Ein Letztes Loslassen

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Eine letzte Übung im Loslassen dessen, was für die Mehrheit der Menschen unendlich wichtig ist, kam in diesem Frühjahr bei mir an und wird nun endlich in Kürze ihr Ende finden.
(Eigentlich hatte ich das schon getan, dieses Loslassen, wusste freilich die ganze Zeit, dass da noch etwas sich ereignen müsse, bevor ich endgültig daran gehen könne. Das ist nun eingetreten.)

Bei dieser Übung wiederholt sich für mich die Erfahrung, dass die Ungerechtigkeit immer durchgesetzt wird, und zwar von den unanständigen Menschen.

Manchmal sind Enden einfach herrlich! Denn auch wenn wieder die Ungerechtigkeit und die unanständigen Menschen sich durchgesetzt haben: Jetzt ist da, in dieser einen Sache, für die finis!

Bin ein Wittib blauundgrün, tanze in ein Sonnenrot
rolle mich entspannt darein und lach’ den Kieseln Atem zu.

14. Todestag – länger als ein Leben

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)
Das Fehlen

Er ist vorbei. Der 14. Todestag. Vom Lebensmenschen. Und von uns.
Jetzt ist der Lebensmensch schon ein paar Tage länger tot, als wir beieinander waren.
Ich hoffte, diesen Tag nie erleben zu müssen.

Einst hoffte ich, mit ihm zusammen sterben zu können.
Dann hoffte ich, nicht älter zu werden als er.
Danach habe ich irgendwann alle Hoffnung verloren.

Das ist gut so in Zeiten wie diesen.
Ich bin froh, keine Hoffnung mehr zu haben. So bleibt mir ein Dasein ohne Haut oder – je nachdem, wie ich mich in meinem Sein und seiner Geschichte drehe und wende – eins mit ganz dickem Eisbärenfell.

Jedenfalls ist es gut, keine Hoffnung mehr zu haben, denn Hoffnung ist Erwartung in eine Zukunft hinein, und ich bin lieber offen für alles, durchlässig für viele der nunmehr normal gewordenen Zumutungen (die zu Lebzeiten des Lebensmenschen noch unvorstellbar waren), und in mir, wenn es unerträglich wird.

Er ist nun länger tot, als wir zusammen waren.
(Ich bin mittlerweile in mir, wenn es unerträglich ist. In mir habe ich mir die Fragen verboten. Ich liege still da. Und von außen trommeln meine Fäuste auf meinen Schädel ein. Aber nunmehr trommeln die nur noch als ferne Vorstellung darauf ein, als haspelnd-hakender Zelluloid-Film-Schnipsel in Sepiagelb, denn Ichbinmittlerweileinmir.)

Lobschrift auf den Schnupfen

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Seit über 15 Jahren habe ich nun meinen ersten richtigen Schnupfen. – Nein: keine Klage, eine Feststellung.
Und die Frage: Haben mich die letzten vier, bald fünf Jahre so zermürbt, dass der witweske Eisbär, der ich seit bald 14 Jahren bin, Infekte nicht mehr wegbeißen kann?
Er tat’s all die bald 14 Jahre nach dem Tod (und ein paar davor tat die, die ich da war, das auch). Doch in diesem Frühjahr schon ein erstes leichtes Schnüpperchen. Jetzt also ein echter grippaler Infekt, wie einst. – Nein: keine Klage, nur eine Feststellung.

Was sollte ich auch beklagen? Ich gehe arbeiten, weil es nur mein Schnupfen ist, mein Husten, meine in den oberen Atemwegen kratzigen Nächte.
Warum sollte ich Menschen meine Arbeitsleistung entziehen, Menschen, die darauf angewiesen sind, weil alle gespritzen KollegInnen stets bei Krankheit nach „Vertretung“ schreien und sich Deutsch nicht lernt mit ständigen Pausen wegen LehrerInnen-Ausfalls?
Ach, und ein Letztes zum Thema „Klagen“ noch: Im System der Integrationskurse bin ich ja „selbstständig“ (obwohl dem Bamf und seinen Regelungen vollkommen unterworfen …), also bekomme ich kein Geld, wenn ich nicht im Kurs bin.

