Ferien

265 Ferien
Begonnen habe ich die Ferien, indem ich die letzte Bettwäsche, die mir in doppelter Ausführung (denn „das gehört sich so“) geschenkt worden war, in den Müll warf.
Endlich habe ich diese Bettwäsche, unter der auch der Lebensmensch und ich manchmal – selten – lagen, in den Müll werfen können.

Und endlich habe ich noch einmal neue Bettwäsche kaufen können. Einen weißen Seersuckerbezug, auf dem im zarten Aquarell-Pinselstrich wunderhübsche Blumen Cancan tanzen.
Nur für mich, also nur einmal;
und ich tanz’ in meinen mir fast nie erinnerlichen Träumen vielleicht ein wenig mit.

Und ich habe – ebenso im Sommerschlussverkauf – noch einmal ein neues Kleid gekauft. Erstmals in Blau. (Und wohlgemerkt: Kleiderkauf ist seit maximal 4 oder 5 Jahren nach dem Tod der Fall; vor ihm nie – doch warum merke ich das hier noch an?)
Heute trug ich es. Beim Einkauf. Männer haben mich taxiert: Sie haben mich vermessen, von oben bis unten. Wenn ich genauso blaue Jeans trage, passiert das nie. Ich weiß, warum ich draußen viel lieber Jeans trage. Ich bin kein Ding, das ausgemessen werden muss, weil sich die Frage stellt, ob es wohl in den SUV, das Bett oder den Hosenstall passt.
Ich denke an die Augen des Lebensmenschen. Nie war ein Zollstock, ein Maßband darin. So oft aber blanke Neugier, Zärtlichkeit und fast immer ein Funkeln.

Und am Sonntag, also morgen, wird erstmals seit dem von Herrn Prof. Dr. Drosten und Herrn Prof. Dr. Wieler und Frau Dr. Bundeskanzlerin Merkel über alle bundesrepublikanischen Orchester und Chöre verhängten Berufsverbot wieder „Musik“ für mich sein: ein Konzert.

Mozart, Bach, Händel.
Fußläufig erreichbar. Unter freiem Himmel. (Fast auf dem Deckchair.) Für 24 Euro.
Das kann ich bezahlen.
– Obwohl ich keine Corona-Hilfen bekomme.
– Obwohl ich – wie so viele Integrationskurslehrkräfte – aktuell für etwa 7 Euro netto die Stunde arbeite (wenn wir überhaupt arbeiten dürfen, und viele dürfen das nicht, weil das Bamf es zum Teil immer noch verbietet).
~ ~ ~

Ich werde also – vielleicht – am Sonntag in meinem neuen, erstmals blauen Kleid Mozart, Bach und Händel hören können.
– Derweil in diesem Jahr etwa 500.000 aidskranke Menschen mehr als üblich krepieren werden, weil u.a. Herr Prof. Dr. Drosten und Herr Prof. Dr. Wieler den Corona-Lockdown empfohlen, Frau Dr. Bundeskanzlerin Merkel den Corona-Lockdown beschlossen und Hunderte der bundesrepublikanischen ParlamentarierInnen ihn genehmigt haben (https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/tausenden-von-hiv-infizierten-droht-ein-vorzeitiger-tod-16855138.html).
(Von all den anderen Millionen den Corona-Maßnahmen geschuldeten Toten weltweit schweige ich in diesem posting).

Mozart, Bach und Händel. Werde ich also vermutlich morgen erstmals seit vier Monaten wieder leibhaftig gespielt hören können, da in meinem erstmals blauen Kleid.
Die haben alle nichts anderes als das Leben und den Tod komponiert. Und die wussten alle noch, dass Leben und Tod zueinander gehören.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~ ~

Soweit ich verstehe, was aktuell geschieht,
sehe ich, dass die vorherige Entwicklung – also, dass diejenigen, die alles haben, noch mehr bekommen, und diejenigen, die wenig oder nichts haben, viel zu früh krepieren – sich in der sogenannten Corona-Krise exponentiell fortsetzt.
Dann verlischt die Gattung Homo sapiens sapiens noch schneller, als ich dachte.

Ich freue mich ja selten, heute aber schon.

