„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)
Mein Liebster,
alles jährt sich – wieder. Das vom „Weltgeschehen“ und das zwischen, bei und in uns. Und leider kann ich zwischen Weltgeschehen und uns immer weniger unterscheiden. Vielleicht liegt das auch daran, dass es uns seit dem 12.11.10 nicht mehr gibt.
Bald werden wir – ja: Ich halte uns! –,
bald also werden wir seit 15 Jahren tot sein. Noch etwa eine Woche bis dahin.
Dabei waren wir doch nur knapp 14 Jahre am Leben. Wie also geht das?
Das hat mir bis heute niemand erklären können.
Doch es schweigen alle über die Tode. Auch die jetzt.
Die durch die Spritzen.
Die in den Kriegen.
Es schwiegen damals alle, als Du starbst. (Vielleicht hatte Dein Tod einen Sinn.)
Es schweigen heute alle, wo Millionen sinnlos sterben.
Liebster, Du weißt, was erst wir, dann ich damals wollten. Es gelang nicht.
Jetzt habe ich die Arbeit geschultert und meine Knie brechen immer wieder ein. Dabei will ich doch nur die Menschen reden machen:
Wenn sie schuldig sind, sollen sie nicht mehr schweigen.
Nicht die von damals.
Aber erst recht nicht die Schuldigen von heute.
Vor allem jedoch sollen sie wieder miteinander reden, alle. (Über ihre Worte, die endlich wieder Teppiche auf den Beton legten, könnte ich fortfliegen.)
Vielleicht lege ich wieder Worte auf den Beton, vielleicht webe ich ein letztes Mal.
