Witwesker Ressourcenauf/sbau – ausgerechnet heute

Ressourcen
Gestern Abend, also vor wenigen Stunden, war ich mit der ersten Freikarte, die ich überhaupt je in meinen zwei Leben geschenkt bekommen habe, in einem Konzert.
Weil ich zweimal ein Abo der Bismarck-Oper für die billigsten Plätze gekauft habe (und es ein weiteres Mal in diesem Jahr vergeblich zu erwerben versuchte), habe ich dieses Geschenk erhalten. (Mit einem Kalkül übrigens, das aufging: Ich habe nun die ermäßigte Saison-„Card“ und bereits zwei Tickets für dieses Jahr noch gekauft …; leider aber kam ich für die billigen Karten zur Walküre zu spät.)

Diese Freikarte gab es für einen „Liederabend“. Und der war eine sehr interessante Erfahrung für mich Musik-Kretin.
Zwei Menschen am Flügel begleiteten die Sänger*innen – und ich hatte den Eindruck, einmal Zeugin des mechanischen Notenabspielens während einer Probe von Ballettelevinnen zu sein und einmal dem virtuosen Durchleben eines jeden Tones und seines Zusammenhangs mit allen anderen auf dem Notenblatt und als Klang in der Luft beizuwohnen.
Ich hatte bei manchen Sängern (ja: allein bei den Jungs) den Eindruck, dass eine tolle Stimme, wenn sie nur laut ist, alles verliert, und dass Lautstärkemodulationen nichts helfen, wenn die Stimme sich immer gleich bleibt.
Und bei den Sängerinnen hatte ich den Eindruck, dass auch da riesige Unterschiede trotz geteilter Disziplin durchs Detail gegeben sind: Wer sich nichts traut, bleibt flach, klein, quadratisch. Wer Mut hat zum Registerwechsel und dem Risiko, übers Ziel hinauszuschießen (einem Risiko, das sich jederzeit in eine neue, fernere Ziellinie transformieren kann, sofern – ja: genau: Glück&Mut/Mut&Glück), wird hingegen ungemein hörbar.

– Um all das für die einzelnen Künster*innen und ihre gestrige Darbietung behaupten zu können, fehlt es mir natürlich vollkommen an jeder Expertise. (Und damit logischerweise auch gänzlich am Vokabular oder eher: an der Terminologie.)
Aber mir wird das immer gleichgültiger.
Ich hör’, was ich hör’. (Und ich höre mehr als noch vor einem Jahr.)

Und – ja: Das freut mich! {Oha! Die Witwe freut was – ausgerechnet heute!}
Und es macht mir Spaß, lebendig/‚live‘ gespielter und gesungener Musik zuzuhören. Es macht mir Spaß, dabei Unterschiede zu entdecken. Und es macht mir Spaß, all das auf meine Weise für mich zu benennen. {Huijuijui: Der Witwe macht was Spaß – ausgerechnet heute!}

Dass die Magie einer musikalischen Aufführung (sogenannter klassischer Musik), bei der ich Zeuge sein darf, für mich darin besteht, dass dort – im Ton, dem ich beiwohne {jaja: „beiwohne“, denn natürlich hat das etwas Libidinöses, gar etwas Erotisches} – Vergänglichkeit und Ewigkeit zusammenfallen, habe ich mindestens schon einmal hier zu sagen versucht.
Dass ich nun langsam sicherer werde in meinem Geschmacksurteil, weil ich mit meinen ungeschulten Ohren Unterschiede höre und sie für mich mit meinen unmusikalischen Worten ausdrücken kann – das freut mich.
Nicht zuletzt auch, weil es mich neugierig macht auf weitere Hör-Erfahrungen. {Jaja: die alte Lern- und damit Lebensgier; tatsächlich. – Ausgerechnet heute so klar.}

~
Gestern Vormittag habe ich eine am Vortag spontan erbetene Integrationskursvertretung durchgeführt. Vorgestern Nachmittag habe ich die etwa eine gute (und leider wie immer unbezahlte) Stunde lang vorbereitet. Im Unterricht waren wir streikbedingt zunächst sechs Personen, dann nur noch zu dritt. Die Gruppe kenne ich von diversen Vertretungen: sehr nett, sehr kommunikationsfreudig und partiell auch sehr fit. Nunmehr sind sie in der Prüfungsvorbereitungsphase, und auch gestern haben wir dementsprechend etwas geübt, das immer von allen Prüfungsteilen fast am meisten Angst macht. Alle haben das gut bis sehr gut bewältigt.
Einer Teilnehmerin stiegen Tränen in die Augen, als ich ihr das sagte.
– Darüber wären mehrere Beiträge hier fällig.
Heute nur dies:
Auch das war ein Moment, in dem ich das Zusammenfallen von Vergänglichkeit und Ewigkeit spürte. (Wie durchaus öfter mal in diesen Deutsch-Kursen – und früher in meinen 15 Dozentinnen-Jahren als Altgermanistin an der Uni auf dem Weg zur Professur so gut wie nie; aber das mag seine Gründe auch allein in mir oder der Institution haben und vielleicht nicht in der Tätigkeit.)

Das Erleben dieser Momente schüttelt ein Kissen auf und lässt gleichzeitig seine Daunen überhaupt erst sprießen.
In der Psychologie nennt man das irgendwas mit „Ressourcen“.
Ich lege meinen Kopf darauf. Und weiß um die Träume, derer ich mir doch nie sicher sein kann.

– Ausgerechnet heute:

Hochzeitstag

Ich möchte aus der Haut perlen,
möchte aus meinen Augen laufen,
mich in Deine Blicke tröpfeln
und unter Deine Lider gießen.

Ich möchte aus der Spur schlagen,
möchte aus meinen Zehen wachsen,
mich unter Deine Sohle flechten
und in Deinem Schritt mich wiegen.

Wie vor Jahr und Tag,
fast noch sommerlich,
warm das Licht, gesagt,

uns das Wort gesagt,
noch ganz herbstzeitlos
– vor Jahr und Tag.

(10.10.2012)

(© Corinna Laude, aus „Nullsamkeit“)

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