Jetzt kippt es endgültig

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Ich höre von Freunden und Bekannten, dass nun abermals ihnen die Freund- oder Bekanntschaft aufgekündigt wird, weil sie
entweder sich auf die Seite Israels
oder auf die Seite Palästinas
gestellt haben.

Ich höre, lese, erfahre das.
Und frage mich:
Moment mal?
Wieder werden langjährige Beziehungen zerstört.
Wieder wird eine Positionierung in einem Zwei-Seiten-Feld erwartet.
Wieder läuft der Prozess völlig emotionalisiert ab.

Ich mache da nicht mehr mit.

Der beidseits bestialische Terror in Isreal und dem Gazastreifen wird mich nicht in die Falle locken. Ich mache da nicht mehr mit.
Stattdessen bleibe ich Mensch & witwesker Eisbär.

Und frage mich als solche zwei:
Der Mensch ist ein vernunftbegabtes, neugieriges und mitfühlendes Säugetier. Und er ist ein Monstrum, das sich an der Folter und der Vernichtung von seinesgleichen berauscht. Wird diese Gattung lange genug existieren, um den Menschen über das Monster siegen zu lassen?

Ich werde die Antwort nicht mehr erleben.
Vielleicht gibt es diese Antwort auch nie.

Denn vielleicht ist das der Gattung Innerstes:
dieser Kampf zwischen nur dem Menschen möglicher ‚Bestialität‘ und seiner um Aufklärung ringenden Humanität.

– Dann hieße, diese Gattung zu transzendieren, beides dauerhaft gelten und zugleich zurück zu lassen (das Dritte halt).

Schreibt ein witwesker Eisbär.

Mehr geht jetzt nicht

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Wir waren allein.
Wir waren völlig allein. Umgeben von all diesen ÄrztInnen (auch im Privatleben!).
Wir waren völlig allein.

Und er ist unter größten Schmerzen krepiert.

Gerade sah ich das hier über eine Palliativstation:

Im Gegensatz dazu: WIR WAREN ALLEIN. Völlig allein – umzingelt von ratlosen ÄrztInnen.
Und er ist an den Schmerzen und an der Angst vor den Schmerzen (und an den ÄrztInnen, die die Schmerzen mitverursachten) krepiert.

DAS ist die Normalität, nicht dieses Filmchen!
{A.Th., N.L. – warum habt Ihr so versagt? Dass ich es tat, war grauenhaft genug, aber ich war und bin keine Ärztin.}

Hätten wir so sterben dürfen, wie es in diesem Palliativstationsfilmchen angedeutet wird – dann wären wir zumindest nicht völlig allein und unter Angst und Schmerzen krepiert.
Wir aber waren völlig allein – umzingelt von ratlosen ÄrztInnen.
DAS IST BIS HEUTE NORMAL.

Und da der Coronoiden-Wahnsinn samt Spritzungen (und die Versorgung von deren Opfern) monströse Geldsummen erforderlich gemacht hat und weiterhin machen wird, wird für die Palliativpflege bald nichts mehr übrig sein.
Dann sterben bald alle Krebsterminalen so wie wir vor bald 13 Jahren: Völlig allein und unter schlimmsten Schmerzen.
Und die Krebsterminalen häufen sich, wie man sogar in der Mainstreampresse liest. Gnade uns Gott oder sonst ein Höheres Wesen.

Haben OstlerInnen mit Trauernden ein noch größeres Problem als WestlerInnen?

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

In einem Telegram-Kanal habe ich kürzlich gelernt, dass Ostdeutsche mit solchen wie mir, die um ihre Toten länger als 10 Wochen oder 10 Monate trauern (da sollte lt. psychotherapeutischen Richtlinien Trauer ein Ende finden), ein ganz großes Problem haben, womöglich ein noch größeres als Westdeutsche.
Und erst recht mit Menschen wie mir, die nach bald 13 Jahren selten nur noch „trauern“, aber weiterhin ihren verstorbenen Lebensmenschen unverbrüchlich lieben.

