Ein Jahresabend,


wieder, zum 24. Mal.
Vor 24 Jahren haben der Lebensmensch und ich gemeinsam beschlossen, geteiltes Leben zu versuchen außerhalb vom jeweils eigenen.

Wir begannen mit einer ganz neuen Mengenlehre: eine Schnittmenge besonderer Art existierte plötzlich. Deren Grenzen waren herrlich diffus, aber immer vorhanden.

Und ja: Wir haben das tatsächlich „beschlossen“. Angesichts der Fernbeziehungssituation, die ab morgen und erst recht nach dem 2.1. wieder unsere Lebenswirklichkeit prägen würde, musste ein expliziter Beschluss formuliert werden. Und beide sagten wir dann mit Nachdruck „Ja, versuchen wir das mit uns!“

Gemeinsam haben wir diesen Jahresabend (inklusive des ersten Males) 14 Mal gefeiert, denn die Jahresendzeit war immer unsere, auch in all den Fernbeziehungsjahren. Und immer war sie – völlig außerhalb der üblichen saisonalen Festgepflogenheiten – unsere hôchzît.

Jetzt denke ich zum 11. Mal allein daran.

Was vor neun Jahren war, ist gültig:

Jahrestag (da glüht die Zeit)

Selbst die Wolken singen heute,
von den Steinen will ich schweigen,
auch von Gullydeckeln, Salamandern und Schaufensterscheiben.

Sekunden machen Notenbeute,
Minuten streichen über Leibessaiten,
derweil Harfen, Trompeten und Zimbeln die Welt vergeigen.

Heute feiert die Zeit ein Fest, an aller Welt vorbei,
wie es ihr zukommt, angemessen ist: in vollem Klang!
Und heute, wie jeden Tag, entpuppen sich ein Stern und eine Motte, mindestens.

Heute ist alles Atmen laut, geht jeder Blick auf zwei,
wir schreiben klingende Zeit: wir sind im letzten Sang!
Und heute, wie jeden Tag, schlüpft eine Galaxie und stirbt ein Auge, blindestens.

Und blind und in allem Klang zerbricht die Zeit
in wieder nur sich selbst – ganz ohne unser Zutun,
Zeit ist die Zeit ist die Zeit ist in sich ist
letztlich nur Vergangenheit.

Und taub und ohne jeden Ton verwellt der Geist
in wieder nur sich selbst – ganz ohne alles Insichruhen.
Kuss aber ist dieser Kuss ist unser Kuss: ist!

lipschitz

(30.12.2011, © Corinna Laude, aus: Nullsamkeit, eine Trauer)

Hier ist Platz für Ihren Kommentar. (Ich werde ihn lesen.)