Jahresendzeit – Zeit der Bilanzen

  • Stundenlohn, netto (als selbstständige, zwangsrentenversicherte Honorarkraft in vom Bamf bezahlten sogenannten Integrationskursen – Mindestvoraussetzung zur Erlangung der Arbeitserlaubnis: akademisches Studium):
    realiter etwa 9 Euro, laut Rechnungen knapp 20 Euro (weil wie immer neben Urlaubs- und Krankenzeiten auch keine keine Vor- und Nachbereitungszeiten und in diesem Jahr auch nicht der Dokumentationswahnsinn der Corona-online-Unterrichtsmonate vom Bamf bezahlt werden).
  • Lektüren:
    womöglich knapp 10 „Ganztexte“ in diesem Jahr – hirnvernichtend wenig also (und die unzählbare Menge an Zeitungsartikeln, Buchrezensionen und sonstigen Hypertexten macht da nicht etwa irgendetwas besser).
  • Trauer:
    ein ebenso schwer fassliches Phänomen wie vor zehn Jahren, als sie in Reinform in mein Leben trat (die Trauern zuvor waren lebenszyklisch korrekt gekommen – die Großeltern, der Vater – und entsprechend abgefedert wieder gegangen); mittendrin ich, mitten im Tod der Lebensmensch. Seit einer Dekade also Sein statt Werden.
  • Perspektiven:
    Ich weiß jetzt, warum ich zu diesem Thema promoviert wurde vor 20 Jahren (das hatte ich mir ja selbst gesucht), denn es einmal wenigstens versuchshalber durchdrungen zu haben, ist bis heute hilfreich. Und dass meine Augen, seitdem ich denken kann, einen brillenbedingenden Astigmatismus aufweisen, erscheint mir auch passend: angeborene Zentralpunktlosigkeit, also keine Perspektive – jetzt ist das in alle Lebensdimensionen eingekehrt.

Eine, nein: die Freundin merkte kürzlich an, dass man nur selbst (s)eine Perspektive entwerfen und blah und blubb – ja. Ja sicher, das ist völlig richtig: das kann man nur selbst, egal ob als Konstruktionsskizze für ein Fresko, ein Leinwandbild oder als temporären Lebensplan.
Man sucht den Fluchtpunkt immer selbst aus. Bis auf den Tod. Der ist der ultimative Fluchtpunkt. Der einzige, den wir Lebewesen tatsächlich erreichen – und das auch nur, weil er unseren Lebensweg und unsere Fluchtlinien zu sich hin zusammenschnurren lässt.

Und das freut eine wie mich, die kein Interesse mehr daran hat, um irgendwelche ohnehin nie erreichbaren selbstgesetzten Fluchtpunkte zu kämpfen (denn ja: so ist das mit der perspektivischen Bildkonstruktion!; alle Fluchtpunkte ist die uns unvorstellbare Null).
Ich bin kein von Fluchtlinien flankierter Unterwegsmensch mehr. Ich bin ein witwesker Eisbär. punto. Und alles hier ist gleichermaßen eisweiß. Keine Linien. Keine Oberfläche. Keine Tiefe. Einfach weiß.

Und das ist auch ein Ergebnis der Gattungsentwicklung unter „Corona“: Dass ich sehen musste und noch immer dabei zusehen muss, wie grausam die Gattung „Mensch“ bereit ist, völlig sinnlos den Tod zu verleugnen und dabei über unzählige Leichen zu gehen, hat mir als einstiger Mensch den Rest gegeben.
Jetzt ist es hier einfach weiß.

Sieht gut aus.

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