,
ein samtiges Kalottenschmiegen des Hirns,
ein blaues Ziehen im Bauch,
ein Prickeln hinterm Auge,
ein Sonnengleißen über den Lungen,
ein Gehobensein aus meiner Haut,
wenn ich an einen denke.
(2009 im August)
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Gehüllt in den Pfirsichpelz warmferner Haut.
Ein Tag glatten Wassers vertröpfelte träge,
kein Plätschern, kein Gurgeln, kein Ton wurde laut.
Doch jetzt spielt ein Traum auf der blauscharfen Säge

der Nacht, und er tanzt beim Granatapfelbaum
zu Klängen, aus denen Kometen aufblinken.
Von fern, auf dem Pferd mit dem Gischtlitzenzaum,
kommt brandungssanft-bläulich der Reiter zum Trinken.

Ein Schluck meiner Lippen rinnt ihm in den Mund:
Geschmack blauer Lust, verzauberte Zungen –
ich trinke und trinke mich sehnsuchtswund

am Wein seiner Lippen, der warmfernen Haut
– Erinnrung drückt schwer und süß auf die Lungen;
ein Sehnen, das unter dem Augenlid blaut.
(1997 im Mai)
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Schellenengel

Saß feixend auf dem Schrank,
lachte so gern leise hinter den Büchern,
klimperte in all unseren Briefen
und lipschitzte bei jedem unserer Küsse.

Räkelte sich auf der Rückbank,
funkelte selbst noch in benutzten Taschentüchern,
klingelte überall, wo wir liefen,
und schenkte uns so viele Wunschnüsse.

Er ist fortgezogen mit Deinem Sein,
in der Ferne verklingt sein schneller Schellenschritt,
übrig bleiben stille Kälte, leerer Schmerz
und ein tiefer stumpfer Schnitt quer

durch alles, was vor langem mein
Blühen war und jetzt aus dem vertrauten Tritt
geraten ist, aus jeder Spur und allem Vers
– und deshalb wär ich gern am Strand.
(30.12.2010)
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Der Stift

Lag wie oft in Deiner Hand,
glitt über wie viele Blätter?
Hat Buchstaben – meist kleine
augenrunde, sandkornfeine –
notiert und Dein Donnerwetter
über die Idiotie in diesem Land.

Ruhte wie oft an Deiner Schläfe,
tauchte dann wieder ein ins Papier?
Hat Zeichen – meist so reiche,
atemnehmstarke, zungenweiche –
gewebt und all Deine Briefe von Dir
getränkt, dass Dein Segen mich träfe.
(13.01.2011)
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Letzte Stunde

Geschlafen, beieinander.
Den roten Beutel bewacht.
Am Himmel die Krähen
und das Wolkenspiel.

Gelegen, beieinander.
Dem Atem gelauscht.
In der Hand ein Buch
und Deine Finger.

Geträumt, beieinander.
Dein Gesicht betrachtet.
Auf dem Tisch das Essen
und die nächste Infusion.

Hochgeschreckt, allein.
Dich zurückgerufen.
Im Zimmer erst Stille,
dann viele.

Verlöschen, allein.
Dir das Wort gesagt.
In Deinem Auge Wärme
und – was?

Gegangen, allein.
Nichtmehrgehaltensein.
Ins Gesicht ein Regenhieb,
und der Wille fortzuziehen.
(14.01.2011)
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Die Uhr

Am Handgelenk das leise Ticken,
Dir schon viel zu weit geworden,
das schwere Metallarmband rutscht.
Dein Kinderstolz die glatten Kanten,
damals auch viel zu groß gewesen,
wuchsest Du hinein, nun rückwärts heraus.

Am Handgelenk und auf der Hand
die immer noch ungewohnte Schwere,
manchmal Angst, sie zu verlieren
– auch noch. Nach allem
Deine Angst auch: damals den Schlüssel,
und Du Dich fast in diesem Verlust.

Am Handgelenk und um das Herz
den fremden Druck gemessener Zeit,
wessen? Das Ziffernblatt übrigens,
Liebster, ist mir zersprungen bei einem
kleinen Sturz auf dem Weg ins Feld.
Der Sprung ist schön geworden – wenigstens das.
(17.01.2011)
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Momentum

Diestelgrau hangelt die Zeit
sich durch die stille Luft.
Blau ein Mut, schwarzer Saft
rinnt, gerinnt zwischen
den Wimpernschlägen.
Maß des Hier und Seins
– und schon wieder vorbei.

Eingefroren im Loch der Pupille
liegt schwelend der Türknauf,
von den Wimpern beschlagen,
zerwintert rostig die Angel,
ein Schrecken der Laut.
Maß des Hier und Seins
– und schon wieder vorbei.

Gestürzt auf das blakende Licht
zerteilt sich das Ganze.
Schatten schlagen den Rest,
bläuliches Verglimmen,
ein Wimpernzucken noch.
Maß des Hier und Seins,
– und schon wieder vorbei.
(23.01.2011)
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Wenn die Felder nach Sonne dufteten,
nach Erde und schwer,
wenn der Wein allmählich Süße bekam,
Farbe und Klang,
wenn der Regen ein Lachen war,
Kurzweil und zart.

