Haben OstlerInnen mit Trauernden ein noch größeres Problem als WestlerInnen?

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

In einem Telegram-Kanal habe ich kürzlich gelernt, dass Ostdeutsche mit solchen wie mir, die um ihre Toten länger als 10 Wochen oder 10 Monate trauern (da sollte lt. psychotherapeutischen Richtlinien Trauer ein Ende finden), ein ganz großes Problem haben, womöglich ein noch größeres als Westdeutsche.
Und erst recht mit Menschen wie mir, die nach bald 13 Jahren selten nur noch „trauern“, aber weiterhin ihren verstorbenen Lebensmenschen unverbrüchlich lieben.

Diese OstlerInnen haben in dem TG-Kanal in einer Weise auf mich eingeprügelt, die mich dann trotz all meiner bisherigen Erfahrungen mit Todesabwehr (nichts anderes ist das ja) überrascht hat. Ich war erst einmal baff und musste darüber nachdenken bzw. das sacken lassen, also auf dessen Verstoffwechselung in meinem Unbewussten vertrauen.
Immerhin einen Traum hat es gegeben, wenn er diese Realität auch nur von fern berührte.

Und ein Gefühl.
Statt Wut auf diese Leute eine zärtlich-ferne Form von Mitleid. Denn: Die trauern ebenso wie ich es tat, allerdings nicht um Lebensmenschen, sondern um ihr eigenes Leben inmitten eines Staats(lebens), die allesamt krepiert sind.
Und jetzt schießen sie auf solche wie mich. Ja, gut, das ist armselig. Aber langsam schwant mir: Während ich allmählich die doch seit dem Tod ‚aussichtslose‘ Liebe zu meinem Toten in etwas Lebendig-Kämpferisches verwandeln kann (und sie dabei mitnehmen darf), sind diese OstlerInnen bis jetzt in autobiografischer Bitternis gefangen.

Interessant dabei: Sie wiederum werfen mir vor, „verbittert“ zu sein.
– Das bin ich, aber kaum noch wegen unseres Todes, seiner Umstände, des Großen Fehlens, der Nullsamkeit, und auch nicht mehr wegen meines dadurch erzwungenen Neuanfanges weit unter- und außerhalb dessen, was ich einst wollte und konnte, wie sie mir vorwerfen. Jetzt bin ich diesbezüglich eine liebende Witwe im Zustand der Serenität ob des völlig absurden Weltzustands inklusive manch melancholischem Moment dann und wann, aber auch inklusive etlicher schöner Erfahrungen in meiner fast ‚ehrenamtlichen‘, jedenfalls nebenberuflichen Tätigkeit in den Integrationskursen.

Verbittert bin ich angesichts all der feigen MitläuferInnen in diesem Land, die seit dreieinhalb Jahren nur noch Ja und Amen sagen zu allem, was die politisch-medial-technokratischen ‚Eliten‘ an faschistoiden Vorschriften verkünden – darunter so ziemlich all meine Ex-FreundInnen und Bekannten.

Doch auch diese Verbitterung ist so wenig ‚absolut‘ wie jene damals nach dem Tod.
In jene war von Beginn an auch ein großes Staunen und eine noch größere Dankbarkeit darüber gemischt, dass ich vor dem Tod die knapp 14 Jahre in Liebe mit dem Lebensmenschen überhaupt erfahren durfte.
Jetzt mischt sich in meine Verbitterung ob der Menschen Feigheit (einer Feigheit in so um(p)fänglichem Sinne, dass mich wieder und wieder ekelt vor dieser Gattung) immer wieder auch die Erfahrung, dass ganz viele Menschen NICHT feige sind, sondern mutige Fragende, tapfere Zweifelnde, skeptische Aufklärende, um ihre Grenzen wissende Denkende.
(Danke dafür vor allem an die zwei anderen von den Drei Kassandras und auch an die Charlottenburger MontagsspaziergängerInnen!)

~ ~ ~
[Notat am 11.09.23]
Heute an den 11.9.2001 gedacht: Wir haben von Speyer aus einen Ausflug nach Worms gemacht. Dort dann irgendwann von den „Türmen“ gehört, in einem Imbiss diese Ewigkeitsschleife im Fernsehen gesehen. Zurück in Speyer stundenlang gezappt. Der Lebensmensch mir so fern wie selten. Beide hielten wir die Berichte jahrelang für wahr.
Wie blöd wir waren – beide auf verschiedenen Standpunkten, aber dem Mainstream vertrauend –, darüber würde ich so gern mit ihm sprechen, denke aber, dass wir da heute nichts mehr zu diskutieren hätten außer, uns unsere jeweils anders gelagerte Verblendung damals einzugestehen.

Stattdessen habe ich heute eine Rede gehalten auf einer ziemlich spontanen Demo, die an „9/11“ erinnern wollte.

Nachtrag vom 13.09.23: Da Google mir aus völlig unerfindlichen Gründen den Zugriff auf meinen Youtube-Kanal bis auf Weiteres verweigert (notfalls muss ein neuer Kanal her), kann ich einstweilen nur auf den gesamten Stream der Demo verlinken, auf der ich die „Nine/Eleven-Folgen“-Rede hielt (ich hatte sie herausgeschnitten und wollte sie dort einstellen – aber dank Googles Weigerung, mich auf meinen Kanal zugreifen zu lassen, geht das nicht):
https://odysee.com/@Privat:4/output11.09.2023:4 (mein Beitrag startet gegen 56:13 und dauert gut 10 Minuten; interessant, dass ich mich am Schluss verspreche und statt „Brüderlichkeit“ „Bürgerlichkeit“ sage – da dachte ich wohl an den politisch gebildeten Citoyen).

¡No pasarán!

PS: Das Bild zum Beitrag habe ich in einem neuen Programm gemalt. – Wegen des unerträglichen neuen „Service-Vertrags“ von Microsoft bereite ich meinen Umzug auf Linux vor (äh, jedenfalls im Moment, vielleicht scheitert das aber auch), und da muss ich mich leider auch von dem heißgeliebten Sketchbook trennen.
Nach einigem Rumprobieren habe ich aber wohl einen für mich halbwegs akzeptablen Ersatz gefunden. Das Bild zeugt von all diesem Rumprobieren, ich sehe es mir aber nach: Ein Anfang muss ja mal her!

Hier ist Platz für Ihren Kommentar. (Ich werde ihn lesen.)