Fehler machen – oder: Schluss mit einer Blase!


Immer noch lese ich in Psycho-Foren, genauer: in Internet-Foren für psychisch Gestörte. Einst schrieb ich auch dort.
Zu 99% schreiben dort Frauen. Von den dort schreibenden Frauen sind etwa 80% Mütter.
Nichts von dem dort Geschriebenen ist im statistischen Sinne „repräsentativ“ für die psychisch Gestörten der Bundesrepublik Deutschland (und das stimmt mich ein wenig froh). Diese Foren sind also sogenannte Blasen.

Mein Mitlesen dort ist ein Fehler, den ich mache, wieder und wieder.
Ich lese dort all diese anorektischen, depressiven, narzisstischen, borderline-, dissoziativ gestörten und/oder sonstwie psychisch kaputten Mütter (und die wenigen genauso kaputten Väter, die dort schreiben). Und die hadern alle mit ihren Müttern, den (mehr oder minder) unschuldigen Monstern.
– Und die pflanzen sich fort. Vor allem die Schwersttraumatisierten.
Die würgen Kinder am Fließband in die Welt. Zwei ist Minimum, zwei ist gar nichts, besser drei oder gleich sechse.

All diese Menschen, die dort schreiben, machen Psychotherapien oder haben sie gemacht oder wollen sie vielleicht machen. Sie schreiben dort über ihre ganze Gestörtheit, über ihre Psychose, ihren Hungerwahn, ihre bodenlose Traurigkeit, ihr Unvermögen, ein und derselbe Mensch zu bleiben. Wegen ihrer Mütter und oft auch wegen ihrer Väter, die alle schon mindestens genauso kaputt waren.
– Und dann erfährt man mal ganz nebenbei, dass Kinder da sind.
Oder dass noch ein Kind gezeugt wurde.
NIE SIND DIE KINDER IN DIESEN BEITRÄGEN IM ZENTRUM. Immer erfährt man nur nebenbei davon, dass diese gestörten Menschen Kinder haben und/oder bekommen werden.
{ Vielleicht schämen sie sich dessen und erwähnen es in diesen Foren deshalb erst immer sehr spät.}

~
Ich mache Fehler. Viele. Einen habe ich nicht gemacht: Ich habe mich nicht fortgepflanzt. Ich habe ein Ende gemacht.

Das ist nicht ganz so bewusst geschehen, wie ich es mir wünsche, aber es ist doch ziemlich bewusst geschehen. Und es ist das Ende eines generationenalten Leids, eines langewährenden Irrsinns.

Und das zählt, zumindest ein bisschen.
Jedenfalls signalisiert es mir: Ich kann Fehler unterbinden.
Und das heißt: Ich kann ebenso damit aufhören, in diesen grauenvollen Foren psychisch gestörter Menschen zu lesen, die ohnehin alle fast nur um sich selbst kreisen (was ich aus eigener Erfahrung weiß; und mich ekelt immer noch).

Was in mir bleibt:
Einer jeden Mutter (und einem jeden Vater) gegenüber tiefste Skepsis.
Ein kleines Glücksgefühl, weil ich ein Ende machen konnte.
Und: Ein Prickeln – alle Poren offen: Hirn- und andere Häute lassen Welt ein. Und mit jedem Zentimeter Welt werde ich mir gleichzeitig selbstverständlicher und belangloser: Frei zu und von.

Am Samstag das erste Mal nach fast genau sechs Monaten (sieht man von dem Laien-Spiel-artigen Nachmittag beim Schloss vor zwei Monaten mal ab) endlich wieder gelebte Musik: Das Opernhaus meiner Wahl erlaubt es Alleinstehenden, Einzelkarten online zu erwerben (fast alle anderen Konzert- und Musik-Etablissements hier zwingen Alleinstehenden, die eine Karte erstehen wollen, schwierige bis unmögliche Telefonate auf).
Und ich habe dort gleich noch zwei weitere Tickets für den Oktober erworben.
Auch wenn niemand weiß, ob … – das übrigens ist wie immer, auch ganz ohne „Corona“ (nur weiß das außer solchen wie mir keiner).
Vorhin Reste vom Freundinnen-Essen auf funkelnder Gischtlitze. – Was freu’ ich mich über’s neue Geschirr einen jeden Tag!
Und jetzt die erste Nacht in der neuen und frischgewaschenen Blumenwiese. – Was freu’ ich mich darauf (und darüber)!
{Und genauso gut könnte ich diese Sätze statt mit einem Ausrufezeichen mit einem Fragezeichen enden lassen: Freude und Sinnlosigkeit sind nicht zu trennen, auch nicht durch Interpunktionsregeln.}