Wenn die Straßen sich tüpfelten
mit blinzelnden Menschen,
wenn der Fahrradreifen auf ihnen
und unter Dir sang,
wenn die Laternen Zelte bauten
in den fruchtigen Nächten.

Wenn der Thymian auf dem Balkon
sich vernehmen ließ,
wenn die Kerze auf dem Tisch
ihre Geschichte erzählte,
wenn die Luft ein Pfirsich war
und alles Gespräch.
(24.01.2011)
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Zettelfunde, Randnotizen:
Silbenwerk, zart hingetuscht,
fällt aus den verborgnen Ritzen,
Falten, Taschen – aufgesucht

in der Zeit der Nullsamkeit.
Stürzen sie vor einen Fuß,
rutschen sie in Hand und Eid,
hört es auf, das ganze Muss.

Marginalien, Hingekritzel:
Liebeswerk, sanft aufgehaucht,
haftet am Papier, dem Schnipsel,
wurd im Portemonnaie verstaut

und gefunden, jetzt nach allem.
Und gelesen und getrunken
– kaum zu sehen, kaum zu atmen –
und in sie hineingesunken.
(30.01.2011)
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Das Messer

„Messer und Männer“ – gelacht,
damals in jenen unzerschnittenen Stunden.
Jetzt der bläuliche Schimmer der Klinge,
die, immer noch scharf, nichts mehr zerteilt.

Flecken, kein Rost – gepflegt
das angelaufene Metall, das noch den Duft
der letzten Zwiebel auf sich trägt,
und ein orientalisches Muster, das nie wieder tanzt.

Der hölzerne Griff – gehalten
von drei goldenen Nägeln, blinde Spiegel
eines vergangenen Abends, fremder Zeit –
passt in keine Hand mehr und ruht dort rundum gut.
(31.01.2011)
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An jenen Strand

Angespült die Muschelscherben. Erinnerung
verrückt die Zeit – das Präsens altbekanntermaßen
ein nichts / würdiges Skandalon – und leimt
das Jetztsein um ein verblasstes Bild.

Und Muschelscherben und Sonnenflut
und jener Klang der Steine vorn am Brandungssaum,
ein Kollern, ein Tosen – als hätte das Meer
den Applaus der Engel neu vertont.

An jenen Strand getriebenes Holz. Wartete
auf andere Tage mit der Duldsamkeit erlegten Wilds,
barg sich, schmeichelte – verschiednen Fingern,
und war in seiner samtigen Vertrocknung schön.

Das Licht? – Überall. In einem Ausmaß
von solcher Größe, dass darin nur ein Himmelssturz
möglich war. Der Wärme auch hingegeben,
mit gleichem Wohlgefallen und kehllautig wie

sonst nur in wenigen Momenten. Im Schatten
unter jenem Dach aus Flechtwerk, an dem die Sonne zog,
ist Ausruhen. Auf dem Tisch Glas, Teller und Karaffe.
Mehr bedarf’s nicht – auf der Basis jenes Blicks:

Hinten, am Brandungssaum, hinter jenem
zertanzenden Strand, menschenleer jetzt, schöpfungshell,
dahinter, dort, das, was da ist, einfach nur
das da draußen.
(01.02.2011)
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Wetterwechsel

Die Luft hat sich dem Frühling verschrieben,
mit einer raschen, harten Unterschrift,
weht durch den Baum, aus dem die Blätter trieben
im letzten Jahr, als wären sie bekifft.

Das Licht senkt sich unbeteiligt auf die Straße,
mit jenem Glanz, der Wärme ahnen lässt,
doch vorerst nicht mehr ist als eine Phrase,
die ihr jedes Jahr aufs Neue vergesst.

Der Tag, an dem sie Wort und wahr wird,
der ist zu fürchten,
wenn die ganze Farbpalette wieder flirrt,

die Töne und Düfte nicht zu halten sind,
der ist zu fürchten,
wenn die Wiederkehr der Welt beginnt.
(05.02.2011)
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Freunde

Zarte Silben, warmes Schweigen.
Blickenetz fängt das gefallene auf,
das Wort,
und zieht es zu seiner Zeit herauf.
Weiche Sätze, weite Zeilen.

Blaue Pause, fernes Bleiben.
Gestenhauch hüllt das verlorene ein,
das Wort,
und trägt es zu ihm selbst herein.
Dichte Stille, dunkles Zeigen.

Wundes Lachen, Schmerz Zerreiben.
Wortteppich fliegt das gelassene fort,
das Sein,
und bringt es an den fernen Ort.
Sanfte Ruhe, süße Feigen.
(06.02.2011)
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Heute

Keinen Schritt heute, keine Luft und keine Knospen.
Heute fällt das Licht in nasskalten Klumpen
den Leuten auf die Köpfe.
Heute schreibt Gott die letzte Zahl.

Keinen Laut heute, keine Rast und keine Briefe.
Heute rollt die Zeit in Stacheldrahtigkeit
von allen Spulen.
Heute malt Gott den letzten Strich.