Diese OstlerInnen haben in dem TG-Kanal in einer Weise auf mich eingeprügelt, die mich dann trotz all meiner bisherigen Erfahrungen mit Todesabwehr (nichts anderes ist das ja) überrascht hat. Ich war erst einmal baff und musste darüber nachdenken bzw. das sacken lassen, also auf dessen Verstoffwechselung in meinem Unbewussten vertrauen.
Immerhin einen Traum hat es gegeben, wenn er diese Realität auch nur von fern berührte.

Und ein Gefühl.
Statt Wut auf diese Leute eine zärtlich-ferne Form von Mitleid. Denn: Die trauern ebenso wie ich es tat, allerdings nicht um Lebensmenschen, sondern um ihr eigenes Leben inmitten eines Staats(lebens), die allesamt krepiert sind.
Und jetzt schießen sie auf solche wie mich. Ja, gut, das ist armselig. Aber langsam schwant mir: Während ich allmählich die doch seit dem Tod ‚aussichtslose‘ Liebe zu meinem Toten in etwas Lebendig-Kämpferisches verwandeln kann (und sie dabei mitnehmen darf), sind diese OstlerInnen bis jetzt in autobiografischer Bitternis gefangen.

Interessant dabei: Sie wiederum werfen mir vor, „verbittert“ zu sein.
– Das bin ich, aber kaum noch wegen unseres Todes, seiner Umstände, des Großen Fehlens, der Nullsamkeit, und auch nicht mehr wegen meines dadurch erzwungenen Neuanfanges weit unter- und außerhalb dessen, was ich einst wollte und konnte, wie sie mir vorwerfen. Jetzt bin ich diesbezüglich eine liebende Witwe im Zustand der Serenität ob des völlig absurden Weltzustands inklusive manch melancholischem Moment dann und wann, aber auch inklusive etlicher schöner Erfahrungen in meiner fast ‚ehrenamtlichen‘, jedenfalls nebenberuflichen Tätigkeit in den Integrationskursen.

Verbittert bin ich angesichts all der feigen MitläuferInnen in diesem Land, die seit dreieinhalb Jahren nur noch Ja und Amen sagen zu allem, was die politisch-medial-technokratischen ‚Eliten‘ an faschistoiden Vorschriften verkünden – darunter so ziemlich all meine Ex-FreundInnen und Bekannten.

Doch auch diese Verbitterung ist so wenig ‚absolut‘ wie jene damals nach dem Tod.
In jene war von Beginn an auch ein großes Staunen und eine noch größere Dankbarkeit darüber gemischt, dass ich vor dem Tod die knapp 14 Jahre in Liebe mit dem Lebensmenschen überhaupt erfahren durfte.
Jetzt mischt sich in meine Verbitterung ob der Menschen Feigheit (einer Feigheit in so um(p)fänglichem Sinne, dass mich wieder und wieder ekelt vor dieser Gattung) immer wieder auch die Erfahrung, dass ganz viele Menschen NICHT feige sind, sondern mutige Fragende, tapfere Zweifelnde, skeptische Aufklärende, um ihre Grenzen wissende Denkende.
(Danke dafür vor allem an die zwei anderen von den Drei Kassandras und auch an die Charlottenburger MontagsspaziergängerInnen!)

~ ~ ~
[Notat am 11.09.23]
Heute an den 11.9.2001 gedacht: Wir haben von Speyer aus einen Ausflug nach Worms gemacht. Dort dann irgendwann von den „Türmen“ gehört, in einem Imbiss diese Ewigkeitsschleife im Fernsehen gesehen. Zurück in Speyer stundenlang gezappt. Der Lebensmensch mir so fern wie selten. Beide hielten wir die Berichte jahrelang für wahr.
Wie blöd wir waren – beide auf verschiedenen Standpunkten, aber dem Mainstream vertrauend –, darüber würde ich so gern mit ihm sprechen, denke aber, dass wir da heute nichts mehr zu diskutieren hätten außer, uns unsere jeweils anders gelagerte Verblendung damals einzugestehen.

