Etwas Persönliches (zu Pingschte)

Die Lebenden radieren
*

Seit unzähliger Zeit schreibe ich hier gegen den Corona-Wahnsinn an, dokumentiere ihn, bezeuge ihn.
Und schreibe damit um des Denkens willen, das vielleicht die einzige Eigenschaft (und mühsame Errungenschaft, das sicher!) der Gattung Mensch ist, die uns zu Menschen macht.

Dabei ist das hier doch das Witwesk.

Ein Raum, vor den mich der Tod gestellt hat, als er meinen Lebensmenschen (wieder einmal thx. @ Thomas Bernhard für dieses Wort!) mit knapp 47 Jahren und nach unzähligen Ärztefehlern verrecken ließ.
Ein Raum, den ich mir nach dem Tod über viele Jahre hin mühsam als meinen Raum geöffnet habe, und in den ich dann eingetreten bin.

Das hier ist mein Raum.
Doch ich sage hier seit 14 Monaten nichts mehr.
Ich dokumentiere hier seit vielen Monaten nur noch den Corona-Wahnsinn der Menschen.
Ich schreibe nur noch für das Denken.

Aber ich bin auch noch da: Ich, Corinna Laude.
Ich, die ich auch nach über zehneinhalb Jahren immer noch meinen Lebensmenschen Fio Bernhard Theobald und meine einstige Existenz auf dem Weg zur Professur und alle Selbstverständlichkeiten vermisse (und jetzt, seit 14 Monaten im „Corona“-Wahnsinn, so bitter wie nie),
ich existiere, noch.

Mein Sein, das vor allem ein Vermissen ist, also lückenhaft, durchlässig, hellhörig für Glücksangebote und all denen gegenüber durch und durch skeptisch, weil es ein erfahrenes Vermissen ist –, mein Sein wurde nunmehr seit über einem Jahr durchdrungen von Entsetzen
darüber, wie irre die Menschheit werden kann, was die Gesellschaft der BRD vorgeführt hat und bis heute vorführt mit ihren „alternativlosen Corona-Maßnahmen“ und ihrem unverbrüchlichen Glauben an diese „Maßnahmen“ – kurzum: mit ihrem Rückfall in den Totalitarismus und in primitivstes Existieren, das kein Denken kennt.

Aber neben diesem Entsetzen bin ich noch da: ich, Corinna Laude.
Nebenbei habe ich zusammen mit meiner Kollegin einen Integrationskurs (wg. „Corona“ erst nach einem Jahr und drei Monaten) erfolgreich zu seinem Ende geführt und einen neuen vor sechs Wochen im online-Modus genauso erfolgreich begonnen.
Nebenbei habe ich die Wohnung dem alljährlichen Frühjahrsputz unterzogen und kürzlich den Balkon bepflanzt, also startklar für die Deck-Chair-Saison auf meinem ganz persönlichen Ozeandampfer gemacht (fehlt nur noch das Wetter).
Nebenbei habe ich lange darüber nachgedacht, wie ich den etwa 35-40 Jahre alt gewordenen, vor einem Jahr verstorbenen 2-Meter-Ficus Benjamini des Lebensmenschen ehren könnte, und ob ich diesen sehr großen LEEREN Platz neben meinem Schreibtisch, den er hinterlassen hat, noch einmal füllen möchte.