„Durcharbeiten“ im Witwesk

96 Honigschwere Tatze mit Eis drunterWieder und wieder und wieder und wieder und wieder die Frage.
Für welche der zwei noch gültigen Optionen ich mich entscheide, entscheiden werde – wenn, falls ich mich denn dann vielleicht endlich irgendwann doch noch entscheiden kann.

Die Option Nr. 3 lebe ich seit zehn Jahren – nur war sie nie eine. Und allmählich geht mir damit wirklich die Geduld aus.

Hadern, haften, hilflos sein – das ist no. 3.
Zukunftsoffen und vergangenheits֍ent֍schlossen ist no. 2.
Augenklar ist no. 1.

Doch wer weiß, vielleicht bastelt auch etwas schon längst Option Nr. 4.
Die würde ich dann irgendwann mit honigschwerer Tatze hierher malen – oder vielleicht an einen anderen Ort. Oder – wer weiß das schon – ich würde einfach Honig naschen. Oder vielleicht auch (weil es mir dann womöglich an Tatzenhaftigkeit fehlen könnte) Plattpfirsich mit Butterflöckchen, deren Schmelzen noch auf der Frucht meinem Auge zur Freude gereichte.

~ ~ ~
Liebster Toter und lieber Tod,
ich bin jetzt so reich. An Optionen.
Damals, als wir ans Sterben gehen mussten, hatten wir keine.
Jetzt habe ich womöglich gleich vier!
Und wer weiß, vielleicht ist die vierte – sofern etwas in mir die bastelt – mein ganz persönliches ‚Shelley-Monster‘: ein Hybrid zwar aus allem, was ich war (damals im Tod auch schulmedizinisch „eigentlich tot“) und bin, doch fündig geworden und teilhaftig
des Honigs
all meiner und eurer und einiger anderer mit mir verbrachten Jahre und Zeiten.
– Sofern etwas in mir die bastelt. Und wer weiß das schon.

Alles noch können – oder: Fragmente

264 Fragmente
Oft wäre ich auch persönlich gern die, die ich professionell immer und offiziell sehr häufig bin.

Wäre gern auch persönlich die empathische Lehrerin, die sich über Schwangerschaften mitfreut, die Hoffnungen bestärkt und die an Zukunft und Wünsche glaubt – oder all das zumindest sehr überzeugend vorgibt zu tun, so überzeugend, dass sie selber für die Dauer der Situation davon überzeugt ist und dann die Krähe auf ihrer Schulter ignoriert (sieht die doch außer mir ohnehin sonst keiner).
Wäre gern auch persönlich die trocken scherzende Zahnarztpatientin während der Kronenbehandlung*, die charmante Kundin des Obst- und Gemüseladens, die hilfsbereite Nachbarin.

Ich kann das alles.
Unter der Maske.
Ich kann das alles, immer noch, trotz allem.

*(Dass ich mich jetzt zum Beispiel noch einmal für eine so aufwendige zahnärztliche Behandlung entschieden habe, grenzt an Irrsinn: nach allem, in allem. Und ob die Zusatzversicherung zahlen wird, ist noch offen.
Ich habe auch das gemacht. Trotz allem.)

Ich kann das alles. Immer noch, also trotz allem.

Aber ich kann es nunmehr, hier im Witwesk, nur zersprengt.
Nur, wenn ich sprenge, wer ich persönlich bin und was nur ich selbst – außerhalb meiner professionellen Rolle und außerhalb jeglicher Soziabilität – erfahren habe.

Vielleicht wird damit zu leben sein. Vielleicht werden es irgendwann der Trümmer zu viele.

Funktion

117 Müdigkeit
Nicht mehr, nicht weniger. Witwesker Eisbär im Funktionsmodus. Wortlos, traumlos.
Macht Bamf-Maloche.
Macht Geburtstagstelefonate.
Macht Aufstehen, Laufen, Schlafengehen.
Macht das noch nicht gänzlich fraglos:
Wozu bleibt die Lücke zwischen den Zahnrädchen.

Wo eine Lücke ist, ist: nichts. Also: Raum:
Luftlos, lichtlos, tonlos, bildlos, reglos, tröstlich.