Stattdessen habe ich heute eine Rede gehalten auf einer ziemlich spontanen Demo, die an „9/11“ erinnern wollte.

Nachtrag vom 13.09.23: Da Google mir aus völlig unerfindlichen Gründen den Zugriff auf meinen Youtube-Kanal bis auf Weiteres verweigert (notfalls muss ein neuer Kanal her), kann ich einstweilen nur auf den gesamten Stream der Demo verlinken, auf der ich die „Nine/Eleven-Folgen“-Rede hielt (ich hatte sie herausgeschnitten und wollte sie dort einstellen – aber dank Googles Weigerung, mich auf meinen Kanal zugreifen zu lassen, geht das nicht):
https://odysee.com/@Privat:4/output11.09.2023:4 (mein Beitrag startet gegen 56:13 und dauert gut 10 Minuten; interessant, dass ich mich am Schluss verspreche und statt „Brüderlichkeit“ „Bürgerlichkeit“ sage – da dachte ich wohl an den politisch gebildeten Citoyen).

¡No pasarán!

PS: Das Bild zum Beitrag habe ich in einem neuen Programm gemalt. – Wegen des unerträglichen neuen „Service-Vertrags“ von Microsoft bereite ich meinen Umzug auf Linux vor (äh, jedenfalls im Moment, vielleicht scheitert das aber auch), und da muss ich mich leider auch von dem heißgeliebten Sketchbook trennen.
Nach einigem Rumprobieren habe ich aber wohl einen für mich halbwegs akzeptablen Ersatz gefunden. Das Bild zeugt von all diesem Rumprobieren, ich sehe es mir aber nach: Ein Anfang muss ja mal her!

Vorabend eines 60. Geburtstages, der nie stattfinden kann

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Immer noch denke ich daran zurück, dass ich vor vier Jahren sagte, dem Lebensmenschen nichts mehr von dem damaligen Heute erklären zu können – käme er zurück, damals nach neun Jahren nach seinem Tod:
2019 hätte ich Fio nichts von der Welt mehr erklären können, wäre er dorthin zurückgekehrt.

Wenn ich mir diese Situation heute ausmale, lässt mich die ganze Verzweiflung, die mich da überkommt, nur noch lachen.
Stünde Fio jetzt hier in der Tür, im August 2023, bald 13 Jahre nach seinem Tod und kurz vor seinem Geburtstag {vielleicht kommt er ja und holt mich ab – nein, Verzeihung, ein kleiner Wunsch rutschte hier herein}
– was könnte ich ihm über die Menschenwelt heute sagen,
außer, dass sie nun vollends ins Inhumane pervertiert ist.
Und eine Erklärung dafür könnte ich ihm heute gar nicht mehr bieten.

– Jedenfalls nicht, ohne weit auszuholen.
Und unsere Schuld, unsere gemeinsame Schuld, anzusprechen.
Denn niemals hätten wir damals Pisa und Bologna zulassen dürfen.

Jetzt 40, 30, 20 Jahre später ernten wir den Idiotie-Sturm, den wir damals säten:
Unsere Kinder sind strunzdumm.
Und die sind jetzt, betätschelt von älteren schlumpfartigen oder schleimigen Kreaturen, an der Macht.

Fio und ich haben keine Kinder gezeugt.
Ich habe gegen Bologna gearbeitet, wo ich nur konnte.
Und dennoch: Auch wir sind schuldig geworden, denn wir konnten diese Menschheitskatastrophen namens „Pisa“ und „Bologna“
(zu letzterem dies: https://www.youtube.com/watch?v=4mApJ9wS0PE, ab Min. 7:44)
nicht verhindern.

Die Menschheit, die sich Pisa und Bologna unterworfen hat, erntet nun die Früchte dieser Saat:
https://www.telepolis.de/features/Uebersterblichkeit-Zu-viele-Menschen-sterben-und-keinen-interessiert-es-9278832.html

Nie hätte ich geboren werden dürfen, denn meine Eltern hätten statt Kindern eine Psychotherapie gebraucht.
Ich bin nun aber auf der Welt. Und ich habe meinen Tod überleben müssen.
Bis an mein (dennoch vermutlich selbstbestimmtes) Ende werde ich jetzt nicht mehr damit aufhören, meine alte Schuld abzutragen.
Also Aufklärung! Und ihre Dialektik.