Und auch dafür habe ich etwas gefunden, so wie ich den alten Kurs gut beendet, den neuen gut begonnen, den Frühjahrsputz gründlich getätigt, den Balkon bunt bepflanzt (und die auch in Gärtnereien waltenden „Corona“-Engpässe mit Ideenreichtum und grünem Daumen ausbalanciert) habe.
– Auch für diesen SEHR GROßEN LEEREN PLATZ des toten Ficus vom toten Fio, der einst in diesem Raum (als wir ihn noch gemeinsam bewohnten) ganz frei stand, der dann im Witwesk immer neben meinem Lesesessel und somit neben meinem Schreibtisch und der Balkontür stand, und der vor etwa anderthalb Jahren krepiert ist – auch für diesen SEHR GROßEN LEEREN PLATZ habe ich etwas gefunden; vermutlich wegen des Horror vacui, der auch mich nicht verschont.
Lange habe ich überlegt. (Auch, weil es in der dürftigen Witwenkasse immer ums Geld geht.) Ob ich noch einmal einen Ficus Benjamini kaufen solle? (Der letztjährig für meinen eigenen Verstorbenen bei Lidl gekaufte ist ein kleines Wachstumswunder. Aber in diesem Jahr gab es bislang keine Angebote.)
– Dann habe ich in einer Nacht entschieden: Ganz anders!
Ich habe drei kleine und, wie sich herausgestellt hat, fitte Orchideen, einen „Blumenständer“ sowie als weitere Augenfreude und Witwenluxus drei gläserne Orchideenstäbe erworben.
Und der Stamm des toten Ficus liegt nun sternenilluminiert im Bücherregal. Wenn ich ihn ansehe, sehe ich, wie er seine unglaubliche Krone über uns rascheln lässt, in Speyer auf dem Balkon und im Schlafzimmer, in Frankfurt nur im Schlafzimmer und in Berlin in den zwei Wohnzimmern über all unseren lipschitz-Momenten.

Es gibt mich noch. Ich, Corinna Laude, Witwe ihres Lebensmenschen Bernhard Fio Theobald, abgebrochene Professorin der Altgermanistik, nunmehriger witwesker Eisbär, nebenberufliche DaZ-Dozentin und immer Schreibende: Ich bin noch da – allem Corona-Wahnsinn der Menschheit zum Trotz.

Das wollte ich noch einmal, vielleicht ein letztes Mal, anmerken, hier in MEINEM RAUM.
(Und das heißt wie immer nichts anderes, als dass ich mich dessen selbst vergewissern wollte. – Sei’s drum, wenn das nötig war!)

Danser encore! Venceremos!
(Tja, solange ichWitwe noch mein Kleinminikleinleben freud-voll ausgestalte mit geputzten Fenstern, gekauften Orchideen, gebastelten Blumenregalen und [ideell auch noch belohnter!] Hingabe an meine Deutschkurse, solange kann ich nicht leugen zu glauben, dass „Hoffnung“ bestünde – ich nicht nur witwesker Eisbär, sondern auch immer noch Idiotin, denn ich hab schon wieder vergessen, was ich mir freigekämpft hatte: Oper und Konzert, Gemäldegalerie und Aquarium. Doch als Ungespritzte werde ich dort nie wieder Zugang haben. Also kein Tanz mehr und wie immer kein Sieg für die jenseits von Profit&Macht.
Warum aber herrschen Profit&Macht? Und warum ist denen eigen, immer alles zu zerstören? Alles an Humanitärem: Solidarität, Mitgefühl, Kreativität, Gedankenfreiheit, also Zweifel und Rücksichtnahme. Und warum sieht das JETZT niemand mehr außer wenigen? Ist die Geilheit nach Profit&Macht das Definitionskriterium, das Alleinstellungsmerkmal des Homo sapiens sapiens? Erleben wir gerade den endgültigen Wettkampf der Evolution zwischen denjenigen Homini sapiens sapiens, die Profit&Macht und jenen, die Mitgefühl&Gedankenfreiheit leben?
Und was hab ich damit zu tun?! Ich bin ein witwesker Eisbär. Mich sollte all das nicht mehr interessieren. Ich bin 45 Jahre nicht in die Oper gegangen. Wenn es mir irgendein faschistoid-totalitärer deutscher Staat auch künftig wie heute schon verbietet, kann es mir doch egal sein, oder?)

* Mein heutiges Beitragsbild übrigens ist schon sehr alt, mindestens fünf Jahre. Als ich ihm damals seinen Titel „Die Lebenden“ gab, meinte ich, ohne es zu wissen, genau die gleichen Menschen, die ich heute damit meine.
Auch heute noch hat die Mehrzahl von denen den Radiergummi in der Hand und löscht aus, was ihnen nicht ins Leben passt.
Nur, dass ihr „Leben“ ein Tod aller Lebendigkeit geworden ist.
Aber es gibt auch noch solche wie mich. Und es wird sie nach mir noch geben.

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