Lektüren

263 Lektürenschicksale
Warum Befindlichkeitsprosa, die heutzutage stets zugleich auch massive Betroffenheitsprosa ist, Furore macht (immer noch, immer wieder), das vom Tod aufgezeichnete und mit seinen persönlichen Erinnerungen angereicherte Protokoll eines Sterbens aber keinen Buchrücken zum Anlehnen findet – das werde ich nie verstehen.
(Und dass mir ein Verleger einst schrieb: „[W]arum muss als Erzählinstanz eigentlich der Tod herhalten? Dem wir ja letztlich alle weniger gerne zuhören als dem Leben…“, das zeigte mir damals vor ein paar Jahren und bis heute nur wieder die blanke, weite Differenz zwischen den Menschen und mir.)

Doch ich muss das auch nicht mehr verstehen: Meine schriftstellerischen Serpentinen liegen hinter mir, all das Leben, Sterben, Widern „literarisch“ – es ist: vorbei.

Ich schreib nur noch hier, bei mir. (Und genau da, hier bei mir, vielleicht irgendwann sogar Roman Nr. 4 zu Ende.)

Doch ich habe wieder mit dem Lesen angefangen. Habe mich durch mein allerletztes (versprochen, Witwe!) Betroffenfindlichkeitsbuch gekämpft (ja: Selbstmorde im inneren Blutsfamilienkreise sind schrecklich, es aber dennoch zu einem auf einer jeden Seite glorifizierten nicht nur Sohn, sondern Sohnemann und zuvor schon zur Professur gebracht zu haben – das ist doch ganz schön, oder etwa nicht?), und habe begonnen mit einer persönlich mehr als heiklen Lektüre.
Es gibt einen Menschen, der davon weiß. Dem ich davon weiterhin erzählen kann, wenn ich mag. Er wird dann weiter fragen, so wie er nun schon damit begonnen hat. (Dass er das Buch nicht kennt, tut in diesem Falle der Sache keinen Abbruch: Wir führen keine literaturwissenschaftlichen Gespräche, denn ich bin ja keine Literaturwissenschaftlerin mehr, sondern ein witwesker Eisbär.)

Und womöglich wird dieses Buch mich endlich freigeben für den letzten Proust-Band und dann Johnsons „Jahrestage“ (die immer noch hinter der doch ausschließlich zu Leben #1 gehörenden paywall „Habilitation“ verborgen liegen und dort eigentlich auf Hurtigruten begonnen werden müssten – also hier, auf der Eisscholle namens Existenz#2, doppelt unzugänglich sind; und das völlig unabhängig von irgendwelchen Viren).

Es haben die Bücher nicht nur ihr Schicksal, sondern auch ihre Macht.

Peritonealkarzinose

Heute vor zehn Jahren, am 10. Juni, der Lebensmensch war 46, ich 42, kam die zweite Krebsdiagnose.
Die erste war grad mal ein Jahr und zwei Monate zehn Monate* alt. Die galt als relativ gut heilbar.
– Aber nichts war „gut“: Nicht der Verlauf der OP(s), nicht der Verlauf der Rekonvaleszenz, nicht der Verlauf der Chemotherapie.
Nach einem Jahr und zwei Monaten zehn Monaten* kam der zweite Krebsbefund.
Eine extrem seltene Metastasierung ins Bauchfell. (Wie ja schon zuvor im „Krankheitsverlauf“ alles „extrem selten“ gewesen war – und bleiben sollte.)
Zu 95 – 100 % tödlich, meistens binnen eines halben Jahres.

Wir waren – und vermutlich nicht erst, seitdem es einen jeden von uns beiden auch im Wir gab – immer anders als die Mehrheit.
Dieses Mal nicht.

~ ~ ~
Mir sind in dieser Woche zwei Sätze gesagt worden, die – ja, was eigentlich?
Behelfshalber: Die mich ratlos machen.

Der eine Satz war ein Aussagesatz. Er lautete sinngemäß: „Sie können den Tod Ihres Mannes nicht vergessen und nicht verwinden, aber so etwas können fast alle außer Ihnen vergessen und verwinden.“
Der andere Satz war ein Fragesatz zu einer Person aus der Blutsfamilie. – Gut, es ist zu veranschlagen, dass die fragende Person nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Davon unabhängig habe ich mit jener gelinden Gleichgültigkeit geantwortet, die mir da zueigen geworden ist.