Keine Haut heute, keine Schrift und keine Grüße.
Heute bindet Dein Tod sich zu einer Schleife
um alles Denken.
Heute sagt Gott das letzte Wort.
(12. des Monats)
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Hyle

dein fuß wird ein zuhause
für alle würmer, für angel und see.
in diesem frühjahr, wenn deine zehen nochmals gehen.

dein finger wird ein füllhorn
für alle maden, für wurzel und stamm.
in diesem frühjahr, wenn deine hände den überfluss säen.

dein torso wird ein tanzfest
für alle käfer, für vogel und dachs.
in diesem frühjahr, wenn deine därme zu erde sich drehen.

dein gesicht wird eine blume
für alle bienen, für honig und obst.
in diesem frühjahr, wenn aus deinen augen pollen wehen.
(20.02.2011)
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draußen und drinnen

kalter keulen luftgeprügel
raumnot so ganz lungendruck
sonnenheulens hellgelüge
lichtrot so ganz augenzuck

flacher stimmen schlagabtausch
wundheit so ganz ohrenschwer
blickeschwimmens ausweichrausch
meidleid so ganz gesichterleer

türenknarrens haltzermahlen
nervriss so ganz durchunddurch
atemharrend sichverschalen
hirnspliss so ganz stammzerfurcht

zimmerfluchten tiefensog
sehschmerz so ganz dunkelsicht
bilderfluten sehnsuchtsflug
ins herz – und aus das licht
(22.02.2011)
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Wanderung

Morgendämmern, die Luft legt sich kühl
unter das heraufziehende Licht. Müdigkeit
fortgeweht vom gesalzenen Wind. Ein Rucksack als
drittes Schulterblatt. Die Schuhe laufen ohne die Füße.
Sohlenlust.

Steinmännchensuche, die Wärme wird langsam
samtig und gewinnt an Gewicht. Landschaft
erkörpern, beleiben, sein. Blumen und Büsche
duften. Felsen, Flüsse gehen ruhigen Tritts ins Auge.
Blickelust.

Ziegenherdenglocken, die Hitze durchzittert glühend
auf Himmel und Erde die Sicht. Körperschwere
spürbar in jedem steinigen Schritt. Ein Schweißbach
rinnt an den Schläfen vorbei. Das T-Shirt benetzt die Haut.
Porenlust.

Flutbrandungsströmen, das Meer spielt schäumend
in jener müden Muskelschicht. Kieselstrand
rauscht einsam mit aller Ruhe ins Ohr. Sonnenflecken
auf Wellen. Fliegende Fische springen bunt durchs Hirn.
Träumelust.

Heimweggespräche, der Tag zerstrahlt sich stiller
und nicht mehr ganz so dicht. Pinienschatten
würzen den Pfad. Eine Heiterkeit, bis plötzlich
im trocknen Flussbett stiergroß der Widder steht.
Mythendunst.
(01.03.2011)
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Vor, unter und hinter dem Löwentor

Zuhaus in dieser Sicht:
weich die Linien,
Sfumato im Vorabendglast
und immer wieder Grüngetüpfel
auf jenem irdenen Grund
– in der Ferne kaum noch ein Blau.
Hier ein Steinreichtum.
Ein Felsensamt

über der ganzen Kuppe:
Rauh und makellos,
kein Knitter, kaum eine Falte
im tonnenschweren Stoffgewoge,
eidechsenwarm und bunt
– unter der Hand fast schon ein Blau.
Hier ein Königsglanz.
Ein Zeitenhauch

in Gesicht und alle Glieder:
angeweht ein Frösteln,
Blicke lösen sich in die Landschaft
und Finger finden zum Haltgenestel
in all diesen Toden
– die eigene Sterblichkeit ein ganzes Blau.
Hier ein Götterzeig.
Viel zu früh auf Dich.
(06.03.2011)
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Zäsur

Zwischen den Dörfern öffnen sich Acker, Himmel und Licht
auf schlafende Elefanten in sanftem Dunst: Mogotes
kleiner Entfernung, Pfälzer Wald-Buckel, abendsonnig.
Ein diesiger Schimmer von gewesenem Glück.
Bei Dir, ohne Dich, unterwegs, hin und zurück,
zwischen den Dörfern.

Zwischen den Reben reiben sich Blick, Haut und Verstand
nicht mehr so wund in dieser Luft, Wellenrausch
weichen Erdhügelreichs: knospengrün, warm und bunt.
Ein dunkler Boden aus gewordenem Glück.
Ohne Dich, bei Dir, unterwegs, hin und zurück,
zwischen den Reben.

Zwischen den Feldern verlieren sich Fuß, Hand und Gesicht
in jener Verheißung von Spargel und Tabak, Azzurro
hinter die Wolken getuscht, Götterschrift: Aspetta!
Ein verdichteter Satz, einst gehofftes Glück.
Unterwegs, ohne Dich, kein Hin, kein Zurück
zwischen den Feldern.
(22.03.2011)
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Frühling

Die Sonne schlägt mit schweren Knüppeln auf die Welt,
auf jenen Weg in diesem Park schlägt sie so prügelhart,
dass dort ein Knie zu Boden geht, ein Kopf zerdellt
an jenem Grün, das sich ins Leben schält, so heillos zart.

Der Himmel strahlt ein ganzes Blau von aller Macht,
die uns einstmals gegeben war und nun so ewig nicht
mehr bei uns ist und uns aus jener Höhe ganz verlacht,
auf dass wir, Du und ich – tiefentief nie mehr ans Licht.

