Könntest Du mich mal in den Arm nehmen?


Nie habe ich den Lebensmenschen das gefragt, fragen müssen. Zu seinen Lebzeiten.
Wir haben 8 Jahre eine Fernbeziehung gelebt (6 Jahre davon auf 750 Kilometer Entfernung, etwa 5,5 Stunden Zugfahrt; alle Zeit davon oft monatelang nur Telefonate und Briefe – jaja, 1996ff. war das noch so. Und es war gut: Telefonate im Festnetz, Briefe auf Papier: Das war gut! Kein Wischen, Klicken, Emojien, Videoen und nebenbei tausendunddrei andere Wischs, Klicks, Licks und 140er. Nur der Telefonhörer und das immer verdrehtere Kabel, nur das Papier und diese unsagbare Freude, wenn der Brief vor einem im Briefkasten lag. Fast wöchentlich, oft mehrfach. Unsagbare Freude. Auch beim Lesen: Das Papier in der Hand, die Handspur des Lebensmenschen in Gestalt seiner Schrift auf dem Papier: augenrund, sandkornfein.

Könntest Du mich mal in den Arm nehmen?

Frage ich jetzt den toten Lebensmenschen.
Und rede gleich weiter: Nein, kannst Du nicht, denn Du bist ja tot.
Und denke mir: Was vielleicht nicht ‚nötig‘ gewesen wär. Was Du vielleicht einfach so für Dich wolltest. Und vielleicht schon immer. Und dann wär ich da einfach nur in etwas reingeraten, aus dem es keinen Ausweg gibt. Aber wie seit zehn Jahren (und vielleicht länger) bist Du aus dem Schneider. Ich nicht.
Und ich denke mir: Könntest Du mich mal in den Arm nehmen?
– Und jetzt sitz ich hier und mir läuft Wasser aus beiden Augen. Das ist kein „Weinen“. Aus meinem Körper läuft Wasser. Mein Körper vermisst Dich und fragt Dich: Könntest Du mich mal in den Arm nehmen?

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