Der Aussagesatz hingegen hat mich erneut traurig und erzürnt gemacht, ein wenig (das stumpft ja bei fortdauernden Wiederholungen auch ab):
Ich weiß, dass „alle anderen“ „besser trauern“, also ihre Toten verwinden, vergessen.
Ich weiß das.
Und manchmal bin ich neidisch auf all diese glücklichen Ex-Verwitweten, die ihre Toten verwunden und das Leben mit ihnen weitgehend vergessen haben, und nun im Arm anderer Liebesmenschen liegen und ein „neues Leben“ leben.

Dass also fast alle anderen „besser“ trauern als ich, weiß ich jetzt, nach bald zehn Jahren seit dem Tod.
Weiß, dass es normal ist, irgendwann seine Toten im Alltag weitgehend vergessen zu haben und in Erinnerungsmomenten keine extreme Traurigkeit mehr zu verspüren (ist mir mit meinem Vater auch so gegangen); weiß, dass es normal ist, ein neues Leben anzufangen, sofern der tote Mensch Liebespartner oder Kind war (das bekomme ich ja überall zu lesen); weiß, dass die wenigsten Menschen zwei gleiche Krebse binnen gut eines Jahres im allernächsten Familienkreise sowie währenddessen die simultane Annihilation ihrer Arbeitsinstitution und dadurch bedingt ihrer beruflichen Zukunftschancen erleben (was mir widerfahren ist).
Ich weiß das alles.

Ich bin aber mein Leben, wie alle ihr Leben sind.

Und ich lasse mir mein Leben nicht absprechen, nur weil nichts davon normal ist.
Und ich lasse mir meine Reaktion darauf nicht absprechen, denn sie ist völlig normal angesichts dessen, worauf sie erfolgt – auch noch nach zehn Jahren.
Und ich weiß: Ich bin nicht meines Glückes Schmied, so wenig wie irgendjemand.
Und auch nicht der meiner Traurigkeit, die mir angewachsen ist als dichter, weißrauschender Pelz.

* Nachtrag vom 15.07.2020: Wieder habe ich die Zeit falsch berechnet, wieder habe ich uns mehr Zeit gegeben, als wir hatten.
Diagnose 1: 05.08.2009,
Diagnose 2: 10.08.2010.
Das sind nur zehn Monate, nicht 14. (– Wir waren ja nach knapp 15 tot.)

Ein ganz normaler Tag

262 Begegnungen
Heute traf ich einen Menschen aus meinem Leben #1. Darin hatten wir nicht viel miteinander zu tun. Ich habe seinen Vortrag auf einer Tagung mal moderiert, auf der ich selbst – von jemand anderem moderiert – vortrug, er hat mir dann einige Rezensionen angeboten. Er war damals schon alt. Ich noch vergleichsweise jung. Dass er an der Grenze meines Kiezes wohnt, wusste ich seit Jahren, seit damals, als ich ein halbes Witwenjahr für die Biocompany auf Minijobbasis malochte, also Kassenjonglage sowie Tomatenhochstapelei für die betrieb und er da plötzlich als Kunde vor mir stand. – War ’ne skurrile Begegnung: Der Herr pensionierte Privatdozent mit seinen Biotomaten auf dem Kassenband und die Ex-fast-Professorin da nun im Supermarkt-Kittel hinter der Kasse.

Auch heute wieder war das eine skurrile Begegnung. Wir haben uns fünf Jahre nicht gesehen. Heute war es für uns beide unvermeidlich.
Und der hat kein Wort von dem, was ich auf seine zwei Fragen sagte (Was machen Sie denn jetzt, Stimmt die Vergütung), gehört. Der hat dann einfach nur vor sich hin und von sich gesprochen. Ich habe jedes seiner Worte gehört. Nicht ein einziges war eine Reaktion auf ein Wort von mir. Nicht ein einziges.

Er wohnt am See und kauft in einer alteingessenen und teuren Biobäckerei hier ein – sein Leben also ist so heilig verlaufen und wird entsprechend vergütet wie das vom akademischen Durchschnitt.

