„Zeugnis-Ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)
Genau besehen, war es nur eine Frage der Zeit.
Bis ich mich von den Freien Linken wieder verabschieden würde. Denn auch die sind wie heutzutage hierzulande alle Linken: konfliktunfähig und selbstverliebt, harmoniesüchtig und betriebsblind.
Und jetzt zensieren sie auch noch. – Wie immer natürlich sich auf der Seite der Guten wähnend, derweil sie weibliche ‚Genossen‘ (jaja: sie sind ja alle ganz strikt gegen das Binnen-I), die die Wahrheit über ihr ausgefallenes rechtes Sichtfeld sagen, per Shitstorm (im 3,5-Mann-Wasserglas) wegblasen wollen und sich dazu ernsthaft des uralten frauenfeindlichen Topos vom „zänkischen Weib“ bedienen. – Als der mir nun auch noch unterkam, wusste ich endgültig: So viel Dummheit ertrage ich nicht mehr.
Doch eigentlich reicht es mir seit über einem halben Jahr.
Wenn dort kein kritisches Denken möglich ist, bin ich dort nicht möglich.
– Zensieren aber lasse ich mich von niemandem, schon gar nicht von irgendwelchen Möchtegern-„Linken“, die kein kritisches Denken aushalten (geschweige denn können).
Deshalb:
Neulich bei den Freien Linken
Von Corinna Laude
Wenn ich bei den Freien Linken bin, dann ist das wie im Fitness-Studio für Menschenerfahrung.
Am Anfang hat es mich Wochen gekostet zu begreifen, dass es zwei Gruppierungen gibt, die diesen Namen tragen, weil ihr Gruppen-Symbol auf Telegram so ähnlich aussah. Während dieser Wochen wollte ich so manches Mal schreiend davonlaufen, wenn ich in der einen dieser beiden Gruppen mitlas, und sofort mitarbeiten, wenn ich das in der anderen tat, was zu einiger Verwirrung führte – nicht nur bei mir.
Dann erfuhr ich von der „großen Spaltung“, die ein noch größerer Mythos war als der Ursprungsmythos der FL selbst. Allein: die Axt, die das bewerkstelligt hatte, wollte mir niemand zeigen. Mittlerweile weiß ich, dass es sie nicht gibt, sondern dass es vielmehr etliche kleine Risse, Reibungen und Ressentiments waren, die etwa ein halbes Jahr nach Gründung auch schon wieder zum Ent-Zwei geführt hatten.
Alternativen find’ ich immer gut, das große Einssein weniger. Also dachte ich: Genau richtig!
Zumal, als dann ein weiterer Buchstabe im Namen der anderen Freien Linken auch für weitere Klarheit im Erscheinungsbild sorgte. Diesen Buchstaben freilich überlesen manche bis heute, wie ich gerade wieder erfahren musste, als ich für Beiträge der Freien Linken mit dem Extra-Buchstaben zur Rechenschaft gezogen werden sollte. (Den Extra-Buchstaben kann ich derzeit noch schreiben: Er lautet Z. Doch wie man hört, schwindet er seit einigen Monaten aus verschiedenen digitalen Schreibprogrammen, sobald man ihn solo oder auch in Abbreviaturen verwenden möchte; vielleicht ist nun ja „Nollops Vermächtnis“ auch über uns gekommen.)
Die Z-ler unter den Freien Linken (FL) – als wollten sie ihrer Buchstaben-Vervollkommnung gerecht werden – schreiben viel. Um nicht zu sagen: Sie schreiben nur. Und sind schon längst in ein Sekretariat umgezogen.
Die FLer ohne Z schreiben wenig und tun viel. – Wie gesagt: Alternativen find’ ich immer gut, also bin ich da genau richtig.
Wiewohl – das sehen andere anders. Das habe ich nun schon öfter erfahren, da in diesem Menschenerfahrungsfitness-Studio.
