Ein bisschen nervös

139 Was ich kann
ist der witweske Eisbär. (Und es darf wirklich aus voller Kehle gelacht werden, wohl- und übelmeinend.)

Und ein wenig gerührt (morgen dann auch sturmgeschüttelt auf dem flitzeroten Fahrrad) ist der witweske Eisbär:
Kurs-Abschluss. Sage und schreibe (ich staune und erschrecke) der fünfte Kurs ist beendet.
Ein Abendkurs dauert etwa ein Jahr. Mithin bin ich nun bereits fünf Jahre mit dieser nebenberuflichen (neben was eigentlich mittlerweile? – Aber das ist ein anderes Thema) Tätigkeit beschäftigt. Einer Tätigkeit, die – wie hier oft schon dargelegt – vom Bamf konzipiert und „honoriert“ wird zu menschenverachtenden Bedingungen: bestenfalls 35 Brutto-Euro Stundenhonorar und dann stets minus ca. 38% Sozialversicherungsabgaben vor Steuern (man ist ja „selbstständig“, muss aber Bamf-zertifizierte „Lehrwerke“ [= Kursbücher] einsetzen, sich der TeilnehmerInnen-Zuweisung beugen und jeden Tag wieder einen ganzen Lastwagen voller Bamf-Formalitäten über die TeilnehmerInnen rollen lassen), kein Geld für Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, kein Geld im Krankheitsfalle, kein Urlaubsgeld.

Mein spätestes Sterbedatum, das mich vier Jahre durch die Existenz im Witwesk getragen (wohlgemerkt!) hat, als die noch gar nicht fassbar, sondern alles nur ohne Fassung war – mein spätestes Sterbedatum also steht auf der Rückseite des Fotos vom Lebensmenschen, das ich irgendwelche Wochen nach dem Tod verkehrtherum auf meinen Schreibtisch stellte, nachdem ich den irgendwann an seinen neuen Platz hatte stellen müssen.
Das Foto steht da, genauso, bis heute.
Das Datum ist längst verfallen. Manchmal bin ich saure Milch: flocke aus und rieche grauenhaft.
Ein neues Sterbedatum habe ich mir nicht gesetzt. Aus Feigheit oder aus Weisheit?

Mit jedem neuen Kurs, der an sein Ende kommt, denke ich an mein spätestes Sterbedatum und seinen Verfall. Dann schäme ich mich, freue mich und sitze mir als Krähe auf der Schulter: sehe mir zu, sehe mich an – und finde das, was ich sehe, fremd. Was wohl ganz natürlich ist.

Bin ich in der Lehrerinnen-Rolle, wurde ich bislang noch ein jedes Mal gerührt (und ein wenig geschüttelt), wenn Kurs-Abschluss war – so auch jetzt wieder.
Zu sehen, was nicht alle, aber viele gelernt haben (dass jetzt manchmal das Verb im Nebensatz tatsächlich an dessen Ende rutscht – und ja: Das ist verdammt schwer!), die Persönlichkeitsschritte, die alle gemacht haben, und die – ja: Zärtlichkeit, mit der die TeilnehmerInnen sich verabschieden, buchstäblich lachenden und weinenden Auges, und vor allem: dankbar und stolz – das bewegt mich ein jedes Mal.
„Bindung“ & „narzisstische Befriedigung * “ { „Scheiße“, findet eins hier. „Aber Wahrheit“, sagt ein anderes hier. „Und ist nicht auch diese Ambivalenz »rührend«“, sagt ein drittes hier; mir gefällt seine Abschätzigkeit nicht so ganz, aber was weiß denn ich. }

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Ein bisschen nervös bin ich, weil morgen mein sechster Kurs startet und ich ihn diesmal allein beginnen werde, da meine mir lieb und teuer gewordene Kollegin einstweilen verhindert ist.
Noch nie habe ich die ersten beiden Tage unterrichtet, immer erst den dritten und vierten Kurstag.
Und noch nie habe ich einen AnfängerInnenkurs mehrere Wochen allein unterrichtet.

Eins in mir sagt: „Wird spannend; wird vielleichtvielleichtvielleicht dein erstes Scheitern in ‚der Lehre‘ überhaupt.“
Eins in mir sagt: „Kannste. Weißte. Machste. – punto“
Eins in mir sagt: „Neben-Business as usual, nicht wahr, Schätzelchen; aber wo war doch gleich das Haupt- und Staatsgeschäft des Witwesks.“

Ich – möchte mir die Hirnohren zuhalten.

Und ans Meer.
Statt dessen geht es mit spontan gekaufter Karte am nächsten Samstag in Cherubinis Médée, als Carte blanche auf ein Gelingen der ersten Kurswoche.

PS: Was mir in der Lehrerinnen-Rolle immer aus meinem witwesken Egoshooter heraushilft: Ich denke daran, dass für fast jede Teilnehmerin und fast jeden Teilnehmer der erfolgreiche Besuch eines Integrationskurses – oder schlicht: hinreichend Deutsch zu lernen – für die von ihnen gewünschte oder ihnen vom Leben aufgezwungene neue Lebensperspektive die unumgängliche Basis ist. Und dass Wünsche nach Lebensperspektiven zu respektieren sind. Und Eigenes dahinter zurückzustehen hat.

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* Dafür gibt es diesmal kaum einen Grund: Ich habe das mit Abstand schlechteste DTZ-Ergebnis all meiner Kurse eingefahren.

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