– Doch all das ist es nicht!
Die Arbeitsbedingungen sind zwar gottverdammt schlecht (wo auch nicht unterhalb von 50.000 € Einkommen?!). Aber das ist es jetzt nicht, was mich umtreibt.
Mich treibt mein Schnupfen um.
Und die Tatsache, dass ich es völlig normal finde, damit zur Arbeit zu gehen.
Das habe ich damals in Leben Nr. 1 getan (vor mehr als 14 Jahren; und meist hatte ich meinen Schnupfen da im Urlaub).
Und das tu ich jetzt: Mit Schnupfen arbeiten. Weil ich weiß: Ad hoc hängen da jetzt Menschen dran, dass ich komme und unterrichte, also arbeite.
Und weil ich weiß: Ich hab zwar Schnupfen und huste auch gehörig, aber das ist nicht schlimm. Da muss keine Staatsmutti kommen und mich beheitschibumbeitschern (und mir einreden, wie schlecht es mir doch ginge und was für ein armer Tropf ich doch sei …). Ich hab das meiner Mutter untersagt, als ich 9 war.
Kranksein gehört zum Leben. Wenn’s ganz arg kommt, ist eine Krankschreibung völlig okay (für die, die die Möglichkeit haben – haben ja nicht alle). Aber bitte nicht bei Pippifax wie Schnupfen! Nein!
Einst dachte man nicht darüber nach, auf der Arbeit jemanden „anzustecken“! Meine Schnupfen habe ich mir nie in Arbeitskontexten geholt und bin sicher, dass ich bei der Arbeit niemanden mit meinen Schnupfen angesteckt habe.
Wär’ schön, wenn wir langsam mal wieder zum WISSEN von „vor Corona“ zurückkämen. (Was wir währendessen erfuhren, war vorzivilisatorisches Schamanentum im Digitalzeitalter, aber kein Wissen, das sich zu erlernen lohnen würde!) Doch das ist ein vergeblicher Wunsch.
Unser – der „Alten“ – Wissen von „vor Corona“ ist in der Corona-Zeit krepiert. Jetzt sind nur noch Ich-ich-ich(und meinsmeinsmeins, z.B. die Familie), Unsicherheitspanik und gnadenlose Unbildung.

Wie die Unbildung über Schnupfen. Jo mei: Vorgestern und gestern war echt triefig und juckig (ohman, wenn Nase & Augen zugleich jucken, da möcht man nur noch heulen – und tut’s!). Heute, am Tag 7, merke ich: Er geht. Ganz wie immer an Tag 6 oder 7. Oder auch 8.
– Danke, dass du da warst, lieber Schnupfen! Hast mir gezeigt: Ich lebe noch: Mein Körper setzt sich mit Viren ins Benehmen, wie das lebende Organismen seit Jahrmillionen tun. Hast mir meine Verletzlichkeit gezeigt und mich kurz daran erinnert, dass ich sterben werde.
Danke, dass du da warst, lieber Schnupfen!

Und dass niemand arbeiten sollte, wenn er krank ist – himmelnochmal: ja!
Aber nicht, um die hypochondrischen Ängste zu schüren, die die Helikopter-Eltern wie Taurusraketen im narzisstisch auferzogenen Kinde versenkt haben, auf dass sie dort selbsttätig dauerfeuern. Und erst recht nicht, um den KapitalistInnen zu dienen, die derzeit dabei sind, die Menschheit in ihren ExponentInnen, den Menschen, zu vernichten.
Sondern um der Humanität willen. Um der Humanität willen sollte kein Mensch arbeiten müssen, der sich krank fühlt.
So einfach könnte das mit dem Schnupfen sein.

Mitten in den Jahrestagen

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Und bis heute habe ich sie nicht gelesen; das war immer Nach-Habilitationslektüre, so wie die Hurtigruten die Nach-Habilitationsreise gewesen wäre, samt Nordlicht und einem Knistern der Welt bei unserm Kuss in ihrem Eis.