Wenn ich diesen lange schon pensionierten Privatdozenten das nächste Mal sehe, werde ich den von meinen Erzeugern mir im frühesten Kindesalter antrainierten Höflichkeitsreflex AB-SCHAL-TEN und einfach durch den hindurch sehen. Ich bin sicher: Jener Mann wird erleichtert sein und seinen 5 Euro-Bio-Latte (oder jetzt vielleicht sogar 7-Euro-Bio-Latte?) entspannter trinken können.

Dass ich heute danach im Hinterhof auf eine neue Nachbarin (Mutti von Kleinkind) traf, die irgendsoeinen Elektrogrillwagen herrichtete, derweil ich meinen frisch vom Discounter für knapp 10 außerplanmäßige Euro erworbenen, über 1m großen Ficus in den Topf pflanzte, in dem mein eigener etwa 30 Jahre alter Ficus vor kurzem verstorben ist, passte zu diesem Tag:
Jene Nachbarin pries mir ihren Elektrogrillwagen an, denn den könne jeder im Haus benutzen, sie würde noch einen Aushang machen. Ich sagte ihr: „Sorry, ich bin Witwe, da grillt man nicht mehr.“
Sie verstand, ich sei „Veggi“.
Ich habe dann wiederholt, dass ich Witwe bin und dass ich nicht mehr grille. Die hat mich daraufhin eingeladen zu ihrem Kinderspektakel-Grillabend heute.

Was denken die Menschen eigentlich?
Denken die überhaupt?

„Denken“ heißt: Nicht Instinkt, nicht Gefühl walten zu lassen. „Denken“ heißt: Von seinen Instinkten, seinen Gefühlen Abstand nehmen und somit außerhalb seiner bloßen Kreatürlichkeit kognitive Operationen anstellen zu können, die anderen Subjekten und Objekten gelten (also nicht immer nur sich selbst), heißt also auch: Perspektivwechsel.
Ich übrigens weiß, was der pensionierte Privatdozent denkt, und ich weiß, was die mittelalte Mutter des Kleinkinds denkt, wenn sie mir gegenüberstehen. Und da gehört gar nicht viel Intellekt dazu: Deren Reaktionen auf mich sind glasklar. Und genau deshalb frage ich:

Was denken die Menschen eigentlich?
Denken die überhaupt?

Eine Luke ist aufgegangen,

261 Unterm Himmelszelt
womöglich neue Sternlein prangen
an der Witwe Himmelszelt
(zumindest in der DaZel-Welt).

Neue SchülerInnen finden sich im online-Zeitalter ein.
Alte SchülerInnen (sofern man nach sechs Wochen ein „alter Schüler“ ist) schreiben Liebesbotschaften verschiedenster Art an meine Methodik.

Ja, ich in meiner Rolle als Teilzeit-Integrationskurs-Dozentin nunmehr online habe viel dazu gelernt in den letzten sieben Wochen.
Dass das noch immer, auch seit dem Tod, geht: das Dazulernen, stimmt mich ein klein wenig froh. Doch dann denke ich an die Uni und was da vielleichtvielleicht mir möglich gewesen wär’. ~ Und dann muss ich lachend weinen: Is längst nich mehr!

Und ich habe ja auch „investiert“ in diese letzten sieben Wochen online-DaZ-Unterricht, unter anderem in einen Monitor, einen Monitorarm, diverse Kabel, eine Webcam und ein Headset: 250 Euro – ohne irgendeinen staatlichen „Zuschuss“ (selbige zu beantragen, bin ich als Witwe nicht berechtigt). Und ich habe investiert in Gestalt all der unbezahlten Vorbereitungsstunden und Webinare und Bamf-Dokumentationsarbeiten. (Nein, mein aktuelles Stundenhonorar auszurechnen, weigere ich mich. Denn man wirft mir immer wieder vor, „bitter“ zu sein. Deshalb lasse ich das jetzt.
Naiv aber [oder feige? oder einfach: abgesichert durch Männe?], wie so viele Kolleginnen [es ist ein Frauenberuf!] es sind, bin ich nicht.)

Und simsalabim ~.~.~ prangen da vielleichtvielleicht ein paar neue Sternlein an meinem Himmelszelt.

