(Nochmals etwas Persönliches) Witwesein sagen und Ausgrenzung folgt, wieder, immer wieder

Das Leben und die Toten
Gestern war ich beim Zahnarzt: Notfall.
Im letzten Jahr hatte ich – seit etwa 20 Jahren – wieder einmal eine Kronen-Behandlung. Und nun hat am Pfingstsonntag eine davon ihren Geist aufgegeben. (Das ist mir auch noch nicht passiert. Bisher hielten die Dinger mindestens 24 Jahre.)

Leider war es mit blankem neuerlichem Einzementieren nicht getan. Ich war drei Stunden beim Zahnarzt. (Alles nicht schlimm. Keine Schmerzen, jedenfalls für mich nicht, irgendwann kam sogar eine Spritze, die ich nicht mag. Ein sehr engagiertes neues Team; eine herrlich in ihrem Job aufgehende junge Ärztin.)

In drei Stunden kommt das Gespräch – selbst bei ZahnärztInnen, also während man da offenen Mundes rumliegt – auf so Manches.
Worin ich denn promoviert hätte.
Aha, das sei ja sehr interessant. Und was ich denn da so arbeiten würde.
Ich habe geantwortet, dass ich da nicht mehr arbeiten würde.
„Und darf ich fragen, warum nicht?“, so fragte die Zahnärztin zurück (die altersmäßig vermutlich mein Kind sein könnte).

Ich saß da, mit meinen Wattedings und Betäubung (war irgendwann doch nötig geworden wg. Elektrotom) und sonstwas im Mund und war – wie fast immer –
sinnlos.
Ich war diesmal vollkommen sinnlos.
Denn
1. ist mein Leben sinnlos seit dem Tod und
2. einem Anderen davon zu erzählen, macht mein Leben nochmals sinnlos. Weil dieser Mensch immer nur wegrennt, ich den in Angst und Schrecken versetze, wenn ich mich sage.

Ich habe dennoch geantwortet, all meine Sinnlosigkeit.
„Ich arbeite nicht mehr als promovierte Altgermanistin, weil damals mein Mann starb und gleichzeitig mein Institut geschlachtet wurde [ja, Umkehr geht immer], und ich es nicht mehr geschafft habe, mich zu habilitieren.“
~
Ich kenne diese Stille.

Ich fühle mich immer noch schuldig an dieser Entsetzensstille.
Ich beginne sofort mich zu entschuldigen für diese Entsetzensstille, die ich dem Anderen zugemutet habe.
So auch beim Zahnarzttermin heute. Ich banalisiere, was ich erlebt habe: „Das war damals nicht lustig. Sie können jetzt zu dem Schmerzpatienten gehen, wir hier haben ja noch etwas Pause.“ Damit kann das Gegenüber wenigstens aus seiner Schockstarre fliehen.
Und es flieht.
„Ja, sicher, das war nicht lustig. ~ ~ ~ Es tut mir sehr leid für Sie. Es tut mir sehr, sehr leid. Ich bin dann nebenan, beim Schmerzpatienten.“
„Ja, klar, alles gut.“

Dann kommt das Gegenüber wieder. Und neuerdings legt es mir die Hand auf die Schulter, streift dreimal das Spuckschürtzchen glatt, scherzt besonders anheimelnd.

VERDAMMT: IMMER NOCH DARF ICH MEIN LEBEN UND MEIN WITWESEIN NICHT SAGEN, DENN IMMER NOCH SCHOCKIERT ES EUCH.
Und Ihr flieht mich. Und wenn Ihr danach wiederkommt (weil Ihr müsst, nicht freiwillig), dann bin ich für Euch kein Mensch mehr, sondern etwas, dem man die Hand auflegt.

LERNT ENDLICH: WIR ALLE STERBEN! Flieht doch bitte endlich nicht mehr den Tod, nicht mehr die Toten und nicht mehr die, die Tote im Arm hielten und halten.

(Und übrigens: Dass wir alle sterben, ist gut so. Dass wir sterben und es wissen, ist das Einzige, das uns zu Menschen macht: zu Wesen voller Sehnsucht, Angst und Hoffnung – all das macht uns zu uns und offen für den anderen.)

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