Vorabende des Zimtkuchens

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)
nach10 Jahren: Zimt!
Heute ist mein letzter Urlaubstag.
Lange habe ich hier nicht mehr geschrieben.
Lange war ich auf keinem Montagsspaziergang. Noch weitaus länger auf keiner Demo mehr.
Wie viele Menschen sind in unseren Kriegen gestorben?

Und ich habe erstmals seit 14 Jahren den 5. August nicht bedacht.
Was da war, fiel mir vorgestern beim Rennen plötzlich ein. Immerhin: Vor ein paar Jahren hätte mich das wortwörtlich aus der Bahn geworfen. Jetzt bin ich weitergerannt, erstaunt. Und habe dann nachts darüber nachgedacht und tu das nun wieder. Dazu gehört
eine Rekapitulation:

5. August 2009. Gegen 14 Uhr nachmittags. Ich sitze am Schreibtisch und schreibe an der Habil-Einleitung (1. Fassung). Das Telefon klingelt. Der Gastroenterologe ist dran. Er hatte vor knapp einer Woche die Geschwulst für eine Crohn-Stenose gehalten, dort, wo er ein gutes Jahr zuvor noch eine hochgradig krebsverdächtige „polypöse Struktur“ entdeckt hatte, die aber die Pathologie als null-nichts-niete befundet hatte.
„Es ist Krebs. Ihr Mann muss dringend operiert werden. Soll ich alles in die Wege leiten? Sie wissen ja von Ihrem Geschwister, dass ich das in Krankenhaus XY machen würde.“
„ ………… Krebs. Kein Crohn? ……… ‚Dringend‘, was heißt das?“
„Wenn ich es in die Wege leite, Anfang nächster Woche. Es ist dringend.“
„ ………… ……… Machen Sie das.“
Ich sitze, das ist das einzige, was ich weiß. Wo, weiß ich nicht. Wie, weiß ich nicht. Wann, weiß ich nicht. Und ich weiß – was ich aber erst später, 15 Monate später in mein Bewusstsein einließ: Es ist alles vorbei, es ist alles verloren, was ich mir in 20, was wir uns in bald 12 Jahren an Sicherheit, Zuverlässigkeit, Vertrauen in diese Welt erarbeitet hatten.
Es ist vorbei, ein für alle Mal verloren (und zum zweiten Mal verloren [nie hätte ich es gewinnen dürfen; doch dass ich es gewann, läßt mich bis heute dessen inne sein, was Menschsein heißen kann]).

„Dringend“ rauscht mir dann durch den Kopf. Es sei „dringend“.
Ich rufe den Arzt zurück.
Frage nach der Klassifizierung (damit kenne ich mich dank meiner Blutsfamilie aus) des Tumors, dessen Anfänge man vor einem guten Jahr noch für null-niente-nada hielt.
Ja. Ich sehe damals: Diese Klassifizierung macht alles „dringend“. Und macht, dass alles vorbei ist – vor allem für alles medizinische Person, das davon hört; erst recht ein knappes Jahr später, nach der Metastasierung.

Ich muss es ihm sagen. Der Arzt hat mich am Telefon gefragt, ob er meinen Mann anrufen und es ihm sagen solle. – ICH muss es ihm sagen. Soll noch ein winziges Hoffnungsfünkchen die Botschaft überspringen und ein kleines Gefühlsnest zum Glimmen bringen, dann muss ich es ihm sagen.
Ich fahre zu ihm ins Büro. Zum ersten Mal. Durch eine Stadt in einer U-Bahn. Frage mich zwischen allem Komplett-Stopp von allem (Gefühl, innerem Monolog, Außenwahrnehmung) immer wieder, wer ich bin, wohin ich unterwegs bin, ob ich bin. Und weiß keine Antworten. (Nein: „Wie ich es ihm sagen soll“, habe ich mich nicht gefragt.)
Ich stehe in seiner Tür. Sein für eine heilige Sekunde freudeüberstrahltes Gesicht aus dem verlorenen Leben. Zerbricht, etliche Momente bevor ich den Mund auftu’.