Jedenfalls prangt da eine brandneue an meine Methodik adressierte Liebesbotschaft.
{ Und wieder einmal muss ich an die E-Mail einer ehemaligen Studentin denken, die wenige Tage nach dem Tod kam (von dem die Absenderin nichts wissen konnte), und in der stand, dass ich ein didaktischer „Tausendsassa“ sei.
Damals war ich vermutlich auch wissenschaftlich einer; die Zeugnisse darüber jedenfalls gingen in den Jahren vor dem Tod vermehrt bei mir ein. Tja – was soll’s: Is längst nich mehr. }

Und so peinlich ich das auch finde (weil ich es peinlich finde, nach all den Erfahrungen, all der Zeit und all den Todesjahren immer noch narzisstischer Zufuhr bedürftig zu sein): Ich freue mich über solche Botschaften, über offene Luken und über Licht.

Und ich hoffe auf Deckchair-Nächte auf meinem Balkon: Pfirsichluft & Sterne am Himmelszelt & eine ganz wundersame Minidahlie im Blumenkasten, die mir schon jetzt mehrfach ein herrliches Staunen geschenkt hat, weil sie über Wandelröscheneigenschaften verfügt und mal gelb, mal orange, mal rot ist und manchmal alles gleichzeitig.

Eine Frage an Prof. Dr. Christian Drosten

phallischer Pfau

{Mir reicht es jetzt. Mir reicht es jetzt. Mir reicht es jetzt!}

Headline von gestern/heute: „Virologe Drosten reklamiert Rettung von bis zu 100.000 Leben für sein Team“
so schreibt DER TAGESSPIEGEL am 29. Mai 2020 unter Berufung auf ein hinter einer Paywall stehendes SPIEGEL-Interview mit eben jenem Chr. Drosten.

Zitat Drosten (aus jenem SPIEGEL-Interview, das ich nur in der Berichterstattung des TAGESSPIEGELS rezipieren konnte):
„Wenn wir nicht so früh hätten testen können, wenn wir Wissenschaftler nicht die Politik informiert hätten – ich glaube, dann hätten wir in Deutschland jetzt 50.000 bis 100.000 Tote mehr.“

Ich habe nicht eine, ich habe drei Fragen an Herrn Drosten.
Diese Fragen stelle ich im Wissen, dass in der BRD im Winter 2017/18 fünfundzwanzigtausend (in Ziffern: 25.000) Menschen an einem Influenza-Virus gestorben sind – binnen etwa drei Monaten.

Frage 1:
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Drosten, die von Ihrem Labor und damit auch von Ihnen persönlich (?) entwickelten Sars-CoV2-Tests sind immer wieder fehlerhaft.
– Wie kommen Sie nun dazu, zu behaupten, dass Ihre Tests irgendwie 50.000 bis 100.000 Tote verhindert hätten?

Frage 2:
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Drosten, wissen Sie, dass es mehr als 50.000 bis 100.000 Tote geben wird, die aufgrund Ihrer Viren-„Informationen“ hierzulande zwar nicht am Virus Sars CoV-2, aber an den gegen dieses Virus ergriffenen „Maßnahmen“ sterben werden (und zum Teil bereits gestorben sind)? Ich spreche da von physischen und psychischen Toden.
Und ich schweige von den Millionen Menschen weltweit, die aufgrund der von Ihnen, Herr Drosten, empfohlenen Maßnahmen bereits an Hunger und mangelnden Impfungen de facto krepiert sind und noch krepieren werden, weil die Industrienationen ihre Wirtschaft mal eben so auf Null runtergefahren haben, dank Ihrer, Herr Drosten, Informationen.

Frage 3:
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Drosten, haben Sie sich einmal das Foto angesehen, das der SPIEGEL von Ihnen für das Interview gemacht hat und mit dem er nun sein Titelblatt ziert? Der Spiegel, Nr. 23, 30.05.3020, Titelblatt , https://pbs.twimg.com/media/EZLuIJTWkAEQCOp?format=jpg&name=900x900

Haben Sie das so freigegeben? Dieses Foto für das Interview? Und gar für den Titel? Haben Sie das so freigegeben?
Das Foto zeigt: Christan Drosten – den Corona-Jesus / oder: den Corona-Dylan (I ain’t gonna work on Maggie’s farm no more!) / oder den Corona-Jagger (I can’t get no satisfaction) / oder den Corona-Che:
Revoluzzerblick & Kräuselnackenhaar & Dreitagebart & überhaupt das übliche mythenserielle ‚Charisma‘ + ein wenig Leonard Cohen-Weisheit à la „You want it darker“.

