Nicht nur, wenn ich an die Menschen denke, die ich kannte und die ihr Ende bereits hinter sich haben, beunruhigt mich diese Frage.
Einer von ihnen ist gestorben, ohne sein Ende zu wissen.
Einer hat erst ganz kurz (Minuten) vor seinem Ende gewusst, dass jetzt sein Ende ist.
Und einer weiß bis heute nicht, dass sein Ende schon vor Jahren war.
Ich fühle mich am Ende.
Wieder einmal.
Ja, das war schon ein paar Mal so. Doch durfte damals mein Ende nie sein, so sehr ich es auch wollte.
Offenbar also war ich doch noch nicht am Ende angekommen. – Oder wollte ich dort nicht angekommen sein? Wie jene drei. (Aber die haben es doch trotzdem geschafft zu enden.)
Diese drei Menschen, deren Enden ich eingangs erwähnte, wollten, als ihr Ende kam, alle nicht an ihrem Ende angekommen sein.
Aber im Gegensatz zu mir erfuhren sie Gehaltensein (das Übliche: Liebe, Familie, Freunde, mehr oder minder lang zurückliegende berufliche Anerkennung – und keine Geldsorgen, jedenfalls keine, die sie selbst sich machen mussten, da so als Kranke).
Da endet es sich vermutlich schwerer.
Mehrfach habe ich im Gegensatz zu ihnen mein Ende selbst gemacht. Nie ist es mir – unter zum Teil absurdesten Umständen – gelungen (Ärzte bescheinigten mir, extremes Pech gehabt zu haben).
Jetzt fühle ich mich zum zweiten Mal während meiner Existenz am Ende selbiger.
Es fühlt sich anders an als da beim ersten Mal vor zehn, elf Jahren.
Jetzt sind weltweit menschliche Vernunft und Menschlichkeit an ihr Ende gekommen.
Das ist weltweit noch nie passiert.
Und jetzt lassen sich die letzten mir bedeutsamen Menschen „impfen“, weil sie entweder denken, dann „Schutz“ zu bieten und zu haben, oder weil sie verreisen wollen.
(Und für mich wiederholt sich auch da noch einmal alles: Die Erfahrung, dass es völlig sinnlos ist, wenn ich spreche, und die Angst um den anderen, die – wringt man sie analytisch bis zum Letzten aus – nur Verlassenheitsangst ist, so wie alle Liebe auch.)
Vielleicht habe ich jetzt eine Chance auf mein Ende.
Heute dachte ich: ist Nullsamkeit ein Wort? Also suche ich es und finde deine Texte und Bilder. Obwohl ich ihnen nicht genau verstehen kann, rühren sie mich. Der Tropfen des Gefühls doch schmilzt in der schwarze Leere.
Hätte ich Hoffnung, gäbe ich es dir. Regardless: thank you for showing what you write and what you draw.
Ja, „Nullsamkeit“ ist ein Wort. Und mindestens genauso sinnvoll wie „Einsamkeit“ oder „Zweisamkeit“, denn es beschreibt ebenfalls einen menschlichen Zustand. Glücklicherweise aber kennen den wohl nur wenige.
Ich habe das Wort in einem Gedicht gefunden, das ich am 30.01.2011 zu Ende geschrieben habe. Danach war zwingend, dass es auch der Titel für diesen Gedichtband sein würde, zu dem das Gedicht gehört. Damit Sie nicht lange darin suchen müssen (der Band ist hier auf meinem Blog veröffentlicht), kopiere ich es Ihnen unter meine Antwort hier (offenbar sind Sie jemand aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum. Ich lebte einst ein Jahr in den USA und weiß seither, dass sich Lyrik/Poetry nicht übersetzen lässt).
Ich wünsche Ihnen, der/die Sie auch hoffnungslos sind, alles für solche wie uns noch wünschbare Gute in dieser entsetzlichen Zeit!
Zettelfunde, Randnotizen:
Silbenwerk, zart hingetuscht,
fällt aus den verborgnen Ritzen,
Falten, Taschen – aufgesucht
in der Zeit der Nullsamkeit.
Stürzen sie vor einen Fuß,
rutschen sie in Hand und Eid,
hört es auf, das ganze Muss.
Marginalien, Hingekritzel:
Liebeswerk, sanft aufgehaucht,
haftet am Papier, dem Schnipsel,
wurd im Portemonnaie verstaut
und gefunden, jetzt nach allem.
Und gelesen und getrunken
– kaum zu sehen, kaum zu atmen –
und in sie hineingesunken.
(30.01.2011)
© Corinna Laude