Wir sind nie wieder nach Hause gekommen.

Ich, schon längst eine Andere, kehrte 15 Monate später in die Wohnung zurück, die einst mein Mann und seine Frau bewohnt hatten (wenn auch nur für sehr kurze Zeit). Einst, damals, war ich diese Frau gewesen. Ich erinnerte mich, als ich im Dezember 2010 diese Wohnung betrat, an manches, auch daran.

Und ich, die ich heute wieder eine Andere bin als damals im Tod, erinnere mich weiterhin an vieles.

In diesem Jahr aber habe ich den 5. August, die Krebsdiagnose vergessen. Sie fielen mir erst kürzlich wieder ein.
Anders als noch vor kurzem mache ich mir das nicht mehr zum Vorwurf. Denn ich liebe den Toten unverbrüchlich.
Aber ich frage mich dennoch, warum das passiert ist.

Zeugt es vielleicht davon, dass ich nun tatsächlich ‚ankomme‘ im völligen Verlust aller Sicherheit, aller Zuverlässigkeit, allen Vertrauens in die Welt; zeugt es von einem Bewusstsein davon, dass alle Daten, alle Wahrnehmungen, alle Faktendeklarationen, alle Gefühle, alle Erinnerungen und alles Wissen dieser Welt null und nichtig sind – es immer schon waren?

Ich, an die ich mich erinnere, habe 2009-2010 erneut ÄrztInnen erlebt, die mit sadistischer Lust die Symptome, die sie vor sich sahen, für unmöglich erklärten, weil kein Lehrbuch sie verzeichnen würde, und die mit ebensolcher Lust Krebsmanifestationen erfanden, weil alle Lehrbücher sie verzeichneten.

Nach wie vor gilt: Solchen Wahnsinn in Kombination mit all den Schmerzen (physisch und psychisch) überlebt kein Mensch.
Er ist richtig gestorben.
Ich –
ich scheine langsam anzukommen im Einzigen, das DA ist, und natürlich auch weder Sicherheit, noch Verlässlichkeit, noch einen Vertrauensgrund bietet:
in mir & dem Moment,
der mich zweifelndes Schwebeteilchen umfängt als Atmosphäre meines Aufglimmens,
und – weil die Zeit immer zum Lachen führt –
der mich immer öfter lachen lässt.

Ja. Aufglimmen, Lachen.
Und ich bin immer wieder ein Moment. (Ein kämpferischer ist immer da.) Bis zum Ende.

Weil in zehn Tagen einer 60 wird, der lange vor seinem 50. Geburtstag starb:

Du weißt, ich glaub nicht dran,
dass Du das jetzt hier liest.
Du weißt, du glaubtest nicht dran,
dass Du das jetzt hier liest.
Ich schreibe das hier jetzt,
weil ich dich liebe, aber nie etwas glaubte.

Der erste „Film“ der drei Kassandras

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Ja, hat alles dann doch irgendwie geklappt mit meinem Video-Schnitt. Und nun ist er (pünktlich zu einem besonderen Tage, nämlich seit gestern) in der Welt: Der erste Film der drei Kassandras!
We proudly present (einfach aufs Foto klicken):

Nachtrag vom 24.07.23: Jetzt sogar mit Untertiteln (und ich entschuldige mich für die schlechte Ton-Qualität, die mich zu diesem Schritt veranlasst hat).

We proudly present

Neues von den drei Kassandras

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Die 3 Kassandras

Jetzt ist der „Teaser“ zum neuen Video, den wir aus Gründen „Präludium“ genannt haben, draußen in der Welt. (Es wird nur bei diesem einen bleiben; letztens dachte ich ja noch an zwei, so aber ist es besser.)

https://www.youtube.com/watch?v=4R2A3gHCOUI

Und bald kommt – wenn meine Technik weiterhin mitspielt – das Video selbst.