Duundich – ist lang nicht mehr. Die Sätze hüllten uns ein,
ein Glückswortteppich, weit und weich,
mit bunten Fäden, knotenschwer. Die Seide war ganz fein.

Nichtsmehrda wird bleiben jetzt. Die Schatten werden tief,
im Parkwegkiesbett, farbenreich,
schwarz mit einem Blau versetzt: Du, den ich wieder rief.
(11./12.04.2011)
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Am Schildkrötenbrunnen

Und plötzlich war das Pflaster Malachit:
so grün, so tief, so satt, so schwarz das Schimmern,
lichtfrühlingleuchtend die Grasadern am Flimmern
zwischen Steinen in der Farbe von Graphit.

Dem nassen, grünen Spiegel aufgemalt
ein honigsüßer Bleistiftschnörkel purer Händelust:
Muschelschalenabertonnenschwerer Träumeduft,
der sich glatt und rund ins Auge strahlt.

Leuchtend auch das rote Leder Deines Schuhs,
der im selben Winkel wie die kleinste Schildkröte
auf dem Pflaster wippt im Herbstregenblues.

Doch überstrahlt all dies Dein Blick lächelnd,
der von Perlmutt und bernsteinfarbener Mondesröte
ein bisschen trunken ist und in sich nächtelnd.
(05.05.2011)
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Hitze sitzt auf der Luft und drückt sie herab.
Platt, wie sie ist, lässt sie sich kaum atmen.
Doch zum Atmen ist alles ohnehin zu schlapp,
und so geht die Welt nunmehr lieber baden.

Der Strom fließt langsam und flach vorbei.
Seine Mythen winken belustigt aus der Ferne.
Ein Altrheinarm lockt – jetzt blütenverschneit –
mit Wildwuchs und Strömung in grüne Wärme.

Der Balkon ist groß und trägt ein Schattendach.
Doch mittags haben wir die Läden geschlossen.
Was dahinter geschieht, hält uns lange wach.
Dann ist auch unsere Munterkeit ausgegossen.

Der Abend stellt uns viele zärtliche Fragen.
Die erste Antwort: Vor allem in den Dom.
Dann erst einen Riesling und wohl Saumagen.
Dann erst Kleinstadtflaneurwonnenlohn.

Der Bau glüht weich, strahlt sich aus, gelb-rot.
Die Sonne sinkt ins Pflaster, es ascht langsam ein.
Innen gibt es immer eine willkommene Atemnot
im Säulenhain der Unterkirche, dem Zeitschleifstein.
(16.05.2011)
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Zum Wasserturm

Durchs Dorf und seine Geschichten, die vielen Giebel entlang,
jene sich dehnende Straße in Richtung Kapellenmuscheltrank,
zuvor aber links abgebogen und den Feldweg hinaufgelebt,
Euren schweren Boden am Schuh, und dann in aller Ruh
zwischen Korn und Himmel geschwebt.

Über die Gleise – quer – und ihre Stille, die toten Enden bedacht,
und wieder Lichtfelder, Mohnwinkel und wieder augengelacht,
und dann durch den Hohlweg gelaufen und alles gesehen,
Landschaft erstmals erkannt und was Dein Sehnen fand
zwischen Zorn und Liebe. – Mein Lehen.
(16.06.2011)
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Wenn was zuckt, ist alles da.
Vom zuckenden Lid spannt sich unsere Honigschnur sternwärts.
In der zuckenden Stirn rollt sich das Augenwort zusammen.
Neben dem zuckenden Mundwinkel nistet unserer Hände Paar.
In der zuckenden Wade laufen Deine Beine mit.
Im zuckenden Gedärm sind unsere Zungen am Ende.
Hinter dem wegzuckenden Blick liegt eine Frage.
Unter dem hervorzuckenden Gedanken kauert ein Gefühl.
Zwischen allem Zucken ist es distelgrau.
(24.06.2011)
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Ans Meer

Hin zum Zikadenzirpen,
getrommelte Luft, ein Ton, der ruft,
Jahre im Boden, im Larvendunkel,
bis zu 17 Dunkeljahre für einen guten Monat an der Luft,
selbige trommelnd,
dann eine Stille, sekundenweit,
und wieder Larvendunkel, Bodenleib.

Hin zum lichten Flimmern,
vibrierender Horizont, ein Hell, das innewohnt,
dem Mittagslicht, dem Hitzeglast,
allem bis zum Himmelsglas, allstrahlend alles versonnt,
selbiges zerbricht,
dann Splittertanz, ein steiler Fall,
und wieder Hitzeglast, Zerlichtungsknall.

Hin zum Wellensaum,
dem Rand, der keiner ist, dem Übergang,
muschelscherbenabertausendweit,
zu Sehnsuchtszilpens Ursprungsland auf dem Meerschneckenwiderrist,
selbiger tangberankt,
dann im Tidenhub, in seiner Senke,
und wieder Scherbenlicht, Muschelbänke.
(01.07.2011)
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Wenn auch das Letzte
sich partout nicht einstellt, und
wenn weder Kaugummis noch Hundescheiße,
weder Spuckereste noch die aus dem Papierkorb
angewehte, ketchupklebrige Burgertüte,
wenn weder AB-Nachrichten noch Callapizza,
weder die Sonne noch der aus der Wolkenritze
sprühende, aprilkalte Sommerregenguss,
wenn weder Α noch Ω,
weder Wissen, noch Können, noch Wollen,
weder ein Morgen noch ein Abend
dich heimsuchen,
ist es
so.
(14.07.2011)
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Dieser Prospekt: Halbe Fabrikziegelmauer mit engelhardtem Schriftzug,
diese Perspektive: Komm aus dursttrockenem Wegesstaub an in
Korinth
– ein paar Säulen vor einem Himmel:
Von allem Blau
jemals.