Ja, besonders schwer ist die Zeit, in der sich das Unsere ballt. Das ist so ab Mitte August bis Ende Dezember.
Da sind unsere Geburtstage, die uns je nie besonders bedeutsam waren, die aber für den je andern von uns durchaus bedeutsam waren.
Da waren unsere Urlaube – heilig mir bis heute (und ich habe so viel vergessen, weil du, Liebster, mir unser Elefantengedächtnis warst und wir darauf vertrauten und bestanden, beide).
Da ist unser Hochzeitstag.
Da ist der Tag lange zuvor am Jahresende, an dem wir uns vornahmen, es mit uns zu versuchen.
Da war erst mein Diss.-Abgabe- und dann, nur ein bissl später, Dein Diss.-Abgabe-Tag.
Da war der Tag der 1. Diagnose.
Da sind die Chemo-Tage und jene, an denen ich Deinen Port spülte.
Da war der Todesnachhall des Tages der 2. Diagnose (die selbst war vor den Jahrestagen).
Da sind die Tage, an denen wir begriffen, dass dieses Medizin-System eine einzige Verarschungs- und Geldscheffelmaschine ist.
Da waren noch viel mehr klarsichtige Tage.
Da sind unsere Verzweiflung, unser Sprachverlust, unsere Liebe.
Da sind Deine Schmerzen. Die ich immer nur ahnte.
Da ist Deine Angst. Die ich immer nur ahnte.
Da ist der Tag unseres Todes.

Jahreslanges Dunkel.

Das Schimmern einiger Töne, erst von Geigen, dann von Hörnern, Flügeln und Gesang.

Jetzt – und das ist völlig neu: seit bald 5 Jahren Kampf.
„Kampf“!
Das ist neu für mich.
Ich habe gelernt, gearbeitet, geliebt und ich wäre gern gestorben. – Nie aber habe ich „gekämpft“ – gegen WEN?! Meine Mitwelt, in der ich lernte, arbeitete, liebte und gern gestorben wäre?
Seit dem Frühjahr 2020 kämpfe ich:
für die Wahrheit und die Vernunft.
Dieser Kampf jährt sich bald zum 5. Mal.
Und nie empfand ich mein Tun (Lernen, Arbeiten, Lieben, Sterben) sinnloser als jetzt diesen bald fünf Jahre andauernden Kampf: Die Leute bleiben dumm.
~ ~ ~
Vorgestern, Fio, liefen X – meine einst „beste Freundin“ – und ich uns zufällig über den Weg (in meinem Kiez; ich dachte, die hätte ihre Arbeitsregion längst verlegt, sofern sie als mehrfach Gespritzte, die auch ihre Kinder mehrfach sich spritzen ließ, überhaupt noch am Leben wäre). Vorgestern – anders als vor zwei Monaten – blickten wir uns in die Augen: Die blickte weg. Ich nicht. Was mir immer noch nicht gelang, war, der laut zu sagen: „Du feige Mitläuferin, schämst du dich nicht?“
Die Leute bleiben dumm.
Auch ich.
Weil ich einfach aus Respekt schweige, statt meiner einst ‚besten Freudin‘, die mir zufällig über den Weg läuft, endlich zu sagen, was ist: „Du feige Mitläuferin, schämst du dich nicht?“

Raus aus der Gewohnheit?

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Und dann und wann

Dreimal bin ich nicht gestorben, in einer Zeit, in der der Tod versprochen war.
Das war grauenhaft.

Jetzt kann ich mir vorstellen, aus blankem Ekel vor dieser Gattung „Mensch“ zu sterben.

Perspektivisch auch: Auf sie zu scheißen & noch eine Zeit lang Lebensschönheit zu genießen.

Hochzeitstag

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Vor 17 Jahren war ich jetzt in Rom. Mit dem Lebensmenschen.