Und das zu machen – fast rundweg: zu machen – war eine für mich bemerkenswerte Erfahrung.
Dass die drei Kassandras bei ihren Projekten auf wundersame Weise zusammenklingen (denn wir sind nun wahrhaftig drei sehr unterschiedliche Frauen), habe ich ja schon von Anfang an erfahren.
Doch jetzt das da mit dem Video war nochmals neu.
Nachdem wir die performance an etlichen Tagen konzipiert und dafür geprobt hatten und das Video darüber dann an einem ganzen, geschlagenen Tag mithilfe unserer wundervollen Kamerafrau gedreht hatten, erklärte ich mich bereit, es zu schneiden (weil ich von unserem letzten Video etwa 4 Minuten geschnitten hatte, die auf zwei Aufnahmen beruhten).
Nur hatte ich es diesmal mit etwa 50 Video-Aufnahmen und diversen Tonspuren zu tun, was ich zum Zeitpunkt meiner Zusage nicht wusste.
~

Seit der Arbeit an meiner Habilitationsschrift, die etwa anderthalb Jahre vor ihrem Ende durch den Tod abbrach, habe ich nicht mehr einen geschlagenen Monat hindurch so konzentriert an einem Projekt gearbeitet wie nun.

An der Habil arbeitete ich nach der Themenfindung und -präzisierung etwa fünf Jahre lang immer wieder monatelang (nicht konstant, es galt ja unter anderem auch, an der Uni zu lehren, vergeblich die Vernichtung der Geisteswissenschaften an jener Uni abzuwenden, Vorträge zu halten und Drittmittel einzuwerben) ähnlich konzentriert wie jetzt, da nach all der Zeit erstmals wieder an dieser Video-Bearbeitung.
– Von der ich im Gegensatz zu meinem Habil-Thema nicht die geringste Ahnung habe, weil ich noch nie Videos bearbeitet bzw. geschnitten habe.

Ich schweige hier heute über meine einstige Arbeit und über diejenige, die ich einst war.

Aber dieses „Primärerleben von Existenz“ durch die eigene Arbeit, dieses Ganz-in-der-Welt-Sein – und zwar nicht nur im Moment heiliger Erkenntnis oder hoher bis höchster Erlebnisintensität, wie ich es auch von körperlicher Arbeit oder dem Dichten minuten-, höchstenfalls tageweise kenne –
nun wochen- und monatelang zu erleben,
das kannte ich bislang nur aus meinem Leben#1.
Kenne aus dieser Zeit das Vergessen des Essens. Das Ignorieren des Schlafes. Das „So nicht! Noch einmal von vorn!“. Kenne diesen genauen Blick
– der sich doch jetzt auf völlig andere Dinge als damals richtet!

Das ist ein In-der-Welt-Sein, das mir damals in bestimmten Situationen zugänglich war, und nun ist es – bei einer völlig anderen Tätigkeit – wieder da.
Ich freue mich darüber.

(Und überlege gerade: Die Tätigkeit da jetzt ist zweifelsohne eine völlig andere. Statt mittelalterliche und frühneuzeitliche Texte und manchmal auch Bilder in den Blick zu nehmen, um einen Fragenkatalog zu ihrem Verständnis zu entwerfen, schneide ich ein Video, an dessen Zustandekommen neben drei anderen Personen ich mitbeteiligt war.
Der ‚Gehalt‘ der Tätigkeit aber ist keinen Deut anders!

Mir war es damals wichtig.
Und mir ist es heute wichtig.
Heute noch viel wichtiger. Denn damals ging es nur um einen winzigen Teilbereich einer universitären Disziplin [war mir damals klar]. Heute geht es
vielleicht ums Ganze, jedenfalls um mehr um als mittelalterliche Narratologie.)

Mögen die letzten Arbeitsschritte gelingen. Möge die Technik durchhalten.
Denn die drei Kassandras haben einen kassandrischen Film für und über diese Zeitläufte gemacht!