Diese Nagung: Ganz verflusst, einfach so ohne Halt, rauscht vorbei,
diese Neinung: Ein Stolpern auf dem durstdiestligen Wegesrand am
Isthmos
– ein paar Fragen unter diesem Himmel:
Immer nur Blau,
so dessen Antwort.
(19.07.2011)
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Furchtlos

Der Mond ist verstummt auf der anderen Seite,
hier schweigen die Sterne im Wolkenwasser,
dunkel ist es also, dunkel in aller Länge und Breite,
lichtleer und still und die Zikade immer nasser

im Regen, unter Laternen steht ölfarbenschillernd
unsere Lust: zerlaufen, verfärbt, immer noch bunt,
immer noch im Hier: wir, vergangenheitswildernd,
noch immer hier, unser Wir, noch immer weltrund.

Der Himmel ist einfach nur lichtlos.
Was sollte noch zu fürchten sein?
Ein stummer Mond? Das Schweigen der Sterne?

Ein durchnässtes Insekt überichgroß?
Was sollte noch zu fürchten sein?
In aller Nachtruh, frühlingshafter Wärme?
(24.07.2011)
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Paralia Tyrou

Das Licht glimmt herauf
mit jenem himmelfüllenden Ton
von Asche und Lust.

Die Kiesel da unten atmen noch
nachtschwer in der weichenden Flut.
Noch sind die Seepocken offen.

Ein früher Besen wartet darauf,
über den brüchigen Asphalt zu ziehen.
Ein erster Klang ersehnt den Tag.

Das Leuchten fährt in die Dämmerung
mit jenem grauen Stich,
der Dir und mir die Sicht,
der uns die Worte von den Lippen nahm.

Eine Schaukel schwingt schon rot in die Zeit,
und gleich kommt ein Kleintransporter
und kündet in allem Bunt seiner Plastikwaren
von des Tages Schüsseligkeit,
derweil wir überzwerch in Schlafes Armen lagen.
(02.08.2011)
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August

So heißen manche.
Da werden manche geboren.
Und manches, das erfährt da seinen Tod,
wie das Korn auf den Feldern.

So nennt sich ein Monat.
Da singt der Sommer sich aus.
Und manches, das wird still,
wie das Korn auf den Feldern.

So fühlt sich unsers an.
Da ist es einfach genug.
Und keiner sonst, der so wüßte, worum es geht,
wie das Korn auf den Feldern.
(august, liebster)
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Circonflesso
segelnd links über der Augenbraue,
auf des Gespräches Thermik,
auf der Gedanken Schaukel,
in der Ideen Aufwinde.

Bescherungszimmer
leuchtend aus beiden Augäpfeln,
in des Abends Tannenglanz,
in der Wortnachtsbäckerei,
quer durch der Heiligen Stille.

Gütepetschaft
besiegelnd, gerade, aus der Mitte
die Aromen der Welt,
die Nachbarweine
mit der Antike Schwung.

Kisseninsel
auffangend, mich so oft aus einem Sturz
mitten aus der Worte Blei,
des Tages Fliegengewicht
auf der Zunge Himmelbett.
~ ~ ~
Daten kehren wieder, der Moment nie.
Vor einem Jahr war ich dies hier schuldig,
habe es in die Zukunft verpfändet, liebend und dumm:
nevermore.
(unterwegs zum 27. August)

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Lektüre

Ein Text öffnet sich,
seine Silben strömen in die Welt.
Deiner Stimme Blütenstaub.

Du liest
vor.

Mit Druckerschwärze an den morgenhellen Fingern,
mit Milchkaffeebart und einem stachelbeerigen Kinn.

Mit Traumlust noch um die nachtblanken Augen,
mit Buchglutmund und einer sterngefalteten Stirn.

Mit einem Gruß auch – an alle Engel, alle,
Pieros, Bs. und
auch an den auf dem Schrank.

Du liest vor.

Und die Welt schweigt
in meinem Ohr.
(08./09.09.2011)
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gnade ist ihr gegenteil

und wenn die wärme
nur noch in sonnenpfützen
sich ausgießt, den sommer letzhändig wringend,
der nun fast ohne zeichen – allmählich klar also –
inmitten des summens der tautauben bienen
zu boden tropft und zwischen die adern der blätter,
während die schatten beginnen, das auge zu blenden.
(03.10.2011)
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Anlässlich der Lippen Schwungrads Achsbruch – oder:
etwa Saatgut, kornblumenblau?

Aus stillem Dunkel schraubt sich langsam, doch mit zähem Dreh,
und nachdem ein Rom in Regenglanz versank,
nachdem Entschlossenheit erneut im Heu ertrank,
etwas, das der Welt eins niesen will und das, erst mit dem großen Zeh,

dann übers Knie und schließlich bis zum Scheitel, jedem Haar,
und stets bei uns, die wir unsander sind,
in allem Schellengeläut, im Campo de’ FioRi-Wind,
noch Worte finden will für alles und ein Lachen – und beides augenklar.

