25 Jahre – und ich dichte Maskentexte

„Zeugnis-Ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

flitzerotes Fahrrad

Gestern hätten wir das 25. Jubiläum unseres Versprechens, es miteinander versuchen zu wollen, gehabt, der tote Lebensmensch und ich.
– Und wieder lässt der Tod die Grammatik zerspringen: Der Konjunktiv II gilt für den toten Lebensmenschen und für uns als Paar.
Doch ich, die es noch gibt, habe gestern das 25. Jubiläum jenes Abends erlebt und muss das im Indikativ schreiben.

Allerdings habe ich gestern, statt unseres 25. Jubiläums zu gedenken, einen lyrischen Text geschrieben. Er steht nebenan unter „letztes dichter“ (mit Datum von heute, denn heute habe ich ihn überarbeitet).
Man könnte diesen Text auch ein „Gedicht“ nennen, zumal er sonettähnlich und reimgesprenkelt ist. Doch davon will ich Abstand nehmen, denn so wenig, wie ich noch Liebende bin, bin ich Dichterin – ja: letzteres bin ich im Gegensatz zu ersterem wohl noch nie gewesen.
Also: ein lyrischer Text.
Zuvor schrieb ich einen Prosa-Text.
Danach und erstmals schrieb ich eine „Rede“.

– Neuerdings schreibe ich wieder Texte. Das erstaunt mich. (Und den toten Lebensmenschen hätte es gefreut. Das darf er – im Konjunktiv II – gern stellvertretend für mich erleben.)

Und neuerdings radle ich auf dem flitzeroten Fahrrad auf Autokorsos mit (sogar in stundenlang strömendem Regen und jetzt schon zum 2. Mal), skandiere dann und wann „Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung“ und halte eine Rede (wenn auch ziemlich ex Ärmolo zusammengekürzt, weil Verspätung, Regen und Erschöpfung ihren Tribut forderten).

Wenig nur gibt es, das ich sicher weiß.
Der tote Lebensmensch wäre mir nicht böse, weil ich unseres 25. Jubiläums gestern so wenig nur gedachte. Und er wäre stolz auf den Löwen auf dem flitzeroten Fahrrad bei strömendem Regen im Autokorso.
Und er würde der Menschheit Erlösung von ihrer Denk-Angst wünschen – ja: Das wäre sein Wunsch für das neue Jahr.

Es ist auch meiner: Menschheit, habe keine Angst mehr, Dich Deines Verstandes endlich wieder zu bedienen!
Und schäme Dich, es nun so lange – mindestens zwei Jahre lang – nicht mehr getan zu haben, sondern Dir die Welt von korrupten PolitikerInnen und korrupten TechnokratInnen und ihren medialen PriesterInnen erklärt haben zu lassen!
Aber fürchte Deine Scham nicht! Wir kriegen einen guten Umgang damit zusammen hin – versprochen.

3 Gedanken zu „25 Jahre – und ich dichte Maskentexte

    1. Das Wort „Lebensmensch“ – ich habe bereits mehrfach darauf hingewiesen – stammt von Thomas Bernhard. Was er darunter verstand, weiß ich natürlich nicht, doch es sprang als selbstevident in mich, als ich zum ersten Mal davon las. Bernhard hat es auf eine Person angewendet, die ihm wohl die liebste und teuerste war; jemand, wie man ihn nur einmal im Leben findet, und mit dem man das Leben (das eigene und das des anderen) teilen möchte.

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