Und bald wird es Ausschnitte daraus als street art performance geben, wie es den drei Kassandras gemäß ist.

~ ~ ~

Inmitten all-
en Grauens
keimt
wieder und wieder und wieder
ein Halm, ein Stengel, dann ein Blättchen aus der Wurzel
zu und von allem:
der Frage.

Wo anfangen? Vielleicht beim caffè!

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Es ist einiges geschehen in den letzten zwei Wochen hier auf der witwesken Eisscholle – tjahü, wer hätte das gedacht!
Wo also anfangen?

Hm.
Beim Lebensweltlichen!
Ich habe jetzt – und das darf ich in der Situation, in der die Menschheit sich befindet, nicht mehr laut sagen und vermutlich noch weniger tun –
nach jahrelangem Zittern, Selbstreparieren und Zagen
unsere Expressomaschine ersetzt.

Und wen interessiert im Zeitalter der Mega-Lügen und des megalomanischen Menschheitsbetrugs, der extremen Übersterblichkeitsdaten und des gnadenlosen Totgeburtenregisters, der Kriegshetze und des Selbstvernichtungswahnsinns der Gattung „Mensch“
unsere, Fios & meine (die seit bald 13 Jahren nur noch meine ist), Espressomaschine?
Eigentlich noch nicht einmal mich.

Nur lebe ich noch in solchem Luxus, morgens mich eines Kaffees bedürftig zu fühlen.
Und seit 2004 deutschen Filterkaffee zum Speien zu finden.
Denn da schafften wir sie uns an – unsere erste gemeinsame Kaffeemaschine, die eine Siebträger-Espressomaschine war und unsere letzte blieb.
Die nun wollte seit über einem Jahr immer wieder mal partout nicht.
Ich aber will morgens keinen sauren deutschen Kaffee, sondern nussigen italienischen caffè!
Und nun steht ihre Nachfolgerin (desselben Fabrikats) hier in der Küche und die alte Lady mit ihrem relativ neuen (nämlich von mir im letzten Herbst erst mühsam eingebauten) Brühkopf zum etwaigen Ausbau gut verpackt im Schrank.

Nicht im Schrank stehen wird das neue 3-Kassandras-Video!
(Wir drei haben es etliche Tage vorbereitet. Wir haben zu viert einen Tag gedreht. Ich schneide es nun seit Wochen.)
Wir staunten schon während der Vorbereitung darüber, dass wir drei sehr verschiedene Menschen mit so zusammenpassendem Material ankamen.
Und nun staunen wir darüber, wie aktuell das Material und damit das Video ist.
Ich freue mich sehr, bald einen oder zwei Teaser veröffentlichen zu können – und unbändig darauf, wenn das Video selbst in der Welt sein wird.

„[U]nbändig“? – Ja, tatsächlich! Ich freue mich unbändig darauf!
Denn diese 3-Kassandras-Arbeit ist mir (witweskem Eisbären unter den 3 Kassandras) eine echte Herzensfreude (so anstrengend die auch manchmal ist). Die stets überraschende und doch auf einer Frequenz (von den vielen) gleichschwingende Arbeit mit den beiden anderen Kassandras ist eine wirklich neue Erfahrung für mich.
Ich genieße sie. Einfach nur das: Fragloser Genuss. (Wie beim caffè.)

Und ich weiß, dass Kunst für viele Menschen lebensnotwendig ist. Weil wir in der Kunst spielen können.
Auch mit dem Schrecklichsten.

Ja, ich freue mich darauf, wenn das neue Kassandras-Video fertig ist und in der Welt.

Und vielleicht führt mich mein Weg jetzt überhaupt mehr (zurück) zur Kunst. Jedenfalls führt er mich nicht mehr jeden Montag auf den Montagsspaziergang.
Länger schon zweifle ich daran, dass der in seiner aktuellen Gestalt das richtige Format für unsere, zumindest für meine, politische Arbeit ist.
Meinen Zweifel in der Gruppe laut zu äußern, hat zu heftigen Abwehr-Bewegungen geführt (ich hätte es mir denken können). Offen stehenbleiben konnte der Konflikt natürlich wieder nicht. Man hat mir nahegelegt, die zugehörige Telegram-Gruppe zu verlassen. (Immerhin: Die haben mir das nur nahegelegt, mich nicht rausgeschmissen, wie andere TG-Gruppierungen.)
Ich habe es getan. Für alle Beteiligten, auch für mich.

