Gnade, vielleicht jetzt doch endlich

252 Gnade

Gnade mit der Gattung, der Krone der Schöpfung [s. Gottfried Benn: Der Arzt II] durch die Schöpfung in Gestalt einer allen sich auf Haupt und Mund und Rachen und Lunge setzenden Krone?

Langsam frage ich mich: Womöglich meint es dieses Corona-Virus gar gut mit der Gattung?

Die Gattung Mensch in den G7- oder eher wohl in den G-20-Staaten erwartet aktuell, dass ein jeder einzelne von ihr mindestens 78 Jahre, wenn nicht mindestens 85 Jahre alt wird – und das glücklich. Und in zehn Jahren dann nochmals glücklich zehn Jahre älter. Und in zwanzig Jahren dann nochmals 20+x Jahre älter in vollkommenem Glück. Und dann irgendwann gar nicht mehr stirbt.
Das erwarten die Menschen in diesen Ländern aktuell. Und ihre Erwartungshaltung wurde erzeugt und wird seither gefüttert durch waghalsige demographische Hochrechnungen irgendwelcher Institutsvorstandsvorsitzenden und durch irrsinnige Versprechungen irgendwelcher Hi-Tech-life-sience-Gurus.

Okay. Ich bin ein witwesker Eisbär. Ich finde die Vorstellung von „Unsterblichkeit“ grausam.
Gleichgültig, ob es sich nun um das uralte religiöse Konzept der Seelen-Unsterblichkeit handelt oder um die rezente narzisstische Hoffnung auf die eigene Komplett-Unsterblichkeit.

Die Vorstellung, nie enden zu dürfen – das ist für mich das größte Grauen.

Unendliches Paradies, Tag um Tag Seelenfrieden, und morgen genau das Gleiche wieder von vorn (denn irgendwann nach ∞-Umläufen ist alles gleich) – welch unsägliche Hölle. {Und ich bin sicher: Auch wenn der Lebensmensch dort wäre – nein: Erstrecht, wenn er dort wäre: UNSÄGLICHE Hölle für einen jeden!}

Das aktuelle Corona-Virus lässt die Gattung „Mensch“ nun in einer größeren Zahl als bislang im Alter von 75, erst recht im Alter von 85 oder 95 Jahren sterben. (Und wie jedes Virus und jede Krankheit lässt es auch manche jüngeren Menschen sterben. Viele davon adipös oder zumindest so übergewichtig, dass es zum Diabetis reicht, viele davon RaucherInnen. Und manche davon kerngesund – wie immer bei tödlichen Krankheiten.)
Um das zu verhindern, verabschiedet sich die Menschheit gerade – temporär – vom Kapitalismus und damit von ihrer Wirtschaft. Das wiederum hat zur Folge, dass Milliarden von Menschen verarmen und/oder hungern und/oder verhungern werden, die meisten davon Kinder und Jugendliche.
– Wenn damit dauerhaft dem Kapitalismus der Garaus gemacht wäre, gäbe es ja Hoffnung.
So aber, so werden die Milliarden Toten wieder vergebens sein, denn der Kapitalismus wird fröhliche Urständ feiern. Und umso brutaler zurückkehren, wie schon so oft, wie noch ein jedes Mal.

Und es wird sie irgendwann geben: die unsterblichen Menschen.
Und sie werden das dann nicht mehr rückgängig machen können. Und sie werden sich täglich mehrfach selbst schreddern. Doch sie werden es nicht mehr rückgängig machen können.

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Vielleicht aber ist all dem nun das Kronen-Virus vor. Eine minimale Chance besteht.

Hier ist Platz für Ihren Kommentar. (Ich werde ihn lesen.)