Heute über Verlogenheit, wieder einmal

„Zeugnis-Ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Vorgestern, mitten im alljährlichen Frühjahrputz, den ich diesjährig so sehr wie nie in dem Gedanken durchführe, dass er mein letzter sein wird – vorgestern also kam im Witwesk ein Kommentar an (zum letzten Eintrag hier), den ich nicht nur in der Kommentarebene freischalten und beantworten möchte, sondern hier. Wieder einmal ein „Anonymous“ hat ihn geschrieben und er lautet:
„Und immer noch kein Wort von Ihnen zu dem Krieg. Wie ist das möglich? Wer hat Sie so unempfindlich gemacht gegen das Leid anderer? Wie können Sie dazu schweigen?“

Hier meine Antwort:

Anonymous, warum muss ich Ihrer Ansicht nach im Witwesk ein Wort zum Krieg sagen? Ich bin keine Zeitung, ich bin frühe Witwe auf einer Eisscholle und nunmehr seit zwei Jahren von den hiesigen Regierungen, die ich immer totalitaristischere Regimes nenne, und dem mehrheitlichen Mitläufervolk zu einem Tyrannen, Terroisten, Geiselnehmer, Schädling und sonstwie aller Grundrechte zu enthebendem Dings erklärt worden.
Nun werde ich von Ihnen auch noch zu jemandem erklärt, der gefälligst Worte zum Krieg zu haben hat.

Darf ich da mal rückfragen?
Haben Sie ein Wort gesagt zu den Kriegen der Nato und / oder der USA gegen Serbien, gegen Jugoslawien, gegen Libyen, gegen den Irak, gegen den Jemen und so weiter?
Wenn nicht: Wie konnten und wie können (denn diese Kriege dauern zum Teil noch an) Sie dazu schweigen?

Die kürzlich verstorbene, ehemalige US-amerikanische Außenministerin Albright sagte 1996 in einem Fernsehinterview auf die Frage, ob das US-amerikanische (Kriegs-)Embargo gegen den Irak, das 500.000 Kinder, also eine halbe Million Kinder, das Leben gekostet hat, diesen Preis wert gewesen sei: „We think, the price is worth it.“ „Wir denken, das ist diesen Preis wert.“ https://www.youtube.com/watch?v=xYXK7uh93Uo

Wir wissen, dass zur US-amerikanischen, also Nato-Kriegspropaganda immer schon Lüge und Wahnsinn gehörten:
Zum Beispiel die den 2. Golfkrieg massiv anfeuernde Brutkastenlüge (tja, wie kommt’s nur, dass die mir nun einfällt anläßlich der in den hiesigen Medien gebrachten Meldungen über die vom durchgeknallten Russen bombardierten Kindergärten und Geburtskliniken?) oder natürlich die den Irakkrieg begründende Massenvernichtungswaffenlüge:
Hier der damalige US-amerikanische Außenminister mit einem Reagenzglas in der Hand, mit dem er vor dem UN-Sicherheitsrat gewedelt und lügenhaft behauptet hat, dort sei Irakisches Giftgas drin [sic!]:
(Bildnachweis: https://www.tagesspiegel.de/politik/die-usa-und-der-nahe-osten-als-mich-ein-luegner-ueberzeugte/24457118.html – lesenswert: Tagesspiegel vom 14.06.2019, Zitat: „Ich war manipuliert worden, und ich hatte mich manipulieren lassen. Das war eine schmerzhafte Erfahrung. Weltbilder stürzten ein, Gewissheiten gerieten ins Wanken. Seitdem bin ich vorsichtig geworden, wenn mir Politiker Beweise präsentieren, angeblich unwiderlegbare Behauptungen aufstellen. Ich bin misstrauisch, wenn Kollegen über Indizien reden, die keinen Zweifel erlauben. Wie kommt es nur, frage ich mich dann, dass die sich so sicher sind?“ – Hat nur leider keine anderthalb Jahre vorgehalten, diese zweiflerische Position …)
(Siehe auch https://www.deutschlandfunk.de/auf-luegen-gebaut-100.html und https://de.wikipedia.org/wiki/Begr%C3%BCndung_des_Irakkriegs)