Frei bin ich nun wieder.
Und werde das tun, was ich dort vorschlug: Nach einem neuen Format für den „Spaziergang“ suchen und/oder seine Frequenz (für mich) reduzieren, weil er sonst zu peinlicher Folklore zu werden droht (in meiner Wahrnehmung). – Das hat keiner begriffen. Obwohl ich es zigmal schrieb und sagte. Die anderen SpaziergängerInnen haben meinen Zweifel als Frontalangriff auf sich ausgelegt und
damit bewiesen, dass die Gattung „Mensch“ letztlich immer dasselbe denkt und empfindet, wenn einer zu etwas von ihr ‚Erprobtem‘ fragt:
„Geht das nicht anders besser?“

Ich aber bin ein witwesker Eisbär. Und eine der 3 Kassandras. Ich lebe vom Fragen ins Nirgendwo.
Und bin nun wieder ganz frei von und zu.
Und zu caffè, jederzeit!

14 Jahre danach

„Zeugnis-Ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Vor 14 Jahren traten der Lebensmensch und ich nun langsam in die Zeit des Sterbens ein – ohne es zu wissen, aber in der rein „diagnostisch“ begründeten Furcht davor.
Knapp 14 Jahre nach unserer Zusammenkunft starben wir dann tatsächlich – als Paar – und starb er als Mensch, mein Lebensmensch (Urheberrecht für dieses Wort bei Thomas Bernhard).
Nach wie vor bin ich sicher:
Er starb aus Angst. Vor den Schmerzen. Die die ärztlich angeordneten ‚Behandlungen‘ verursachten („kompletter Verwachsungsbauch“ steht in einem der OP-Berichte). Und vor dem Grauen, das der Besuch einer Person ausgelöst hatte, die Ärztin war und einst dachte, ihn zu lieben, bis sie ihrer Täuschung inne wurde und ihn verließ (und damit seinen 1. massiven Crohn-Schub auslöste, der dann zur Crohn-Diagnose führte, die – vielleicht, niemand wird es je wissen – etwa 15 Jahre später zur Krebsdiagnose führte).

Was für das Ende ausschlaggebend war, lässt sich noch weniger klären.

Ganz viel dabei kam von ihm.
Und einiges auch von mir.
Ich werde es nicht mehr klären können. Nie mehr.

Ich hätte ihn obduzieren lassen sollen. Um wenigstens zu erfahren, ob er am Krebs oder an den durch die Ärzte induzierten Schmerzen und der Angst davor starb.
– Ich habe nach tagelangem Überlegen das verweigert. Auch, weil seine Eltern es so entsetzlich gefunden hätten. Sein Bruder wird mir das nie verzeihen. Ich mir auch nicht.
Ändern kann ich es nicht mehr.
Und bin mir sicher, weil ich ihn auch – wie unser gemeinsames Leben lang zuvor – in den letzten 15 Monaten begleitet habe und dann am Ende im Arm hielt (wie er mich in seinem Leben zuvor unzählige Male): Er starb aus Angst vor den Schmerzen und aus Verzweiflung ob dessen.

Dass ich nie gereicht habe, um dagegen zu halten, um ihm Sicherheit zu geben (und sei es – und wohl vor allem – durch Freiheit: seine, und auch meine, Freiheit von und zu ALLEM) – das ist die Schuld, die ich trage.

~ ~ ~
Ich bin
ich
geworden durch viele
am bewusstesten durch dich
den einen mit diesem
Lächeln
über der Traurigkeit
das ich dir irgendwann immer
von Lippen und Tränen
küssen konnte

am Ende nicht mehr
da waren wir
nicht nur
nackt
da waren wir ohne Haut.