Sollten Sie das Foto freigegeben haben, damit es des SPIEGEL Titelblatt ziere, wüßte ich, was ich täte, wenn wir uns jemals gegenüberstünden.
Lachen. Laut und lange: Sie auslachen.
Sie, diesen Pfau, der Millionen von Menschensterben ausblendet, um einmal so richtig mit seinem Schwanz ein Rad schlagen zu können.

Dass es nicht genug war

259 Dass es nicht genug war

– mit dieser Erfahrung leben können (oder sterben.)

Dass es nicht genug war ganz am Anfang. Nicht genug Arm, nicht genug Brust, nicht genug Augenglanz.
Und dass es nicht genug war ganz am Ende – welches vor allem, also physisch, das Ende des Lebensmenschen war –, nicht genug Sicherheit, nicht genug Mut, nicht genug Hingabe (und da rede ich auch von meinem Versagen).
(Zwischendrin waren knapp 14 Jahre, in denen alles reichte. Keine Not, kein Hunger, kein Mangel. Diese Jahre waren in einem anderen Leben, nun sind sie archäologische Fundstücke – wenn ich sie denn finde.)

Mit dieser Erfahrung, dass es nicht genug war, also leben (oder sterben). – Nicht mehr „hadern“.
Keine Tänze auf der Grenze mehr.
Kein trocknes Heulen mehr.
Und auch keine Verzweiflung mehr über vertanzte, verheulte, vertrocknete, entgrenzte Tage&Nächte.

– Immer wieder denke ich diesen Gedanken. Und frage mich, wie das wohl wäre.
Wenn ich leben (oder sterben) könnte mit all dem, was am Anfang und am Ende nicht genug vorhanden war.
Statt wie jetzt seit zehn Jahren auf der Grenze zu tänzeln, und das bar jeder Grazie eisbärenplump.
~ ~ ~

Manchmal in den letzten Jahren ist es passiert: Irgendetwas hat trotzdem gereicht.
Während des DaZelns.
Mit den Freunden.
Auf einer Couch, auf deren Rückenlehne der Zwilling vom Mitbewohner steht. (Dort am seltensten. Und das macht es keineswegs ‚wertvoller‘.)
In der Oper, im Konzert. (Dort so sehr, dass es anfing zu sättigen: Endlich kein Magen mehr! Nur Ohren und Haut und Bauchhöhle.)
– Ein paar Lebensmomente lang also hat irgendetwas auch im Witwesk gereicht.

Wie das wohl wär’, wenn der Mangel der Frühzeit und die Verlusterfahrung in der Lebensmitte nicht mehr von existentieller Bedeutung wären? Wenn irgendetwas endlich und bis ans Ende reichen würde?
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Ich denke wieder über eine Museumsjahreskarte nach, nun, da alle Konzerte und Opern gestrichen sind.
– 50 Euro. Mundschutz. Besuchsfensterbuchungspflicht. Beschwerliche Anfahrt mit dem flitzeroten Fahrrad. Tonlosigkeit. Ewigkeit.
+ All die Geschichten, Gesichter, Blicke (in den Gemälden, auf die Gemälde – seit Jahrhunderten). Des Menschen Tier- und Menschsein genau betrachten können. Stille in Gegenwart Anderer, Weniger.
0 Die Promotionsphase in Leben #1: Die ganze Frührenaissance – jetzt noch einmal und völlig anders?!

Und ich denke an eine Reise. Ans Meer, wie es mehr Meer kaum geben kann: nach Ericeira. Vor anderthalb Jahren dachte ich schon einmal an so eine Reise, hatte sogar Hotel, Flug und Transfer recherchiert.
Ob dergleichen jetzt noch irgendwann einmal wieder möglich sein wird? Damals scheiterte es an mir. Jetzt scheitert es bis auf Weiteres an dem Todesangst-Wahnsinn, der die Menschen seit jeher in ihren Klauen hält, nun aber komplett über sie hereingebrochen ist.