Im Gulli versenkt

„Zeugnis-Ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Gestern, als ich vom Corona-und-Kriegswahnsinn-Spaziergang auf dem flitzeroten Fahrrad nach Hause radelte, habe ich mich und vor allem das flitzerote Fahrrad in einem Gulli versenkt.
So etwas ist mir bislang nur einmal passiert. Damals war ich direkt vor meiner Haustür und auf dem Weg zu zwei Menschen, von denen sich dann für den einen vor, für den anderen während Corona herausstellt, dass meine Einschätzung dieser Personen als „gut vertraute Freunde“ völlig falsch gewesen ist.
Damals war die Felge im Eimer – oder besser im unzentrierbaren Achter.

Heute kann die Acht im Rad wohl noch einmal zentriert werden. Dafür hab ich diesmal mehr Blessuren als damals (aber nix der Rede wert).
Ein witwesker psychoanalytischer Eisbär wie ich fragt sich natürlich: „Was will ich mir damit sagen?“, bzw. „Was will dieser unerträgliche Gnom namens Unbewusstes mir damit sagen?“
Und die Antwort liegt ja auf der Hand:
Nicht allein, dass ich meine Existenz in dieser protofaschistischen, nunmehr aber doch auch schon wieder Schuldlosigkeit vor aller Schuldermittlung einfordernden blinden, dumpfen Mitläufer- und hochgradig gewieften Täter-Gesellschaft als zunehmend sinnlos empfinde (wozu noch die Demonstrationsspaziergänge jeden Montag, wozu noch überhaupt die politische Arbeit unter solchen Menschen[massen]) – darüber hinaus standen das flitzerote Fahrrad und ich, bevor ich uns im Gullideckel versenkte, an einer Ampel (keine Metapher – oder?) etwa 50 Meter von meinem Arbeitsplatz entfernt, und ich sah die TeilnehmerInnen meines Sprachkurses gerade dabei, wie sie Kniebeugen machten, denn in der aktuellen Lektion geht es mal wieder um Gesundheit und den Imperativ.

„Beuget die Knie!“, fiel mir der Lebensmensch da in meinen Kopf, der diesen Singsang aus seiner Meßdienerzeit immer mal wieder zitiert hatte, um den menschlichen Wahnsinn – hier in Gestalt der katholischen Kirche – zu versinnbildlichen, und gleichzeitig den Widerstand dagegen, denn Meßdiener in der Südpfalz hatten allerhand auf Lager, um dem „Parrer“ seine Autorität im wahrsten Sinne des Wortes zu vernebeln.

All das zusammen da gestern Abend auf dem Heimweg von einem ebenso sinnlosen wie not-wendigen politischen Tun im Hochnebelniesel war wohl ein wenig zu viel. Aber dass es aufhören wird und jederzeit aufhören darf, habe ich aus meinem Leben #1 mitgenommen. Vielleicht lässt sich das flitzerote Fahrrad deshalb diesmal zentrieren (15 Euro), anstatt einer neuen Felge mit allem Pipapo (75 Euro) bedürftig zu sein.

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