Das Knie ist blau: Es fiel auf regennassen Marmor,
das Ohr ist taub: Es trieb in engelischem Ton,
das Heu ist rauh: Es lag zu lange in der Sonne.

Die Stadt ist fern: Sie liest sich rückwärts Amor,
der Wind, er zerrt und schleift Vergangenes davon,
das Wort ist Nerv, das Alphabet geronnen.

Nein, Regelbruch: Dem allen ist Gelächter vor
gelagert, eine Lust – Liebster: Mohn
streuen Deine Augen und Witweausdertonne.

Blaue Wintersaat an Feldes Rand.
Wir werden blühen, am Vers entlang.
(17.10.2011)
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Hier, auf Deinem Boden,
herbstlich und feucht und rot und erntesatt,
unterm Bofizzelhimmel
wird nichts mehr erwogen.

Hier, in Deinen Blicken
Hügel und Strom und Wein und Burgenwald,
bei der Keschtelese
kann das Wort einnicken.

Hier, von Deinen Konturen
Straße und Stuhl und Spur und Sofa leer,
dubbt de Finger
auf die Zeit hinter den Uhren.
(Okt. 2011)
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Novembernicht

wo alles noch war
unter krähenhimmel und sonnensturz und
dann letztklar
Dein feines glasbläserhaar
und im bienengrund Deiner lippen voller mund
das honigrund

Dein federatem
unser augenfest getanzt in der pupillen schacht
mein schrittversagen
Dein unendlichfragen

novembernacht

wo alles nicht mehr ist
rundet sich die zeit zu einem punkt
jahr-es-frist
sich selbst an diesem punkt mit krähenlist
im novembernicht, im regenschlag, im zeitenwund
novemberschlund.
(01.11.2011)
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Jahrestag (da glüht die Zeit)

Selbst die Wolken singen heute,
von den Steinen will ich schweigen,
auch von Gullydeckeln, Salamandern und Schaufensterscheiben.

Sekunden machen Notenbeute,
Minuten streichen über Leibessaiten,
derweil Harfen, Trompeten und Zimbeln die Welt vergeigen.

Heute feiert die Zeit ein Fest, an aller Welt vorbei,
wie es ihr zukommt, angemessen ist: in vollem Klang!
Und heute, wie jeden Tag, entpuppen sich ein Stern und eine Motte, mindestens.

Heute ist alles Atmen laut, geht jeder Blick auf zwei,
wir schreiben klingende Zeit: wir sind im letzten Sang!
Und heute, wie jeden Tag, schlüpft eine Galaxie und stirbt ein Auge, blindestens.

Und blind und in allem Klang zerbricht die Zeit
in wieder nur sich selbst – ganz ohne unser Zutun,
Zeit ist die Zeit ist die Zeit ist in sich ist
letztlich nur Vergangenheit.

Und taub und ohne jeden Ton verwellt der Geist
in wieder nur sich selbst – ganz ohne alles Insichruhen.
Kuss aber ist dieser Kuss ist unser Kuss: ist!

lipschitz
(30.12.2011)
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schmerz, fremder (I)

ein glas, wasserklare sicht
und es zerrt, ein verzerrtes
gesicht
sicht verzerrt durch wassersäulen

ein glas, panzerdicht
und alle geschosse schießen
blutlicht
dicht verschossen in panzersalven

etwas zerbricht
und die splitter, ein zersplittertes
gesicht
bricht verbrochen durch etwas.
(11.01.2012)
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Schmerz, Fremder (II)

Sonnenschein, blauer Himmel,
Zeit verstreicht, ein Kaugummi klebt
unterm Gehn.

Autos und Busse fahren, Züge meist,
Räder immer und Nervenbahnen funken,
oft entgleist.

Ein Lachen und ein Irresein,
Tiefdruckgebiete, fremdes Alphabet,
ein unteilbarer Rest.

In den Zeitungen steht was,
in der Luft ein Vogel, im Licht ein Schatten,
und das hier, Fremder.
(15.01.2012)
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Verloren gegangen

Ein Knopf, die Kastanie, jener Stift,
der Schlüssel, erst Dir, dann mir, wir uns,
ein Brief, ein wenig Geld, manche Bücher,
Taschentuchpakete, kaum mal ein Lachen, Du,
die Tasse beim Umzug, Fragen, viele Socken,
Wimpern, mir und Dir ich, einige Wünsche,
nie der Ring, Erinnerung, manche Chance,
der Koffer, Zeit, zwei Zungen im Zitroneneis.
(08.03.2012)
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Sichelmonat

Ernte. Jetzt! Kein Brot sind wir geworden,
in jenen Tagen des August:
Verfahren alle Zeit,
zu zweit, doch schon
allein zur Garbe abgemäht,
und keine Gabe mehr, nicht Gnade,
nicht Grundfestigkeit, kein Stand
im Feld, von keiner Ähre mehr.
Nun bodenlos, Vergessenheit. – Da:
in jener Zeit, war was?
Gemäht das Feld, kein Brot sind wir geworden,
in jenen Tagen des August:
Gewünscht die Weiterheit,
zu zweit, doch schon
war nur noch Stoppelfeld,
und Schuh in Blut und Stop auf Rot
und Fuß auf Luft, dem Ackerstaub
und dann? Kein Fall von einem Laub.
Nun Vakuum, Vergessenheit. – Da:
in jener Zeit, war was?
Geschnittnes Korn, kein Brot sind wir geworden,
in jenen Tagen des August:
Sichelmonat, Erntezeit, Schnitterlust.
(08.08.12)
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Hochzeitstag

Ich möchte aus der Haut perlen,
möchte aus meinen Augen laufen,
mich in Deine Blicke tröpfeln
und unter Deine Lider gießen.