Zum Beispiel das mit dem Linkssein. Seit Monaten ringe ich um eine für mich praktikable, also alltagstaugliche Definition, die Plattitüden vermeidet. Mein Ringen beäugen andere stirnrunzelnd, kopfschüttelnd gar: Das seien doch eh obsolet gewordene Kategorien – Mit den alten Begriffen verschrecke man nur die Leute – Wer wolle denn heute noch was vom Klassenkampf hören oder gar davon, dass er ein „Lohnabhängiger“ sei – Wir seien doch allesamt eine Menschheitsfamilie …
– Moment mal ! Wer „wir“ ?! Kriecht da etwa das große alternativlose Einssein hervor?
Und nochmals „Moment mal !“ Menschheitsfamilie ?! Diesen Begriff versuchte ich zu recherchieren, weil er mich intuitiv anwiderte (mir reicht schon die eigene blutige Verwandtschaft, da brauche ich keine mit der gesamten Menschheit). Ich stieß bei der Recherche auf die üblichen Verdächtigen – und da ließ ich mein Fitness-Studio-Abo erst einmal ruhen: Diese Menschenerfahrungen hatte ich bereits zur Genüge gemacht, dafür musste ich jetzt nicht erneut auf die Hyperextensionsbank.
Ich reduzierte also in diesem Sommer mein Abopaket auf Laufband und Crosstrainer – Ausdauertraining für Fortgeschrittene mit Schäden am Erfahrungsapparat. Außerdem kann man da gut seine Blicke und Gedanken schweifen lassen.
Beim Blickeschweifen beobachtete ich im Spätsommer eine Vorturnerin. Sie war mir schon zuvor aufgefallen, weil es von denen – m/w/d – in der FL eigentlich keine gibt. Diese Person aber hatte sich hochgeturnt zur stimm- und meinungsstarken Linksuencerin mit eigenen Kanälen, eigenen Followern, eigenen Merchandisingartikeln und natürlich eigenen Ego-Problemen.
Mir tat sie von Anfang an auch ein wenig leid, wie sie da als Demoeinsatz-Übung so rumpf- und kniebeugte, Megafon-Training absolvierte (immer noch ein Dezibel mehr), die Spiegelwände immer dichter um sich stellte.
Und mir taten ihre Fans leid, die allesamt nur die von ihr angebotenen sixpack-Kurse besuchten, und bei denen ich mich immer fragte, warum sie sich nicht darüber wunderten, dass es nur dieses eine Kurs-Angebot im ganzen Studio gab.
Jetzt aber hatte ich die Vorturnerin dabei beobachtet, wie sie im Geräte-Depot mit einem selbstbekennenden Rechtsradikalen (wie kam der hier ins Studio?!) auf den Yoga-Matten kuschelte.
Ich stellte sie zur Rede.
Sie stellte mich stumm, indem sie mich des Trainingsraums verwies, zu dem sie den Schlüssel besaß. Wie sich herausstellte, durch ein tütteliges Versäumnis (typisch für das selbstverwaltetet Studio) in Alleinbesitz.
Doch hatte es natürlich Zeugen gegeben.
Nun ist der Raum wegen Grundsanierung geschlossen. Es könnte sein, dass der Schimmelbefall so arg ist, dass er abgerissen werden muss. – Was war geschehen?
Die Vorturnerin hatte versucht, einen neuen Kurs anzubieten: „Entspanntes Kuscheln mit Rechten“. Sie hatte – ganz dem neoposthistorischen Pilates entsprechend – miniaturistische Trainingseinheiten entwickelt: Mal da ein zärtliches Winke-Winke zu Neonazis, mal hier ein winziger Hass-Stepp über MigrantInnen.
Doch sie hatte nicht bedacht, dass Freie Linke Räume sind wie Freie Linke selbst: LINKS und frei.
Zwar sind sie nicht die Schnellsten, und auch nicht die Stärksten, aber wenn sie einmal Ungerechtigkeit, kapitalistische Interessen, Rassismus, Faschismus – und Bigotterie – aufgedeckt haben, dann demontieren sie diese Konstruktionen bis auf die Grundmauern. Auch im eigenen Hause.
Und fangen neu an.
(Mein Tagtraum endet hier so schnell, wie er begonnen hat. – Wo hat er wohl begonnen?)