Wir wissen all das. Wissen um all die völkerrechtswidrigen Angriffskriege der USA und damit der NATO allein in den letzten 30 Jahren. Wir wissen von den Millionen Menschen, die dadurch getötet wurden: darunter Millionen Zivilisten. – Von den Begleit-Embargo-Opfern zu schweigen (auch wenn Madame Albright, auf deren Schultern sich aktuell die amtierende Außenministerin von Toitschland positioniert hat, über die Kinder-Opfer in diesem einen einzigen kleinen Falle nicht schweigt: Ich wiederhole ihre Aussage: Eine halbe Million irakischer Kinder zu töten, war es den USA wert).

– Wo war und ist da IHR Wort, das Sie erhoben hätten oder heute erheben würden, Anonymous?
WO?!

Was mich anbelangt: Ich hab grad wieder in meinem eigenen kleinen Leben erfahren, was für ein fragiles Wesen der Mensch ist: jederzeit komplett durchknallbereit, unzuverlässig, feige und hochgradig selbstbezogen (was alle Selbstreflexion im Keim erstickt).
Und ich begreife seit nunmehr über sieben Wochen die Menschengattung hierzlande noch viel weniger als zuvor: Wie kann es sein, dass die sich tummelt in Kriegsrausch und ihre PolitkerInnen sich ergehen im Versprechen von einhundert Milliarden Euro, 100 Milliaren € von unserem Steuergeld für Kriegsrausch? Wie kann das sein ?!

Wir alle wissen: Einen Krieg kann heutzutage niemand gewinnen (und das konnte vermutlich noch nie jemand, weil der Preis immer zu hoch war, um von „gewinnen“ zu sprechen). Wenn einer ausbricht, dann müssen besonnene Köpfe her. Dann muss jemand Verhandlungen ermöglichen.
Das hat die BRD viele Jahre lang praktiziert.
Aber die EnkelInnen dieser Politikergeneration stehen nun auf den Schultern von US-amerikanischen PolitikerInnen, die Millionen von Kindern geopfert haben für ihre Kriege.

Anonymous: Sind Sie wirklich so verkommen, dass Sie sich hätten befrieden lassen, wenn ich ein Wort des Mitleids mit den Kriegsopfern auf ukrainischer, ein Wort des Mitleids mit den Kriegsopfern auf russischer Seite geäußert hätte? (Vermutlich hätte ich mir Ihre Verachtung und Ihren Hass eingehandelt, wenn ich mein Mitleid auch mit den russischen Kriegsopfern bekundet hätte – die es nicht nur seit ein paar Wochen unter den russischen Soldaten, sondern die es seit 8 Jahren unter der Zivilbevölkerung in den Volksrepubliken Donetzk und Lugansk durch urkainische Kriegshandlungen gibt.)
Sind Sie so billig abzuspeisen: mit einem „Wort des Mitleids“?!
Erbauen Sie sich an Worten gegen „den Krieg“?!
Glauben Sie ernsthaft, durch unsere Worte ließe sich der beenden?!

Heute ist Ostersonntag. Ein Wochenende der Ostermärsche hat begonnen. Ein Wochenende der Scheinheiligkeit: Ein Wochenende der wohlfeilen Worte.

Doch unsere billigen Mitleidsbekundungen werden diesen Krieg nicht beenden. Schon gar nicht, solange wir gegen Russland hetzen, als gäbe es kein Gestern (in dem wir, der Westen, Schlimmeres zigfach tat) und kein Morgen! Schon gar nicht, solange wir diesen Krieg anheizen mit irrsinnigen Waffenlieferungen, Geldzuflüssen, Embargos und Propaganda der übelsten Sorte! Schon gar nicht, solange Sie ernsthaft glauben zu wissen, wer der Böse, der Schuldige, der Verdammenswerte ist und wem unser Mitleid zu gelten hat!

