Gehen, nicht zerreißen

„Zeugnis-Ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Bei der letzten Montagsspaziergangsdemonstration gröhlten mir erstmals hinter ihren Rieslingen, Aperol Spritzens und Champignonschäumchen an veganem Rinderlendenjus die 65+ Grünen und Lincken [sic!] im Lentz am Stuttgarter Platz und die in der Kastanie in der Schlossstraße wahlweise entgegen: „Haut ab!“ [und ich bin mir mittlwerweile sicher: Die meinten beides mit „Haut“!] oder „La-la-la-la-la-ihrseidgarnichda“.
Die Wirtssklavin der Lentz-Gästeschaft war kurz davor, zu zerglühen in all ihrer Aggressivität. In der Kastanie fand sich für die Infantilität kein Feuerbecken mehr.

Was hatte ich getan?
Ich war Teil einer angemeldeten Demonstration. Ich sprach (durch ein Megaphon) über das Sachverständigengutachten der Bundesregierung und des Bundestages zu den Corona-Maßnahmen.
Am Stutti zwei Restaurants weiter sprach ich durch dasselbe Megaphon über den Krieg.
Es gab lautstarken Applaus.
Was hatte ich getan?

~ ~ ~

Langsam verwandelt sich der in mir durch die Menschheit ausgelöste Ekel in – ja: in ein, nein: in mein Lachen.
Wer zu lachen vermag, bewahrt bekanntlich das einzige, das den Menschen ausmacht: seine Würde.
{ Wie sehr habe ich es in unseren letzten Wochen vermisst, dass wir nicht mehr lachen konnten (und der Lebensmensch womöglich auch; ich bin mir da nicht sicher). Das wird mir jetzt, nach 12 Jahren erst vollumfänglich klar. }
Nun also, gerade nach dem vorgestrigen Tag, den ich überwiegend auf dem flitzeroten Fahrrad nach langer Zeit wieder einmal beim Auto- und Fahrradkorso verbrachte, merke ich: Dieses Erstickungsgefühl, das mit dem Ekel einher geht, löst sich (heute, morgen ist das vielleicht wieder ganz anders). Es löst sich und ich habe ein freies Bedürfnis zu lachen.

Vielleicht deshalb dieser Text: https://freie-linke-berlin.de/rotor/neulich-hinterm-megafon/

4 Gedanken zu „Gehen, nicht zerreißen

  1. Sehr geehrte Frau Dr. Laude,

    das Lentz am Stuttgarter Platz hat schon seit langer Zeit geschlossen. Dort sitzt niemand mehr. Als Sie an besagtem Montag am Stuttgarter Platz vorbei an den Restaurants spazierten und durch Ihr Sprechgerät sprachen, saß ich in einem dieser Restaurants (bei Mineralwasser und gebratenem Reis für 4 Euro), und wundere mich, wie mir der aggressive Mob entgehen konnte, der sie da so bedroht hat. Ich hätte Ihnen nämlich durchaus mehr Aufmerksamkeit gegönnt für Ihren Kundgebung, weil Sie und Ihre 13 oder 15 Mitstreiter durchaus bemüht waren und ich es mir frustrierend vorstelle, wenn man ungeachtet aller Bemühungen per Sprechgerät so ganz und gar ignoriert wird und selbst die Polizistin, die nebenher schlurft, in Gedanken schon im Feierabend ist.

    Ich freue mich, dass Sie trotz der ekligen sie umgebenden Menschheit Ihr Lachen finden konnten und möchte Ihnen gleichzeitig mein Mitgefühl aussprechen, denn dort oben bei Ihnen am Gipfel (der Klarsicht, Trauer, der Bildung, der Rechtschreibkompetenz) stelle ich es mir sehr einsam vor. Es ist vermutlich nicht leicht, so viel besser zu sein als der Rest von uns und soviel mehr zu leiden und zu trauern als der Rest der Ekelmenschheit.

    Alles Gute
    wünscht ein ekliger Mensch, der am Stuttgarter Platz manchmal gebratene Nudeln isst

    1. Sehr geehrter Mensch,

      danke für Ihren Kommentar!
      Mich wundert, dass Sie sich diese Mühe gemacht haben.

      Ich darf Ihre Anmerkungen aufgreifen und bin dankbar für all Ihre Korrekturen:
      – In der Tat heißt das Lokal nicht mehr „Lentz“, sondern irgendwie anders, doch es verkehrt darin noch dasselbe Publikum.
      – Wir zählen jeden Montag akribisch durch: Aktuell sind wir allmontäglich etwa 30-40 SpaziergängerInnen. Das ist im Vergleich zu den 200-250, die wir im Winter waren, lächerlich. Doch müssen wir nun leider hoffen, ab dem 1. Oktober deutlich Zulauf zu erhalten.
      – Als die Gäste des Lokals, das ehemals „Lentz“ hieß, uns ihre Gesänge entgegenbrüllten und die Wirtin auf mich zugestürmt kam und mich anherrschte, sofort zu schweigen und schweigend weiterzugehen, war keine Polizistin und kein Polizist neben mir auf dem Bürgersteig, um unsere Demonstration zu schützen (was ihr Auftrag ist). Denn an jenem Tage begleitete uns nur ein Polizei-PKW (und der war an der Spitze unseres Zuges etwa 50 Meter voraus auf der Straße) sowie zwei FußpolizistInnen ganz am Ende des Zuges. – Vielleicht verwechseln Sie, werter Mensch, also den einen Montag mit einem anderen? Denn wir spazieren ja nun jeden Montag dort entlang und wir klären jeden Montag per Megafon dort auf.

      Besten Dank auch für Ihr Mitgefühl! Doch seien Sie versichert: Das brauchen Sie mir nicht auszusprechen, denn da schließen Sie zu sehr von sich auf mich. Im Gegensatz zu Ihnen, der da mitfühlend wird, weil er es sich „sehr einsam“ und „nicht leicht“ vorstellt, schätze ich es, allein zu sein und allein dazustehen.

      Ich kann nur noch einmal wiederholen, was ich eingangs schrieb: Mich wundert, dass Sie sich die Mühe dieses Kommentares gemacht haben.
      Denn was man lächerlich findet, dem schenkt man keine Beachtung.
      Sie aber widmen mir etliche Worte, aus denen Ihre verkappte Aggression spricht. Offenbar habe ich ins Schwarze getroffen.

      Vielleicht treffen wir uns, wenn Sie dann – hm, lassen Sie mich kurz rechnen: Sie sind bestimmt schon geboostert, vielleicht sogar schon gefourstert, dann müssen Sie sich im November die 5. Spritze abholen, um der Grundrechte im Namen des Regimes teilhaftig werden zu dürfen, und damit steigt Ihr Risiko, einen schweren Impfschaden zu bekommen, auf 1 zu unter 1000 -, also: vielleicht treffen wir uns dann im November beim Spazierengehen. (Ihre 4-Euro-Auswärtsnudeln übrigens kann ich mir schon lange nicht mehr leisten.)

      Beste Grüße aus dem Witwesk
      von Corinna Laude

  2. Ach Corinna, wenn Leute mit abbezahlten Eigentumswohnungen in Charlottenburg darüber jammern, dass sie sich keine 4 Euro Nudeln leisten können, dann drängt sich zumindest mir der Gedanke auf, dass dieser Lifestyle eine bewusst gewählte Attitüde ist… Einfach Wohnung verkaufen und Pasta bestellen. Bon Appetit.

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