Frei von und zu (wieder, immer wieder)


In manchen – seltenen – Momenten knie ich wieder auf diesem Krankenhausbett, draußen gewittertstürmt es, seine Hand liegt in meiner, sein Gesicht in meinem Blick, sein allmählich verlöschendes Auge ruht in meinem.

Das ist der größte Terror und das ist das größte Geschenk:
dem Tod zuzusehen – falsch: diesem, diesem Tod zuzusehen.

Er war langsam (gemessen an Kugelschuss oder gar Bombenhagel), er war schnell (gemessen am Krebssterben zuvor).

~
Es gibt keinen Menschen, der weiß, was ich da und in den 15 Monaten zuvor erlebt habe.
Außer – dem Lebensmenschen.
– – –

Irgendwann werde ich mich umdrehen. Über die Schulter blicken. Knien. Dann liegen. Schließlich ruhen. Und dann werde ich verlöschen. (Alles hoffentlich binnen Minuten; und wenn ich an ein paar Vorfahren denke, vor allem an jene terminale Miktionssynkope, dann weiß ich, dass es Chancen dafür gibt.)

Und dass mein Verlöschen in niemandem mehr nachglimmen wird, das stimmt mich froh.
Ich kann mich jederzeit umdrehen, denn nichts und niemand trägt mein Lachen, mein Leben, mein Aschekreuz.

Mal wieder halbtot als Radfahrerin wegen hirnamputierter, präpotenter Autobomber

Heute hat mich Ecke Ku’Damm/Joachimsthaler beim Einfahren auf die Rechtsabbiegerspur erst ein präpotenter Taxifahrer (ein Araber, und arabische oder auch türkische Taxifahrer agieren meinem Erleben als Radfahrerin nach bemerkenswert oft präpotent; Taxifahrer aus dem westlichen Kulturkreis agieren indes oft schlicht hinterfotzig) geschnitten – der Idiot hat dann auch die halbe Geradeausspur noch blockiert, weil ich mich nicht habe schneiden lassen. Und dann ist der vor mir in der Rechtsabbiegerspur stehende Jeep [sic! Ein „Jeep“ mit Berliner Kennzeichen – wie um alles in der Welt kann man in einer Großstadt so eine verschissene Karre fahren?! Und die Frage gilt für einen jeden „SUV“ = IQ-Einheit für „Sonderunterkomplexe Verkehrsteilnehmer“ genauso] einfach nicht losgefahren, als grün war, weil die Tusse auf dem Beifahrersitz irgendwelche Krümelchen von ihrem Röckelein langwierig fuchteln und dazu die Tür öffnen musste. Das verschissene Taxi ist erst links an dem verschissenen Jeep vorbeigezogen, um dann vor dem wieder rechts einzuscheren und bei dunkelgelb noch die Ampel zu nehmen. Der verschissene Jeep ist, nachdem die Tuss’ endlich ihre Krümelchen von ihrem Röckelein gewedelt und die Beifahrertür wieder geschlossen hatte, dann promt noch bei richtig fettem Rot über die Ampel gebrettert. – Nur ich stand dann da vor der roten Ampel: Ich, der Idiot, der sich schneiden, behindern, totfahren lässt von diesen präpotenten hirnkastrierten Fahrern hubraum- und PS-übersteigerter Autos.
Etwa sieben bis zwölf weitere Autos haben mich heute mit ca. 20 cm Abstand überholt, oder haben meine Radfahrer„nase“ vor einer Ampel zugestellt oder auch einfach gleich den Radweg zugeparkt.

Nie durfte Wut sein.

