Vorgestern Abend habe ich seit langem wieder einmal die Mails gelesen, die ich in den etwa sechs letzten Wochen vor dem Tod verschickt habe; wie schon seit einem Jahr handelte es sich dabei fast ausschließlich um Status-Bulletins, die an die damals noch sogefühlten Freunde gingen.
Es ist ein paar Jahre her, dass ich sie zuletzt las, und mit diesem Abstand ist mir noch deutlicher geworden, was ich länger schon weiß: Dass wir damals verrückt wurden, ist völlig logisch.
Für das, was damals passierte (auch, und immer wieder und wieder, durch Irrsinnsagieren von ÄrztInnen), fände ich heute keine Worte mehr. Damals mitten im Erleben all dessen fanden sich aber Worte ein (ja, die kamen zu mir. Ich hatte keine Zeit, nach ihnen zu suchen).
Und auch an dem zum Teil fassungslosen Gestammel, das als Antwort auf diese Mails zurückkam, sehe ich: Was damals passierte – was damals uns passierte, dem Lebensmenschen und mir –, das war so, dass es nicht erstaunlich ist, dass wir darüber verrückt geworden sind.
Alle „Krebsverläufe“, die ich persönlich erlebt habe oder denen ich als Krebsforenzeugin beiwohnte oder von denen ich gelesen oder gehört habe, waren und sind vollkommen anders. Da war und ist viel mehr Kontinuität, viel mehr Lehrbuchverlauf (viel mehr medizinische Betreuung auch und viel mehr Schmerzbehandlung). Und ich weiß, dass jetzt wieder manche, die hier lesen, denken: „Ach, ist mal wieder die Narzisstin u./o. Dramaqueen C. Laude unterwegs …“. Und wie immer ist mir das ziemlich egal.
Gestern habe ich einem Menschen, den ich seit bald zehn Jahren kenne, ein wenig von den letzten etwa sechs Wochen, die da vor zehn Jahren waren, erzählt. Nicht zum ersten Mal. Erstmals aber sind ein paar der Fakten bei der Person angekommen (offenbar sind sie so unvorstellbar & grotesk, dass man sie auf Teufel komm raus abwehren muss), und es ist wohl auch ein wenig dessen, wie sich das damals angefühlt hat für uns, bei dieser Person angekommen.
Das aber „hilft“ nicht.
Wie immer: Mir „hilft“ erzählen nicht. Mir hilft „mit-teilen“ nicht. (Tschuldigung, aber auch da strafe ich alle probaten Psychotherapie-Theorien Lügen.)
Ich habe einen Lyrik-Band und einen Roman hindurch davon gesprochen. – Es hat mir nicht „geholfen“. (Und das hätte es auch nicht getan, wenn die Lyrik oder der Roman einen Verlag gefunden hätten.)
Es gibt keine „Hilfe“ [für solche wie mich].
Es gibt nur das Augenklar (wieder einmal thx @ Gryphius!): Sehen, was ist. An Aktionen und Reaktionen. An Gefühlen, fremden (jaja: die kann man oft sehen!) und eigenen. Und auch im eigenen Kopf: sehen, was da ist.
Augenklar auf die letzten sechs Wochen vor zehn Jahren geguckt:
Es ist völlig normal, dass wir damals verrückt geworden sind.
Und ich habe mich vorgestern bei und nach der Lektüre jener Mails aus den letzten etwa sechs Wochen auch gefragt, ob es irgendwann einen anderen Weg gegeben hätte, ob es also für uns an irgendeinem Punkt möglich gewesen wäre, aus diesem kompletten Irrsinn rauszukommen (und nein: das heißt nicht einzig „überleben“, das heißt auch „besser sterben“, wie so viele es tun).
– Augenklar draufgeguckt: Nein. Wir haben keinen Ausgang übersehen. Wir waren wir. Wir konnten uns nicht entkommen.
Augenklar sein.
Sich nichts vormachen.
Sich nicht in etwas flüchten, das ohnehin wie alles vergeht
& sich nicht auf etwas berufen, das ohnehin nicht zu fassen ist.
Augenklar sein und den Geschmack von August-Zimt auf der Zunge haben – merci (uff pälzisch), toter Liebster, merci