Die erste Opera buffa im Witwesk (meine Mozarte zähle ich da nicht mit; denke, das ist okay) – und wohl auch die letzte.
Lindenoper. Musikalisch auf und unter der Bühne vermutlich top. Die Inszenierung – ein Jahr jünger als ich [!] – in dem minimalistischen Bühnenbild zeitlos gescheit. Performativ auf und unter der Bühne voller Spiellust.
Aber: Das Publikum (zumindest auf den sichteingeschränkten Plätzen) war ein Alptraum. Im zweiten Akt nach der Pause lachte es dann ganz ungehemmt. Darunter war ein Gelächter übelster Sorte: ein lautes „Ahrr-Hrr-Hrrr“, das jegliche Musik übertönte und leider direkt von dem Platz über meinem aus unzählige Male losblökte. Einmal litt ich es nicht mehr und drehte mich langsam um, den Finger auf den Lippen – das zerzaustschütterbärtige alte Kind mit sichteinschränkender Augenstellung, das ich erblickte, weckte neben Wut auch Ekel in mir. Seine fürchterlichen Amüsement-Bekundungen fielen in der Folge jedoch nur noch lauter und länger aus. Gern hätte ich dieser Person nach dem Schlussapplaus statt eines neuerlichen Besuches von Opernhäusern ein Zirkusticket anempfohlen, doch leider sah ich diesen Menschen nicht mehr.
Schon im ersten Akt hatte mein Sitznachbar zur Rechten (und damit bühnenblicktechnisch ‚vor‘ mir, denn wir saßen im II. Rang rechts) die Balustrade vor den Sitzen für sich entdeckt und ohne Rücksicht auf die Sichtverluste anderer sich ungehemmt mit Armen, Brust und langbebartetem Kinn darauf geworfen, so dass ich entweder fast nichts mehr von der Bühne sah und statt dessen auf seine untersetzte Silhouette (des Pullis hatte er sich entledigt und saß nun im schwarzen T-Shirt da) samt Talibanbartpracht blicken musste, oder die Augen schloss, oder meinerseits mich vorzubeugen und den Herrschaften links neben mir das Sichtfeld empfindlich einzuengen gezwungen war, wollte ich ein paar Blicke auf die Bühne erhaschen.
Etwa 20 Minuten vor Schluss schmiss sich dann dieser Pausen-Freud-Leser [!] zu meiner Rechten völlig ungehemmt so über die Balustrade, dass er mit der Achselhöhle darüber und folglich mir komplett in der Bühnenansicht hing, denn abwechselnd zauste er mit erhobenem gedrungenen Arm und so dick- wie kurzfingriger Hand entweder seinen Bart oder massierte seine Kopfhaut, derweil sein zwei Sitze breiter Schultergürtel auch noch die Sicht auf den Orchestergraben versperrte.
Ich habe ihm dann mit einem Finger ganz sacht auf die mir zugewandte seiner Schultern getippt und gestisch bedeutet, was er tut. Er schoss zurück an seine Rückenlehne und ging noch vor dem zweiten Vorhang. Ich hoffe, seine Freud-Lektüre ein wenig lebensweltlich angereichert zu haben. Und werde keine Opera buffa mehr sehen und hören, denn diese sah und hörte ich im Grunde ja auch schon nicht, zumindest nicht in der Lindenoper.
Ob ich da etwas versäumt habe, versäumen werde – hm, leise scharrt der Zweifel mit dem Fuß, denn was ich hören konnte, hat mich nicht erfasst, nicht durchdrungen, ist mir nie durch Mark und Bein geklungen. Ich lerne still für mich: Musikabend ohne Gänsehaut, ohne Atemhalt ist Amüsemang; die Ausgabe sinnlos, wenn nicht schmerzlich.
(Um Mahlers 6. in der Philharmonie einen Abend zuvor hatte ich mich vor langer Zeit vergeblich bemüht: Die wenigen Restkarten, die es damals noch gab, überstiegen das Budget der Witwenkasse bedauerlicherweise erheblich.)
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Und zum Rest: Ich lächle.
Vielleicht kann ich morgen für einen Moment damit aufhören.