Es durften sein: kurze, sehr kurze, Situationsanalysen und auch bei deren Wegfall immer Verständnis für denjenigen, der den Fehler gemacht hatte / nervte / böse war, und dann Wohlerzogenheit: Lächeln, Knicksen, Hergeben (des Sieges oder des Kinderüberraschungseis).
Denn es war ja auch im Elternhause nie Wut, war immer nur eine Meinungsverschiedenheit.
{Nie durfte die Frage sein: Lasstihreuchjetztscheiden? – Es war ja immer nur eine Meinungsverschiedenheit.}

Immer musste Idylle sein. {Übrigens ganz extrem nach dem Tod: Was wurde da eine Ehe voller Meinungsverschiedenheiten veridyllisiert.}

Bis heute ist Wut mir fremd. – Wenn ich sie als mein Gefühl identifizieren kann (und das ist bereits eine „strukturelle Leistung“, jaja!), dann weiß ich nichts mit ihr anzufangen: Kann sie weder symbolisieren noch ausleben.
Sie wird ein Kolbenfresser. (Aber bekanntlich somatisiere ich ja nicht. Frisst sich das alles also gen Nimmerleinstag irgendwo rein.)
Andre Wut-Gestörte heulen (so liest man öfter mal). Andere Trauernde heulen (so liest man auch öfter mal). Ich nicht.

Heute da an der Ecke Ku’Damm/Joachimsthaler hätte ich der Tuss’ auf dem Jeepbeifahrersitz ihr verschissenes Röckelein zerschneiden und dem hirnkastrierten Jeepfahrer sein verschissenes Gemächt blockieren und dem präpotenten Taxifahrer sein verschissenes Hirn zuparken mögen, endgültig.

Aber Wut durfte nie sein. Bis heute.

Relaunch von WordPress: Grauen pur

Der letzte Eintrag hier (Kaufrausch – Atmen) war mein erster seit dem großen Relaunch von WordPress.
Ihn hier so hinzustellen, wie er nun hier steht, hat mich etwa vier Stunden Lebenszeit gekostet.
Weil bei WordPress nun nichts mehr so funktioniert wie vor diesem Relaunch. Weil alles viel komplizierter geworden ist. Weil alles tausendfach mehr Klicks und Handarbeit erfordert als zuvor.

WordPress behauptet, dass alles viel einfacher geworden sei, viel „intuitiver“, viel besser.
Die spinnen!

Offenbar wissen die nicht, dass ein Blog-Betreiber nicht mal eben in seinen Blog tippt, was ihm so grad in den Kopf kommt, und das dann raushaut, sondern dass er mit Texten arbeitet, die er in einem anständigen Textverarbeitungsprogramm zuvor geschrieben hat und dann in seinen Blog hineinkopiert (dort muss er dann sämtliche Formatierungen ohnehin noch einmal von Hand nacharbeiten. Aber dass jetzt nach dem Relaunch alles – ALLES – verlorengeht und sogar jeder Absatz von Hand nachbearbeitet werden muss – das ist eine neue Dimension des Blog-Grauens).
Vermutlich denken die, dass es unter den Blogbetreibern die Superhyperchecker gibt (die programmieren können) und die Hausfrauen (die nicht programmieren können). Offenbar wollen die nur erstere noch mit ihrem Geschäftsmodell bedienen. (Und ja: Ich zahle meine Webseite, freilich nicht über WordPress, sondern über meinen Provider, bei dem ich WordPress als ‚Oberfläche‘ benutzen kann.)

Ich bin aber ein bloggender witwesker Eisbär, eine Hausfrau auf meiner Eisscholle (und darunter), kein Superhyperchecker, und ich weiß nicht, ob ich nach diesem unendlich verschissenen Relaunch mit WordPress nun weiterbloggen möchte.

~ ~ ~
HA!
Es gibt ein „Plugin“ – das macht diesen ganzen Relaunch fast völlig ungeschehen! Ich arbeite jetzt damit.
(Und diese Typen hatten tatsächlich den Nerv, das ganze „Gutenberg“ zu nennen …)

Überlegungen zum witwesken Kaufrausch – oder: Atmen.