Wir hatten kurz davor etwas Ulkiges getan. Wir hatten uns uns versprochen. Vor einer Beamtin. Auf einem Amt. Nach Anmeldung mit monatelangem Vorlauf. Hatten uns Ringe, die wir viele Monate zuvor unter vielen Ringen ausgewählt und dann nicht nur durch die Inschriften, sondern auch durch Gestaltungswünsche uns gemäß gemacht hatten, an die gegenseitigen Ringfinger gesteckt.
Wir beide, niemand sonst. Suchten die Ringe aus, gingen zum Standesamt, versprachen uns uns, reisten nach Rom.
Wir beide, niemand sonst.

Bis heute verstehe ich nicht, warum etwas so Intimes wie eine Heirat „normalerweise“ mit ‚der Welt‘, also Familie und Freunden, geteilt wird. – Wir heirateten uns gegenseitig und sonst keinen.

Heute vor 17 Jahren war ich in Rom. Der Lebensmensch auch.
Wir waren auf unserer Hochzeitsreise.

Den ersten Hochzeitstag feierten wir dann in Umzugschaos und mit einer Psychose-Diagnose im näheren Umfeld, die bis heute Einiges erklärt und Manches sehr schwierig macht.
Den zweiten Hochzeitstag feierten wir mit der ersten Krebsdiagnose und im Glauben, ‚es schaffen zu können‘, in einem Restaurant, das wir noch zu Zeiten unserer ersten geteilten Wohnung entdeckt hatten.
Den dritten Hochzeitstag feierten wir nicht mehr. Denn kurz danach würde zunächst meine Uni-Stelle an jenem Institut auslaufen, das von einer Professorin schon vier Jahre zuvor vernichtet worden war, die an einem An-Institut weit bessere Möglichkeiten für sich gesehen hatte. Und dann hatte der Lebensmensch Besuch bekommen von einer alten Freundin.
Danach wollte er nichts mehr, gar nichts. Schon gar keine „Feiern“ von irgendwas.

Wenige Tage später war sein Tod, der auch unser Tod und ein Stück weit mein Tod war.

Er fehlt mir.

Auch, weil ich vermutlich nie wieder reisen werde, schon gar nicht nach Rom.

~ ~ ~

Er fehlt mir so.

Drittes Pausenklingeln

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Manche gehen in die Pilze – ich möchte endlich wieder in die Buchstaben gehen.
Das letzte Gedicht im „Witwesk“ ist ewig alt (und die guten noch weit älter), Arbeit an einem Roman fast nicht mehr erinnerbar.

– Gestern hat für den Mitwohner (s. Beitragsbild, das hat er sich mehr als verdient) und mich die musikalische Saison begonnen (erstmals: In – jedem – Monat – mindestens – ein – bis – zwei – Konzerte/Opern!).
Und da hatte ich einen Schnaufer, der dann echt noch zu schnarchen begann, hinter mir. Ich bin nach dem 2. Bruckner-Satz nach vorn geflohen, weil da noch ein Platz frei war.

Das will mir bedeutsam erscheinen, wie’s Pausenklingeln.

Auf! In die Buchstaben!
Hinter mir sind nur Elendigkeit, Schnaufer & Schnarcher.
~

Ich habe 3,5 Romane geschrieben.
Einer, den ich anders als den 0,5er zu Ende bringen sollte, fehlt noch. Bruckner schrieb seine 5. Sinfonie nach der 3. Ablehnung an der Wiener Uni.
Und es ist jetzt nicht so, dass ich diese gestern von mir erstmals gehörte Sinfonie außerordentlich fand (allerdings bin ich ein musikalischer Kretin), aber wenn etwas Fremdes mich so adressiert wie Eigenes, und sagt: „Du da!
Geh endlich nochmal los!“,
dann sollte ich wohl aufmerken.

Andiamo, auf in die Buchstaben!

(Ich schleiche aber erstmal auf Zehenspitzen hinein. Denn die sind scharf und hochexplosiv. Mich haben sie schon unzählige Male zerstochen und zerschossen.
Aber was dort zu finden ist, übersteigt alle monetären Güter und reicht an Liebe nicht nur heran.)

