„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)
Mir geht etwas verloren – vielleicht ist es auch schon fort –, und das bedrückt mich.
Mir geht die Kraft verloren.
Als vollausgebildeter witwesker Eisbär hatte ich so unglaublich viel Kraft in mir.
Ich konnte erst Gedichte und Romane schreiben, später dann politische Arbeit leisten, konnte mit anderen Menschen zusammen Ideen für ein allen Menschen zuträgliches Zusammenleben entwickeln, konnte eine Web-Zeitung redigieren und mit eigenen Beiträgen unterstützen, konnte für das Gemeinwohl und gegen die herrschenden Eliten und ihre Regierungen demonstrieren und eigene Demonstrationen dazu organisieren, konnte Reden schreiben und halten, performances mit anderen oder allein entwickeln und aufführen, konnte aufklärerische Rundbriefe zusammenstellen und verschicken. Und noch viel mehr.
Jetzt ist mir diese Kraft fast völlig verloren gegangen.
Sie wurde zerrieben vom autoritären Regime, was (nicht nur) in der BRD während der Corona-Jahre herrschte:
von den menschenfeindlichen und demokratiezerstörenden Regierungsentscheidungen dieser Zeit, die von machtsüchtigen WissenschaftlerInnen und JournalistInnen befeuert und von ebenso korrupten StaatsanwältInnen und RichterInnen aufrechterhalten wurden (und bis heute werden),
und sie wurde zerrieben durch die faschistoide Zustimmungsbereitschaft der Bevölkerungsmehrheit, die akzeptierte, dass die wesentlichen Menschenrechte im Grundgesetz jahrelang für ungültig erklärt wurden; dass eine Menschenminderheit aufgrund ihrer genetischen Andersartigkeit (wegen der Verweigerung einer experimentellen Gen-Therapie in Gestalt mehrerer Spritzen) aus dem gesellschaftlichen Leben weitgehend ausgegrenzt wurde; und die sich aktiv an der verbalen, polizeiknüppligen und per Ordnungswidrigkeitsstrafen betriebenen Hetzjagd auf diese Minderheit beteiligt hat.
Irgendwann währenddessen und danach ging mir meine Kraft auch verloren, weil ich – ohne davon überrascht zu sein – sah, dass auch viele von denen, die jener Menschenminderheit angehören (welche sich als „der Widerstand“ zu titulieren bemüßigt fühlt), genauso denken und handeln wie die Menschenmehrheit:
dass auch sie faschistoide Denkweisen praktizieren: zum Beispiel Autoritätskult und entsprechende Unterwerfungsbereitschaft, Ausgrenzungsfanatismus und Hetzjagdgelüste auf Minderheiten.
Wie soll ein witwesker Eisbär Kraft haben, für das Gute im Menschen zu arbeiten, für die Aufklärung (und die nahtlos zu ihr gehörige Erkenntnis ihrer Dialektik), wenn das, was er seit fünf Jahren erlebt, ihm fast immer nur sagt,
dass es kein Gutes im Menschen gibt und dass das Projekt Aufklärung&ihre Dialektik gescheitert ist?
Die wenigen Erlebnisse, die mir sagten und nach wie vor sagen, dass es das sehr wohl gibt und dass dieses Projekt nicht gescheitert ist – sie werden immer weniger.
Und ja: Ich selbst weise mich ja darauf hin, dass das, was seit Jahrtausenden läuft, nämlich das Projekt Aufklärung&ihre Dialektik, nicht binnen einer Generation auf jenes Level gebracht zu werden vermag, ab dem es wirklich in jedem Menschen beginnen kann. Ich schelte mich, weil ich so dumm bin, das zu wollen, ich lache über mich und meine riesengroße Ungeduld.
Nur geht mir meine Kraft verloren.