Sommer

„Zeugnis-Ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Das ist bislang der intensivste Sommer meiner beiden Leben.
Weder in Leben Nr. 1 noch im zweiten habe ich bisher so genau begriffen und gespürt, wie unsäglich kaputt diese menschliche Gesellschaft ist.

Es gibt allein hierzulande auch im letzten Jahr wieder 100.000 neue Pandemie-Millionäre.

Die Zahl der Tafel-„Kunden“ hat sich verdoppelt, ein Drittel der Tafeln nimmt keine neuen Menschen mehr als „Kunden“ auf.

Im globalen Süden krepieren weiterhin 200 Millionen Menschen mehr an Hunger als „vor Corona“.

In den letzten beiden Sommern meines Lebens Nr. 1 habe ich sehr genau begriffen und intensivst gespürt, was unsere Sterblichkeit bedeutet.
Seither spüre ich meinen Weg. Und werde mir auf dem immer sicherer, dass (sofern kein Unfall mir das abnimmt) ich mein Leben selbst enden werde, kein Arzt. (Und dass ich es wahrscheinlich auch nicht riskieren werde, es überhaupt dazu kommen zu lassen. – Das ist dann ganz wahr und wahrhaftig „eine Frage der Zeit“.)

In den letzten beiden Sommern meines zweiten Lebens habe ich nun mitansehen müssen, wie todesversessen die Gesellschaft speziell hierzulande ist:
Sie wählt, angstfanatisiert, statt des Lebens und seiner Lust eine Existenz im Dauertod der sicheren Käfighaltung.
Und sie sieht nicht – denn der Maulkorb bedingt auch Erblindung – die Profiteure ihres Dauertods in Käfighaltung.
Und jetzt, im dritten Sommer dieser gesellschaftlichen Todesversessenheit, erlebe ich mein Leben als ohnmächtiger Teil dieser todesfanatisierten Gesellschaft so intensiv, wie ich mein Leben über längere Zeit hin wohl noch nie in einem solchen Ausmaß intensiv erlebte.

Jeden Morgen findet sich in meinem Kopf der Gedanke ein, dass ich kämpfen muss. Für die Menschlichkeit, für das Überleben der Gattung, für die jetzt schon lebenden Kinder.
Jeden Morgen gesellt sich zu diesem Gedanken der Zweifel, ob das irgend sinnvoll sei.

Vielleicht kann ich auch einfach zerreißen.
Einen Tod werde ich sterben, ich wünsche mir meinen, in Kampf und Zweifel zu zerreißen, wäre einer meiner Tode, es gäbe schlechtere.

Einfach zerreißen. – Darauf lasse ich es einstweilen ankommen.

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