3 Gedanken zu „Heute über Verlogenheit, wieder einmal

  1. Der beste Weg Frieden zu stiften ist Handel und kultureller Austausch zwischen Ländern. Russland wird aber seit Jahren boykottiert wo es nur geht, vor allem via USA/Nato. Weil den Amis das System nixht passt und weil sie Russland destabilisieren und einen Regimechange herbeiführen wollen. Diese Strategie wird genau so scheitern und irre Opfer erfordern wie alle US-Katastrophen von Vietnam über Afghanistan, Irak I, Irak II bis Syrien.

    Früher dachte ich immer die haben doch recht, wir sind doch die Guten und Fackelträger der Demokratie, und diese ist doch das beste System….Spätestens Corona hat mir vor Augen geführt, dass das völlige Illusion ist. Wir leben auch nur in einem komplett verlogenen irren System.

  2. Sie sprechen bier davon, Zeugnis ablegen zu wollen und führen Klemperer im Munde. Wer Zeugnis ablegen will, der muss hingucken können, wirklich sehen was ist. Und in Moment ist ein fürchterlicher Krieg, von dem Sie – wenn Sie wollten – nicht nur aus den Medien erfahren können, denen Sie nicht trauen, sondern auch aus den leeren Augen und den Erzählungen derer, die jetzt mitten unter uns sind. Damit meine ich ausdrücklich nicht nur Geflüchtete aus der Ukraine, sondern auch Menschen, die aus Russland kommen und erzählen, wie Sonderpolizisten Menschen die Beine auseinanderhalten, um ihnen besser in die Weichteile treten und schlagen zu können. Von all dem sprechen Sie nicht. Sie sprechen von ihrer Ordnungswidrigkeit. Ihre Augen sind nicht geöffnet. Sie sehen nicht viel. Sie haben sich entschlossen, nicht zu sehen.

    Dass es vor der Ukraine Irak und Syrien und Afghanistan, immer wieder Afghanistan gab, ist keine Entschuldigung dafür jetzt nicht hinzugucken.

    1. Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen sein sollte: Ich habe hier auch noch nie Zeugnis abgelegt von den aufgrund unserer Corona-Maßnahmen verhungerten und weiterhin verhungernden Kindern in Afrika und Indien, habe noch nie von ihren leeren Augen Zeugnis abgelegt. – Aber vermutlich sind die Ihnen zu weit weg, denn Sie schreiben ja etwas von denen, „die jetzt mitten unter uns sind“.
      Mitten unter uns sind seit vielen Jahren auch sehr viele RussInnen, die nun ihres Lebens hier nicht mehr sicher sind; mitten unter uns sind auch schon seit Jahren UkrainerInnen, die von den Asow-Neonazis aus dem Land getrieben wurden, nachdem diese offiziellen Regierungstruppen, denen wir nun begeistert „den Sieg“ wünschen, ihren Angehörigen Schlimmstes angetan hatten.

      Eine letzte Frage, danach werde ich keine Lebenzeit und erstrecht keine Buchstaben mehr auf Sie verwenden; schon gar nicht in Zeiten wie diesen, da man lernen muss, wie schnell man der Buchstaben verlustig gehen kann – eine letzte Frage also, und die ist mehr rhetorischer Natur:
      Ich kann Sie doch ohnehin nur enttäuschen. Warum also lesen Sie hier, Anonymous?
      Sind Sie so masochistisch veranlagt, dass Ihnen der Blick in die täglichen Nachrichten zur Erreichung Ihres Wunsch-Verzweiflungslevels nicht ausreicht?
      Wie gesagt: Diese Frage ist eher rhetorischer Natur.

Hier ist Platz für Ihren Kommentar. (Ich werde ihn lesen.)