Zorn

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Zorn wegen der Dummheit

Meine Zähne sind laut zahnärztlichem Befund stark abgeschliffen. Soweit ich weiß, bin ich keine nächtliche „Knirscherin“, aber wirklich wissen tu’ ich das natürlich nicht. Ich weiß nur, dass meine Backenzähne stark abgeschliffen sind und dass ich tagsüber sehr oft die Zähne zusammenbeiße.
Seit mindestens 2009. Seit der Diagnose. Damals in Angst.
Dann in Verzweiflung.

Jetzt zunehmend in Zorn.
Der mischt sich drein in die Verzweiflung.
Die Angst ist längst vergangen. Ich hielt meinen Lebensmenschen während seines Sterbens im Arm. Ich starb danach selbst dreimal, vergeblich – vor was sollte ich noch Angst haben? (Und um die Wahrheit zu sagen: Ich habe immer noch ein wenig Todesangst.)
Doch die Verzweiflung steht wie eine Eins längs durch mein Rückgrat.
Und der Zorn.

Und der wächst.
Der Zorn auf diese strunzdumme Gattung „Mensch“.

Die einen verstrunzdummen in Pandemie-Irrsinn: Die verhitlern darin, denunzieren ihre Nachbarn, wollen die wegsperren, und lassen derweil sich und ihre Kinder krankspritzen.

Die andern verstrunzdummen in Religionsirrsinn: Und verhitlern darin genauso, sperren Frauen aus allem Leben aus, und sogar hierzulande weigern die sich, Frauen die Haare zu schneiden und erstechen sie stattdessen.

Und die dritten verstrunzdummen im Machtwahn: Verhitlern in allen Regierungen, im WEF, in der WHO, in der UNO und kaufen und verkaufen und werfen Bomben
auf Menschen, die nichts dafür können, dass sie dieser strunzdummen Gattung angehören.

~ ~ ~

Ich bin kaum noch ein Mensch. Ich bin ein witwesker Eisbär.
Doch mein Zorn überwuchert allmählich meine Verzweiflung.

Zimtkuchen

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Vierzehn Jahre lang haben wir, der Lebensmensch und ich, unsere August-Geburtstage gemeinsam ‚gefeiert‘ (manchmal auch ‚nur‘ am Telefon, und auch das war in den acht Jahren Fernbeziehung ein Fest).
In diesem Jahr ist es nun vierzehn Jahre her, dass wir unsere letzten August-Geburtstage zusammen begingen, damals so still in aller Verzweiflung mit nur einem oder vielleicht auch keinem Geschenk mehr – ich kann mich an „das letzte Geschenk“ jeweils nicht mehr erinnern, aber Blumen waren da und der Versuch, gut zu essen.

Die Zeit jetzt überschreitet damit wieder eine Grenze: Nun wird sie länger sein, werde ich länger ohne ihn leben, als unser gemeinsames Leben dauerte.

Nie wollte ich einen Tag länger leben als er.
Das ist nun bald vierzehn Jahre und drei vergebliche Tode, die ärztliches Mitleid erregten („Sie hätten tot sein müssen, Sie Pechvogel!“), her.
Nie wollte ich älter werden als er.
Das ist nun zehn Jahre her und passierte an mir vorbei ohne vergeblichen Tod.

Jetzt also werde ich nach dem Tod länger gelebt haben, als wir gemeinsam es taten.

Noch immer schwebt der Ballon mit den Zimtkuchenstangen durch die Lüfte.
Nie wird er jemals noch einmal landen wie vor vierzehn Jahren mitten in unserer Küche. Seine Duftfracht wird mir immer nur Erinnerung bleiben – ohne jeden leibhaftigen Genuß der Zimtexplosionen aus diesem Kuchen heraus auf meiner Zunge wie erst- und letztmals vor vierzehn Jahren.

Ihn kosten zu können, war das letzte Geburtstagsgeschenk, das der Lebensmensch mir machte.
Ich erinnere mich an diesen Duft, diesen Geschmack, ihn da an der Rührschüssel auf dem Küchentisch.