„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)
Am meisten irrte, den größten Fehler machte ich mit mir – über 40 Jahre lang: Dass ich in der schlimmsten Not des geliebten Anderen so hilflos, so ohnmächtig, so egoistisch war, hätte ich zuvor nie für möglich gehalten.
Und werde es nie vergessen, mir nie vergeben.
Den zweitgrößten Fehler beging ich mit der „Mutter“ – mehr als 30 Jahre lang: Ich täuschte mich bereitwillig, saß der Ideologie auf, kam dann zunächst kurz in der Gleichgültigkeit an (und wäre der Tod nicht gekommen, hätte die eine Chance gehabt, sich weiterzuentwickeln zu endlich mal einem guten Ende). Und nun arbeite ich lange schon am Verstehen dessen, was da an Unheilvollem von Beginn an (auch ihrem, der Mutter, Beginn an!) war. Auch hier wird kein Vergessen mehr sein. Doch die Frage nach dem Vergeben stellt sich nicht mehr.
Der drittgrößte Irrtum unterlief mir mit der „besten Freundin“ – mehr als 40 Jahre lang. Anders als die Familie sucht man sich die Freunde aus; deshalb ist dieser Irrtum in gewisser Weise schmerzlicher für mich als der mit der „Mutter“. Doch wir waren damals 12, 13 Jahre alt – und verzweifelt. Da greift man zu allem.
Wir beide griffen damals fehl. (Wie sehr, das erschloss mir ein einziger Satz vor Jahren, der einfach nur unsere anorektische Allianz benannte. Was nun – 40 Jahre später – folgte, bezeugt nur unseren Irrtum von damals.)
Und auch hier werde ich nicht vergessen. Und nicht vergeben – mir meinen grausamen Irrtum nicht vergeben.
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Mir meiner Schuld immer bewusster kann ich heute allmählich damit leben.
Ich muss mir nichts verzeihen, muss mich nicht autoerotisch in Vergebungsumarmungen wiegen.
Ich kann mit meiner grausamen Schuld leben. Als Aufgabe. Bis an mein Ende.