Ich möchte aus der Spur schlagen,
möchte aus meinen Zehen wachsen,
mich unter Deine Sohle flechten
und in Deinem Schritt mich wiegen.

Wie vor Jahr und Tag,
fast noch sommerlich,
warm das Licht, gesagt,

uns das Wort gesagt,
noch ganz herbstzeitlos
– vor Jahr und Tag.
(10.10.12)
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Cembalo und Geige –
in jenem Taxi da Dein Lächeln
alldurchwirkend leise
an jenem Punkt die Zeit verzitternd
auf dem Kopfsteinpflaster
und Finger nur und still
und Haut und Augen witternd
vor jenen Tönen da
der Gummihand
durchdringender Kautschukgestank.

Cembalo und Geige –
in diesem Zimmer hier Dein Lächeln
Kopf in leichter Neige
in diesem Klang den Raum vermessen
unserer Gesichter
und Blicke da und nichts
und nichts mehr angemessen
von unsern Gesten
gegen die Wand
Schattenhände im Niemandsland.
(05.11.12)
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Bist doch tot, Liebster,
dann lass das Eis schmelzen,
sage den Himmeln ihren Schneefall ab,
sortiere die Wolken und streiche
alle Temperaturen unter Null
aus diesen Tagen.

Bist doch tot, Liebster,
dann lass die Zeit brennen,
senge den Uhren ihre Zeiger vom Blatt,
verkokel die Stunden und fackle
alle Kalendersprüche zu Asche
in jedwedem Mund.

Bist doch tot, Liebster,
dann mach, dass ich südlich
küsse uns beiden das Nordlicht blankblau,
Tanzstunden nehme und lache
allen Schnee in die Glut,
alle Zeit in die Stunde,
uns aus der Wunde.
(12.12.12.)
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Wehe, Sonne!

Mai aus Kälte, Mai aus Regen, Mai aus Wind.
Frühling fällt auch spät
aus.

Seit uns bezieh’ ich alle Welt, allen Wind, alle Wetter
darauf, falle immer auf
uns.

Erst keine Osterglocken, Krokusse, dann kein Mai-,
kein Totenglöckchen mehr
hier?

Doch! Jetzt klingt Deins in Wettern, Wind und Welt,
in denen kaum was blüht,
brennt’s.
(02.05.2013)
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Dein Tritt auf all die Piniennadeln,
nachdem Dein Fuß aus Laken, über Kacheln,
Teppichöden ging, unterm Stuhl festhing,
durch Brötchenkrümel, geharkte Kiesel,
Wegesstaub, Regenschwemmland
aufgeprägten Spuren längst verstorbner Tage schritt.
Dein Tritt auf all die Piniennadeln,
jenes Federn auf dem Sand.

Dein Griff in all die Wolkenlagen,
sanften Fingers in so viele Himmel, zarter Hand
die Nacht gepflügt, so manchen Tag gedüngt,
in die Vollen, ins Fett, in die Saat, die Tonne,
daneben, nach hinten, ins leere
Zentrum längst verblasster Ziele gefasst.
Dein Griff in all die Wolkenlagen,
jene Ferne überm Strand.

Dein Biss in all die Grundsatzfragen,
nach Wochen, Stunden dann der Lippen Schluss
über Galiamelonenschalen, kernespuckend
auf Asphalt, Sand und alle Welt,
manchmal, in der Ananasextasen
fruchtsäuresschaukelstem Moment –
Dein Biss in all die Grundsatzfragen,
jene Flüche ohne Pfand.
(22.07.2013)
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Winterspur

Die Pfirsichnächte sind vorbei,
die Zeit hat ihnen heute ihren Samt abgezogen,
der Geruch der Kräuter ist verflogen,
klamm schiebt der Tag sich aus dem Sommer
und fällt in eine kühle Dunkelheit
– schon wieder lange vor der Winterzeit.
Einst perlte in diesen Morgenstunden
Tau auf der erloschnen Glut, und eine kleine
weiße Wolke stand fast schon vor Lippen,
die noch festgefroren waren an der Nacht, die
an dem Gras, das fröstelnd
neben dem Schlafsack lag
wie die leeren Becher, in jenen Tagen
des August – und in der Asche unter dem Tau
so manche Pfirsichlust.
(12.08.2013)
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Lies die Spuren
die Schwingen morsen es den Wolken
das Schilfrohr zittert es in den Teich.
Und der Schlaf jagt es vergeblich
manchmal steht er in Gruppen am Ende
einer Straße, eines Augenwinkels
(doch er verkrümelt sich bald).
Kalt ist die Nacht geworden, Flügel
frieren ein, im Teich auch demnächst dann
die Karpfen mit ihren wolkenwälzenden Mündern.
Und ein traumloser Schnabel steht
starr am Ende der Wörterbank und
in
allem
Eis.
Lies das Totholz, deiner Knochen Abraum, lies
den stürzenden Laut, die Stillstimmen, lies den Laubfall
lasse die Schnur.
(23.09.13)
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Für die Freunde