277 Kaufrauschgedanken
Ich miste weiterhin den Kleiderschrank aus: Wieder zwei Tüten voller Uni-Dozentinnen-Pullis sind im Container gelandet und nochmals ein Doppelbett-Bezug (ich war überrascht, ihn doppelt vorzufinden, dachte ich doch, alle Doppelbett-Bezüge bereits ausgemistet zu haben).
Im Kleiderschrank hängen allerdings immer noch Kleidungsstücke, die ich letztmals in Leben #1, also vor zehn Jahren (eher vor zwölf, danach waren 15 Monate Krebs) zuletzt getragen habe; manche davon nur zwei-, dreimal: öffentliches Vortragsoutfit, private Festtagsseide. – So, wie es sich derzeit anfühlt, kann auch das bald weg.
Obwohl fast alles noch passt und noch ‚gut‘ ist.

Genauso wie vor neuneinhalb Jahren beim Aussortieren der Kleidungsstücke des Lebensmenschen aus unserem Kleiderschrank: Auch die waren fast alle noch ‚gut‘.
Ich hatte zuvor das Sweatshirt und die Shorts, in denen er zuletzt (Anfang August 2009) joggen war und die noch immer über dem Stuhl in seinem Arbeitszimmer hingen (Juni 2011), an mich genommen, damit sie nicht mitaussortiert würden.

Sie liegen bis heute ungewaschen in einer Blechschachtel im Kleiderschrank. Zusammen mit dem – nicht von mir, aber gewaschenen – Handtuch, auf dem er in meinem Arm starb.
Alles andere von seiner Kleidung hat eine Freundin auf meine Bitte hin etwa ein halbes Jahr nach seinem Tod in Tüten verpackt. Und wir haben die dann gemeinsam auf dem vollbeladenen flitzeroten Fahrrad zum Container transportiert.
Alles davon war noch ‚gut‘. (Ich hatte dann jahrelang Angst davor, jemandem in seiner Lederjacke zu begegnen.)

Nun also meine Kleidung. Und das alte Bettzeug.
Mit dem Unterschied: Ich miste nicht nur aus. Ich wechsle aus, ich erwerbe also neu.

Mit dem Balkon fing es an: Statt der sich allmählich auflösenden Plastikstühle stand dort vor fünf Jahren plötzlich der Deckchair. Mit der Kleidung ging es ein Jahr später weiter und hat noch nicht wieder aufgehört. Dann kam die Musik dazu (die derzeit coronamaßnahmenbedingt weitgehend pausiert). Und schließlich ging es in die Wohnung hinein: Es kamen Kissenhüllen und eine Decke, Teetassen, Handtücher, meine [sic!] Bilder, das Bettzeug, die vom Lebensmenschen angekündigten, aber von mir dann ausgeführten „Baumaßnahmen“, das Geschirr und nun sogar eine kleine Weide fürs flitzerote Fahrrad samt neuem „Besuchereingang“, auf welchem das flitzerote Fahrrad ja weidet (die Witwe hat neue Fußmatten gekauft).

Cocooning – ja’a! Auf der Eisscholle.
Konsum. Fort/Da. Im Witwesk.
Ja.
_ _ _
Der Lebensmensch hat in seinem letzten Sommer nichts mehr haben wollen. Noch nicht einmal mehr neue Socken, obwohl die alten fadenscheinig geworden waren. „Wer weiß, ob ich die noch brauchen, ob ich sie noch anziehen werde“, so sagte er.
Nie habe ich ihm gesagt, dass mich dieser Satz jedes Mal beinah ausradiert hat.

Denn: Verdammt – ja!! : Keiner kann je wissen, ob er seine Socken noch einmal anziehen wird. Keiner. Egal ob mit oder ohne Krebs. KEINER kann wissen, ob er seine Socken noch einmal anziehen wird!
Aber jeder, der vor einem Stapel neuer Socken steht, kann spüren, ob er Lust hat, nochmals neue zu kaufen. Auch wenn er ganz genau weiß, dass er nicht wissen kann, ob er sie jemals anziehen wird.

~ ~ ~
Ich habe mich in diese Struktur des Lebensmenschen so zutiefst eingearbeitet und einarbeiten lassen.
Sie ist mir auch teilweise altvertraut. (Auch deshalb ging das Einarbeiten so einfach.)
~

Ich aber, i-c-h erwerbe neue Socken, neues Geschirr, neue Fußmatten, neue Bettwäsche und erstmals in all meinen Leben Opern-Abos und Kleider. Und ich lade etwa jeden vierten oder siebenten Abend meinen Tod zu mir ein, freundlich, sachlich, entschieden.

