„Zeugnis-Ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)
Am 2. Mai publizierte ich hier einen der beiden an meinen vor mehr als 12,5 Jahren verstorbenen Mann gerichteten Amtsbriefe, in dem er aufgefordert wird, sich sofort ab- und mit neuer Wohnadresse anzumelden.
Wenn jemand hier nun denkt: „Hä? Wie bitte? Ich verstehe nur Bahnhof!“, dann ist er mir herzlich willkommen. Verstehen kann man diesen hyperkafkaesken Amtsirrsinn nämlich in der Tat nicht mehr, man ist ihm nur ausgeliefert. Ich verweise auf den einen der beiden Briefe (beide waren am selben Tag im Kasten), den ich hier fotografisch dokumentierte.
Und dokumentiere nun auch den zweiten Brief, der nicht nur an meinen seit 12,5 Jahren toten Mann adressiert war, sondern an uns beide, die wir dort als „Wohnungsgeber“ eines gleichnamigen Mannes aufgefordert wurden mitzuteilen, ob der noch bei uns wohne und wenn nicht, sein Auszugsdatum anzugeben, das von „besonderer Wichtigkeit“ sei:
Ich habe dem Amt postwendend mitgeteilt, dass weder mein Mann noch ich jemals „Wohnungsgeber“ für meinen Mann waren. Und dass er, mein Mann und Lebensmensch, am 12.11.2010 AUS DER WELT AUSGEZOGEN, NÄMLICH VERSTORBEN IST.
Und bekam gestern eine Mail vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, in der ich um einen Rückruf beim Amt gebeten wurde, um mir „weitere Unannehmlichkeiten zu ersparen“.
Heute rief ich dort an.
Und lernte: Erst seit fünf Jahren seien die Standesämter vernetzt, so dass im Falle eines Versterbens außerhalb des amtlichen Wohnortes das Standesamt des Todesortes jenes des Wohnortes über das Versterben informiere, so dass von dort aus alle weiteren Ämter, die mit den Angelegenheiten des Toten als politischem Bürger zu tun hätten, über dessen Tod in Kenntnis gesetzt würden.
Da sei mein Mann ja nun zu früh für gestorben.
(An dem Punkt hätte ich fast schon aufgelegt. Gut, dass ich es nicht tat, denn die redselige Beamte führte weiter aus: Bei ihrer Schwiegermutter, die vor etlichen Monaten verstorben sei, funktioniere das keineswegs.)
Und nach langem Rumdrucksen kam’s dann von der Dame vom Berliner Bezirksamt:
„Ihr Mann ist für uns immer noch nicht tot.“
– Was sagt ein witwesker Eisbär auf so einen Satz vom Amt?
Nichts. Er fragt nach längerem Schweigen nach: „Wie bitte?“
Und erhält die folgende Antwort: „Sie haben uns ja die Sterbeurkunde in Kopie geschickt. Aber das reicht nicht. Wir müssen das Original sehen. Ich muss Sie bitten, herzukommen.“
Witwesker Eisbär, nach längerem Schweigen: „Sie glauben mir also nicht.“
Beamte: „Doch, natürlich. Aber ich brauche das Original.“
Witwesker Eisbär ohne Zögern: „Wissen Sie was, ich zahle keinen einzigen Euro für einen Bus-Fahrschein und ich zahle erst recht nicht mit meiner kostbaren Zeit, um in Ihr Amt zu kommen und Ihnen, die Sie mir nicht glauben, diese Urkunde im Original vorzulegen. Machen Sie einfach weiter! Dann bekommt mein toter Mann Ihre Post, bis auch ich tot bin. Adieu!“
Ende des Telefonats.
Ein paar Minuten später fiel mir noch ein, dass die – wenn ich dort tatsächlich hingefahren wäre – womöglich von mir verlangen, ihn auszugraben und seine Leichenüberreste zu präsentieren, weil die Sterbeurkunde im Original genauso aussieht wie die Farbkopie.
PS: Mir wurde wieder klar: Sie mögen ein irrsinnig großes PsyOps-Waffenarsenal haben und daraus täglich mehr gegen uns – die Menschen, die weder das (Mit-)Fühlen noch das Denken verlernt haben – zu Felde führen. Aber sie werden ihren perversen Krieg verlieren. Sie werden an sich selbst scheitern, an ihrer Bürokratie. Mit jedem Digitalisierungsschritt mehr.