Nun ist unter der Lupe abgebrannt
ist nach dem hundertsten Finger
der Faden doch zerglüht
lose Enden hängen noch ein wenig
die werden dann auch bald
denn jetzt kommt der Herbst
unter die Blätter wehen
wir werden keine Drachen mehr miteinander
funkensprühen lassen
wir haben nie Kastanien zusammen gesammelt
und die, die im Feuer waren
konnten wir nicht mehr gemeinsam
in den Himmel werfen
wollte ich mich noch einmal, dort
ist jetzt der nasse Herbst, bald dann das Licht verbrannt.
(06.10.13)
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Die bewahrten Bücher

Ein müder Rücken
all des Tageszückens all so satt
geknickt, in Falten, Schründen
ein Ergründen
Deiner Seiten, Eselsohren, Duftmarken
Deiner Finger auf dem Rand
Spuren
verdunkelnden
Buchstabensands.
(22.10.2013)
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Wittib

Diestelgrau ist meine Zeit,
ich trag ein Stachelkleid,
und die Riemen der Sandalen
waren immer schon zu weit.

Mein Gesicht hat einen Schlag,
und mein Herz, ein Dornenhag,
das ist lang schon angehalten:
einen Stopp vorm Tag,
den in Eis
und das im Schnee.

Dorthin bläst aus den Posaunen,
Blogs, metallbedampften Lippen
Zukunft, fuzkunt stippt sich Tunkfuz ein
in des Woks Glasnudelraunen:
Kunftzu, weit
ists bis zum Zeh.

Auch eine Hand hab ich, die ist in aller Zeit,
die fällt ab, wenn ich aus der Vergangenheit
Erinnerung schnitze, dann säge ich mir erst
Finger, dann
nein: Ich stehe in Diesteln, auf dem Boden.
Blätter, Zweige, Drähte
haben auf meiner Scholle nichts verloren.
Zufunkt es meine Ohren:
„Zukunft-Nufuktz-Funtzuk –
Nichts geht irgendwo entzwei!“

Ich steh in Diesteln in Sandalen,
deren Riemen waren immer schon zu weit.
(26.10.2013)
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Den Tag bricht nun schon wieder
mitten entzwei die Nacht.
Vorhin im Park der letzte stumme
Mückentanz all der Lippen
da vor der tiefen Sonne.
Eichelfall in all diesem Orange,
jenem hohlen Ton
windwirbelsäulenleerer Blätterhaufen
all das und dann
ein Kastanientaufen
und dann
kann ich es enden,
besagt der Krähen Frost.
(03.11.13)
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Geschwunden war schon alles Fett&Blut&Verblendung,
geläutert das Wesentliche durch den letzten falschen Tod,
es kam wieder Sonne, es stieg wieder der Mond,
die Felder kamen nicht mehr, dafür die Krähen,
dabei waren wir lidlos, waren wir taub,
doch das Wesentliche
hielt uns trotzdem einmal noch aus.
Leicht waren wir ja schon zuvor geworden, zu Lügnern
und Kriegsversehrten, blind und knotenzungig,
hatten Wahn, hatten Irresein auf die Felder, die Krähen, den Mond
und die Sonne sich gelegt, auf die Wimpern der anderen auch,
und uns die Blendung vors Auge gesenkt,
doch das Wesentliche sah hindurch
und hielt uns trotzdem noch einmal hin.
Stumm blutete die Wunde durch die Wirklichkeiten,
den Zeitmull, sickertest Du in Dich ein, lang schon,
nun auch noch in rot und ohne Gazepolster
sickertest Du langsam in Dich ein.
Das Wesentliche blieb – wer setzte wen da frei? –
und ist doch längst schon geschwunden,
zu sich gekommen & sintert durch jeden Krähenschrei.
(10.11.2013)
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Jene Stunden jetzt

Zusammengezogen liegt,
was sich bald zerdehnt hat,
kleiner geworden, immer kleiner,
schon lange, schob sich in sich
und nun alles fort,
in jenen Stunden,
das Brot, in dem wir augustschwer
einst uns brachen
in den Wein, der uns im Rebenmeer
durch die Lichtlachen
stranden ließ am Horizont
der Wörter, zwischen denen wir
so oft zu tauchen suchten
nach dem
einen.
Jetzt, in jenen Stunden, zog
alles sich fort, schob alles entzwei,
bleibt leibhaftig nur noch eine Frage der Zeit
– Ziffern; wir haben es geahnt.
(12.11.13)
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Wenn ich unter Menschen bin
duften sie oft warm nach Sinn
manche
sind dann da, in ihrem

bin dann tatzensternig neben alle dem
Tagwerk, all den Thesen
Himmelshonigzunge – und bin sie
immer schon gewesen

wenn ich unter Menschen bin
denk ich zeitweich an Dein Kinn
Du weißt
ich schreib mit honigschwerer Tatze
alles hin
an.
(27.11.2013)

finis