Sage, witwesker Eisbär, nicht, dass Tode so sinnlos seien wie das Leben – oder: Nochmals zum Tod von Klaus Heinrich

Angesichts

Seitdem er gestorben ist, beschäftige ich mich wieder mit Texten von Klaus Heinrich (gedruckten, und auch hörbaren – ♥ an einen). Auch habe ich die Video-Aufzeichnung einer Veranstaltung über das biblische Buch Jona gefunden, deren herzerfreuend gescheiter Hauptredner sich offenbar massiv auf Heinrichs Überlegungen dazu stützt (ein mir bisher unbekannter Professor der theologischen Grundlagenforschung namens Jakob Helmut Deibl – und eine so großartige und zeitgemäße Disziplin, die all diese unsäglichen „digital humanities“ schlicht einsackt, können sich vermutlich nur noch Universitäten in Österreich leisten):
https://www.youtube.com/watch?v=fe6LjhIX0pc&list=PLhXw7cMqKh5Tjqbu37A7QOyOxwfdCnjGF&index=35

Und wie schon damals vor etwa neuneinhalb Jahren beim Erstkontakt mit Klaus Heinrich („Erstkontakt“ zunächst als Erzählung, dann in Gestalt einer Primärschrift) frage ich mich erneut:
Wie kann einer so erzintelligent, so grundgescheit, so bodenlos belesen sein – und gleichzeitig dermaßen menschenfreundlich, ja: bemüht (und zunehmend auch bekümmert) um den Fortgang der Gattungsentwicklung?
Wie, zum Teufel, passt das zusammen? (Bitte, sag’s mir!)

{Immerhin: Eins der letzten Interviews mit ihm zeigt ihn für mein Empfinden auch ansatzweise rigide und rechthaberisch – aber was tun, wenn man 70 Jahre lang recht hat mit seinen Überlegungen zum Menschsein?
(https://www.deutschlandfunkkultur.de/selbstaufklaerung-und-verdraengung-der-gesellschaft-ein.2162.de.html?dram:article_id=399906) }

Philantrop sein und gnadenlos gescheit dank tiefster und weitester Bildung – mich macht das, ja: Was?
Unruhig: Mich bringt das aus meiner Ruhe. Denn ich verstehe nicht, wie das zusammengeht.

Ich denke über Naphta und Settembrini nach (ohne bislang nachgelesen zu haben, nur aus der Erinnerung gespeist). Ich denke an meinen Doktorvater und späteren Freund, sein sehr spezielles Alters‚schicksal‘ und das Strahlen in seinem Gesicht, mit dem er heute – der Worte verlustig gegangen – die Menschen anblickt (nicht alle und nicht immer, aber fast alle bei der Begrüßung).
Ich denke auch an einen, der mich vor etwa neuneinhalb Jahren von Klaus Heinrich wissen ließ, und der sich bis heute ab und an auf die Eisscholle zu mir setzt (er ist immer dafür pekuniär entschädigt worden, wenn auch vermutlich nicht vollumfänglich, aber das werden ohnehin nur Manager, und die für nichts). Der hat das zu seinem Beruf gemacht, sich auf Eisschollen, Stacheldrähte, Kreissägen, Schweigefalltüren, Erinnerungsbomben und zu Lebensmüdig-&Wortverlustigkeit zu setzen. Der ist auch ziemlich belesen, besehen, grundgescheit und hat bei Klaus Heinrich studiert.
Und der hat mich, seitdem ich den kenne, schon immer – ja, was gemacht?!

Unruhig.
Mich bringt der aus meiner Ruhe, knallt mir Konflikte hin, Fragen, gnadenlose Offenheiten, Ungelöstes – und zwar schlicht durch diese Menschenfreundlichkeit, von der Gattung immer wieder überrascht sein zu können und nie in der Neugier und dem Verstehenseros nachzulassen, die noch meinem Doktorvaterfreund tief aus seinem Gesicht strahlen, wenn er einen da von jenseits unseres Verstandesverstehens anblickt.

Vielleicht irre ich mich und es ist doch mehr in dieser Gattung als nur ein, bald behobener, Evolutionsirrtum in Gestalt von Vernichtung durch Gier (nach Macht und als dessen Derivat nach Geld).

Schon länger frage ich mich, wie meine Einstellung als witwesker Eisbär zur menschlichen Gattung mit meinen früheren Menschenerfahrungen im Zusammenleben mit dem Lebensmenschen passen kann. –
Bislang habe ich über diese Frage geschwiegen. Nicht nur, weil ich keine Antwort darauf habe, sondern allein schon, weil ich die Frage entsetzlich finde.
Alles, was entsetzlich ist, muss angeschaut werden, augenklar.
(Was entsetzlich ist, setzt einen von seinem Ruheort ab, löst ihn aus allen Bindungen, jagt ihn in Schrecken, Furcht* und Lähmung. Und befreit ihn manchmal von dem, was ihn belagert. – Schlage nach im Grimmschen Wörterbuch.)
Demnächst werde ich diese Frage mir hier wohl laut stellen.

*Ich schrieb tatsächlich erst einmal „Frucht“, wo ich doch „Furcht“ meinte, nicht wahr? Dass diese freudschen Fehler immer so obszön simpel sein müssen, finde ich entwürdigend. Das hilft aber nix.

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