„Zeugnis-Ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)
Vor über fünf Wochen schrieb ich einem von der Ordnungswidrigkeitsanzeige, die ich kassiert hatte, weil mir von der Polizei vorgeworfen wurde, dass ich spazieren gehen würde. Und ich schrieb ihm, dass ich sie nur deswegen kassiert hätte, weil er – zusammen mit etwa 65-70 Prozent der Menschen in diesem Land – ein faschistoider Mitläufer sei.
Seither herrschte Schweigen zwischen uns. Mir war das sehr recht. Ich dachte, alles sei gesagt.
Heute erhielt ich einen Anruf von diesem Menschen – weil doch Ostern ist.
Ich war überrascht. Und ich war auch wütend. Während ich meine Überraschung und Wut zu sortieren versuchte, war ich extem wortkarg am Telefon.
Mit Schweigen kann kaum jemand umgehen. (Der Lebensmensch war einer der wenigen, der das passiv und aktiv konnte.)
Das etwa 3 Minunten lange Telefonat endete damit, dass der Anrufer mir sagte, dass es außer Corona doch noch Dinge gebe, die uns verbinden würden, worauf ich ihn fragte: „Was?“, und dann erwähnte, dass er mir auf meine ihn zweifelsohne verletzende Mail nie geantwortet hätte, in der ich ihn einen faschistoiden Mitläufer nannte und von der Anzeige erzählte, die ich erhalten hatte.
Daraufhin sagte der Anrufer, dass er von meiner „Querdenkerei“ nichts hören wolle, worauf ich ihm sagte, dass ich von ihm keinen Anruf mehr empfangen möchte.
Wir beendeten mit Alles-Gute-Wunsch-Floskeln das Gespräch.
Der Anrufer war ein einst mir bedeutsamer Mensch.
Die Situation, in die er mich da heute gebracht hat, war mir nicht neu:
Bereits vor einem Dreivierteljahr verlangte eine Freundin von mir, „doch nicht nur über Corona zu reden, weil es doch noch so viel anderes gibt“. – Und ich fragte diese Freundin, die ich damals zum letzten Mal sah: „Was? Was gibt es denn außer Corona noch anderes?!“
Sie holte aus: ihre Familie, ihre Arbeit, ihre Freizeit. – Ich antwortete: „Schön, wenn Du solche Idyllen noch hast. In meinem Leben sind Arbeit und Freizeit von Corona besetzt, denn ich darf – wenn überhaupt – nur online arbeiten, und ich darf kaum noch eine Freizeiteinrichtung nutzen; dass ich keine Familie habe, weißt Du ja. Und denkst Du, dass ich es lustig finde, mit Dir Treffen zu bestreiten, bei denen Du mir dann von all Deinen Lustbarkeiten in Familie, auf Arbeit und bei Freizeitaktivitäten erzählst, die mir allesamt verboten sind?“
Jener heutige Anrufer hätte von gar keinen solchen Idyllen mehr zu erzählen gehabt.
Aber offenbar gibt es unzählige Menschen, die es hinreichend finden, mit anderen Menschen über das Wetter zu schwatzen.
Entschuldigung, aber für Eure Schwatzbedürfnisse stehe ich, der Ihr mir offen sagt, dass Ihr von mir nichts mehr hören wollt außer Wetter, nicht zur Verfügung.
Lebt Eure Verlogenheit andernorts aus!