Zum neuen Kurs einstweilen dies:
Wir sind gut gestartet (und werden wieder in Galaxien vordringen, die unzählige Menschen zuvor schon gesehen haben: zum Beispiel in die Verbkonjugation, die Wechselpräpositionen und die Adjektivdeklination des Deutschen, aber wir werden ganz gewiss derweil auch wieder ein paar neue Himmelskörper und mancherlei ungeahnte Bewegung im Kurs-Kosmos entdecken).
Und ich habe mich wieder daran erinnert, was für eine Knochenarbeit dieses allererste Modul doch ist; irgendwie vergesse ich das im Verlaufe der Kurse immer aufs Neue. {Nie habe ich in den 15 Jahren meiner „Universitätskarriere“ vor dem Witwesk jemals in einem Seminar eine solche Knochenarbeit leisten müssen – nie, noch nicht einmal in den Mittelhochdeutschkursen.}
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Jetzt aber treibt mich etwas anderes um und durch die Nacht (wieder einmal quer durch die Nacht, obgleich die Haut um meine Augen zilpt: „Mied!“). Wieder einmal habe ich Menschen aus meinem vorwitwesken Leben gegoogelt. – Ich weiß, ich sollte das nicht mehr tun. Doch das ist auch eine Form von Realitätscheck.
Dass die durchkommen.
Fast alle sind jetzt „ProfessorIn“ – manche davon auch nur apl., aber im Betrieb (gewesen) –, oder „Direktor“, oder „Leiterin“.
Von manchen von denen im Wissenschaftssektor kann ich im Netz textuelle Erzeugnisse lesen.
Einst nannte man einige dieser Texte „Aufsatz“ oder „Monographie“, „Seminarankündigung“ oder „Forschungsexposé“, heute würde ich sie allesamt „DFG-Antragsprosa“ nennen.
Es sind normierte Buchstabenfolgen (Ziele beispielsweise werden dort immer „verfolgt“, als seien es Tontauben – niemand HAT mehr Ziele), es werden hochverschwurbelte syntaktische Konstruktionen aufgefahren („intermediale Fragestellungen dienen Darstellungen von Rezeptionshaltungen“ – aber wenn eine Frage im Dienste einer Darstellung steht, ist es dann noch eine Frage?!) und Termini im Dauerfeuer abgeschossen (natürlich handelt es sich stets um „Deskription und Analyse“, um zumindest „Translation“ und „Transformationen“, wenn nicht gar um „Translokationen“, „Transversen“ oder „Transluminiszenzen“, gleichgültig, ob es zum Beispiel um „literaturwissenschaftliche Objektforschung“, „textuelle Medienkonkurrenz“, „Autorschaftsparatextualiät“ „Inversionspartituren“, „visuelle Topoi“ [besonders lustig, und leider sic!], „a- und reverse Asynchronien“, „Ideosynkrasien der Avangarde[n]“ oder sonstige „Affektationen“ geht).
– Und vor allem: Das ist ein jahrzehntealtes Programm, das ich ich da lese.
‚Körper – Ding – Materialität – Geschlecht – Gedächtniskonzepte – Autorschaft – Zeitvorstellung – Normativität – Text & Bild & Ton – Erzählformen‘ und so weiter und so weiter und so weiter – seit dreißig, vierzig Jahren ist das der Forschungskanon, nur hieß er damals zum Teil ein wenig anders.
Auch die Literaturangaben unter den Seminar- oder Vorlesungsbeschreibungen bedienen sich der Klassiker von einst, die schon ich Studentin als „Klassiker“ im Handapparat vorfand; ergänzt wird das heutzutage durch ein paar (wenige) zitierkartellgemäße aktuelle Tagungssammelbände und natürlich – nunmehr vollkommen schamlos – durch die eigenen Publikationen.
Neues habe ich jetzt bei der Lektüre nicht gelernt, doch habe ich auch nach wenigen Stichproben aufgegeben.
Ich weiß nicht, wer ich geworden wäre, wenn ich in diesem Betrieb verblieben wäre.
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Kürzlich sagte mir eine Person, sie finde es sehr schade, dass ich nicht dort weitermachen konnte, denn ich sei immer ein wenig anders gewesen als der Betrieb und die Menschen, die in ihm überdauern.
Ich indes weiß nicht, wer ich geworden wäre, wenn ich in diesem Betrieb verblieben wäre. Und ich kann es nun nicht mehr herausfinden. {Manchmal wüsste ich es sogar noch heute, hier im Witwesk, gern. Aber vielleicht wäre ich blind geworden, wenn ich dort verblieben wäre (das Risiko ist groß). Und dann hätte ich es auch nicht gewusst.}
– Ich weiß nunmehr aber, dass es durch und durch ungerechtfertigt und ungerecht ist, dass Menschen, die diese Tätigkeiten ausüben (vom WiMi bis zum Prof.), das drei- bis zehnfache (und mitunter noch mehr) einer Integrationskurslehrkraft ‚verdienen‘.
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Es gibt langsam zwei emotionale&rationale&lebensweltliche Wahrheiten hier im Witwesk; beide haben mit „Durchkommen“ nichts mehr zu tun:
1. Als ich noch nicht hier war, habe ich mich viel zu ernst genommen. (Und habe beispielsweise selbst mitunter und zunehmend akademische Antragsprosa verfasst.)
2. Seitdem ich hier bin, lerne ich ganz neu Allein-Sein als Allein²Sein, also als jetzt Icheisbärsein (’tschuldigung: Alleinsein per se konnte ich schon, seitdem ich denken kann, ziemlich gut), lerne ich ganz neu reales und drohendes pekuniäres Armsein, ganz neu über mich zu lachen, ganz neu Deutsch, ganz neu Klassische Musik und womöglich auch noch ganz neu das Schreiben.
Und vielleicht gibt es noch eine dritte emotionale&rationale&lebensweltliche Wahrheit hier im Witwesk, ein drittes Lernen, ganz, ganz sachte: Noch ist es eine Luftspur, ein Geruch, etwas, das mir kurz über die Haut streicht, und über meinen Kopf – dabei kommt es doch aus dem heraus, oder?
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Und ich werde mich bis an mein Ende erinnern:
Wir durften nicht durchkommen. Durch so ein statistisch in der BRD „normales“ Leben, als Akademiker.
Undgottverdammt! Er hätte das so viel mehr verdient!