Dass ich zu gehen weiß

„Zeugnis-Ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Wir sind die rote Linie, Herr Scholz!

Darauf vertraue ich.
Einmal war es soweit, doch dann tätigte ich zwei Telefonate – beide waren versprochen – und der Freund meines Lebensmenschen hat mich ans Leben verraten.
(Ich wünsche ihm bis heute, was ich hier nicht schreiben kann, aber ihm weiterhin inständig wünsche.)
Jetzt weiß ich: Keine Telefonate!

In den letzten paar Wochen ist wieder so viel durch mich durchgegangen, hat an mir gezerrt, mich gestaucht und getreten.
Das Übliche der faschistoiden Politik, das ich zu einem Bruchteil hier dokumentiert habe.
Persönliches, das ich nicht dokumentieren muss, weil es ubiquitär ist: Verrat.
Privates, das ohnehin niemand versteht (ich musste zum Beispiel nun zum fünften Mal des Lebensmenschen und mein Arbeitszimmer, die wir nie zu nutzen wirklich in den Genuss kamen, vermieten als Wohnung, und wissend, was das für verlorene Privilegien sind, reibt mich diese Vermietung immer noch auf – ja, versteht niemand, muss auch niemand verstehen, weil ab irgendwann ein jeder Mensch so ein Privates mit sich schleppt, das niemand versteht).
Und Testamentarisches, weil ich an Mitläuferinnen nichts zu vererben habe.

Ja, keine Telefonate am Ende!
Und schon jetzt nur noch dann und wann.

Ich habe noch einmal (wie immer seit 12 Jahren alles im Sale) zwei Kleider und drei Orchideen erworben; die Pflanzen sind mir wichtig, für sie erwarb ich auch Töpfe. Ob ich die Kleider je tragen werde, halte ich für fraglich. Die Pflanzen stehen neben dem Schreibtisch im erneuten Fast-Alles-Zimmer. Sie stehen da: Blühend in saftigem Grün. Mehr nicht. Nicht weniger.
(Dann und wann sehe ich sie an und mir schleicht sich ein Lächeln in die Augenwinkel, das sich ausbreitet und alle etwa 46 Gesichtsmuskeln ergreift – ein Lächeln!)

Heute war wieder Montag, also Montagsspaziergang. Und heute war hier wieder mal ein „Livestreamer“ dabei, diesmal einer, der sich zur „Antifa“ bekennt. Er hat mit fast jedem seiner kenntnislosen Kommentare bewiesen, dass er das ist: Einer von den einst „Antifa“ genannten, nunmehr „Profa“ zu nennenden Spontan-Moral-ÜberbietigheimerInnen, die außer sich selbst nichts kennen und nichts wollen.
Ich finde seine Live-Doku unseres Spaziergangs durch seine sich selbst als ahnungsloses Häschen offenbarenden ad-hoc-Kommentare genial, nicht zuletzt, weil er sich am Ende die Zähne an uns als basisdemokratischer Graswurzelbewegung ausbeißt.
Deswegen kommentierte ich dort: „Besten Dank für die Dokumentation! Besonders apart finde ich Ihre Kommentare, in denen Sie Ihre Ahnungslosigkeit von keiner Scham gebremst kundtun; der Kontrast zu den Kenntnissen der Montagsspaziergänger ist ebenso immens wie peinlich. Ich empfehle Ihnen Lektüren, z.B. die der NachDenkSeiten oder von Corodok.de.“ + „Im Amtseid der Bundesregierungsmitglieder ist übrigens leider tatsächlich vom „deutschen Volk“ die Rede – wie gesagt: Lektüre bildet.“ (Natürlich veröffentlicht dieser Streamer meine Kommentare nicht.)
https://www.youtube.com/watch?v=5BQmj0YgeuY

Und gleichzeitig lernte ich heute im Verlaufe des Abends Einiges:
Laut diesem Streamer-Häschen, das die Mehrheitsmenschen repräsentiert, unter denen ich mich schon lange nicht mehr bewege, weshalb ich immer dankbar dafür bin, auf deren Denken aufmerksam gemacht zu werden – laut diesem Streamerhäschen also bedienen wir grundsätzlich Pösenpösen uns „rechter Symbolik“ bei Folgendem:
– bei Kritik des ÖRR (Medienkritik ist also per se heute faschistisch, wenn sie den etablierten Medien gilt),
– bei der Verwendung von staatlichen Statistiken,
– bei der Forderung, PolitikerInnen und andere Menschen in Führungspositionen für ihre Fehler und Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen,
– beim Hinweis auf die Verbrechen des Ukraine-Regimes von 2014-2022 (die damals auch durch den ÖRR der BRD gingen),
und noch bei ein paar Dingen mehr sind wir wieder rechts, pöse und Nazis laut diesem Livestreamer-Schafslöckchen, das vermutlich immer noch (für) die Mehrheit hierzulande löckt.
{ Sollte er sich je hierher verirren, starte ich mit einer ganz freundlichen Frage: Ansar, warum streamst Du nur dich selbst kommentierend, nicht aber mit den Menschen in ein Gespräch kommend, die Du ungefragt aufnimmst? }

Mein „Glaube“ an die menschliche Gattung hat durch dieses offenbar für das Denken der Masse der Menschen stehende Video erneut eine große Delle erhalten: WIE BLÖD WERDEN DIESE MENSCHEN EIGENTLICH NOCH?!

– Doch was geht mich die menschliche Gattung an?
Ich bin ein witwesker Eisbär, der sich geschworen hat, nicht – so wie meine Großeltern – als Mitläufer bei der Vernichtung der menschlichen Vernunft zu sterben.
Ich werde, solange ich lebe, gegen die Vernichtung der menschlichen Vernunft kämpfen.
Doch ich werde, wenn diese Gattung mehrheitlich die Vernichtung ihrer Vernunft befürwortet und von keiner Minderheit mehr Widerstand dagegen geleistet wird, dieser Gattung „Mensch“, die sich dann anders nennen muss und wird, nicht mehr im Weg stehen.

Dass das Projekt „Aufklärung“ stets hochprekär war, weil es anstrengend, schmerzvoll und voll bitterer Einsichten ist, war immer klar.
Dass aber all seine zutiefst menschlichen Offenbarungen, all seine freudvollen Belohnungen, all seine überraschenden Geschenke jetzt gar nichts mehr gelten, dass freies Denken, offene Kritik, die Zimtnüsse der Erkenntnis, das Labsal kritischer Diskussion, die Wonnen gemeinsam entdeckter Selbstwidersprüche jetzt gar nichts mehr gelten,
das trifft mich ins Mark.

Noch betreibe ich dieses Projekt „Aufklärung“.

Dass ich zu gehen weiß, macht es mir leichter.

Hier ist Platz für Ihren Kommentar. (Ich werde ihn lesen.)