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Nachher kommt die neue Bettwäsche. Wenn sie da ist, werfe ich die letzte mit dem Lebensmenschen geteilte, die nun etwa 18 Jahre alt ist, weg.
Und nachher kommt die Weide für’s flitzerote Fahrrad im Flur und es kommt der Rest der neuen Fußmatten. Wenn ich also am Abend vom iron-widow-Parcours komme, dann werde ich vor meiner Wohnungstür ein Kunstwerk betreten können. Und mein Herz wird machen, dass ich ein- und ausatme, sanft & tief. Und wenn ich davor schon gestorben sein sollte, ist es genauso.

Des Menschen Lebensunersättlichkeit

276 Gier

Heute las ich in der „Zeit“ (in die ich seit vielen Jahren nur noch selten gucke, weil sie schon vor langer Zeit so banal geworden ist) ein Interview mit einer Trauernden, deren Vater an (mit?) Covid19 gestorben ist. Mich hat vor allem interessiert, ob man erfährt, wie alt dieser Vater geworden ist.
Man tut es; dazu gleich.

Mein Vater ist mit 75 Jahren und nach etlichen Krankheitsleidensjahren gestorben. Ich war gerade 33 geworden, und einen Monat später fand die Disputation meiner Doktorarbeit statt.
Mein Lebensmensch ist mit knapp 47 Jahren gestorben, nach 15 Monaten des Krebsbehandlungsirrsinns. Ich war gerade 43 geworden, und danach fand in diesem Leben von mir nichts mehr statt: es war beendet.

Der Vater jener interviewten Frau wurde 80 Jahre alt und hat diese 80 Lebensjahre offenbar bei weitgehend guter Gesundheit und überwiegend in auch sonstigem Glück verleben dürfen („Bis zu seinem harten Tod hatte er ein schönes Leben“).

~ ~ ~
Bei der Lektüre dieses Interviews wurde mir wieder einmal klar, wie obsessiv die Menschen hierzulande unser aller (und damit die eigene) Sterblichkeit verleugnen.

Einigermaßen gesund und unbeschwert 80 Jahre alt werden zu dürfen – welch ein Geschenk!
Doch das sieht keiner mehr.
Alle erwarten: Ewigkeit. {Eine Vorstellung, die mir schon immer das größte Grauen bereitet hat.}

Und so sieht auch das Interview aus.
Nur ganz an dessen Ende taucht einmal kurz das Wort „dankbar“ auf – freilich geht es da nicht um Dankbarkeit dafür, dass der Vater so alt geworden ist (und noch dazu unter so glücklichen Umständen). Vielmehr geht es darum, dankbarer zu werden, weil es einem selbst ja gerade so gut ginge.
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Heute habe ich noch einmal konsumiert. Ich habe nochmals zwei Kleidungsstücke gekauft: Der Kleiderschrankt enthält nun wirklich fast nichts mehr von der einstigen Uni-Dozentin. Und ich habe noch ein paar Teile vom neuen Geschirr gekauft (ja! Tatsächlich!).
Weil Wetter und Geisteslage so waren, konnte ich mit dem flitzeroten Fahrrad fahren, einmal quer durch die Innenstadt von West nach Ost (und wieder zurück). Dabei bin ich an Großgruppen von Menschen vorbeigekommen, die offenbar bei der morgigen Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen mitlaufen wollen. Reichsbürgerflaggen, Neonazi-Glatzköpfe, WutbürgerInnen, nicht nur sächselnde Ehepaare in Happening-Stimmung. Massenweise Polizei (schon gleich hinter der TU eine Wanne nach der anderen).
Die verleugnen alle miteinander genauso unser aller Sterblichkeit wie diejenigen, die etwaige Corona-Gefahren hoch- und runterbeten.

Ich bin ein witwesker Eisbär. Jetzt – nach bald zehn Jahren im Witwesk – mit neu bestücktem Kleider- und Geschirrschrank. Ich bin dankbar für die knapp 14 Lebensjahre, die ich mit dem Lebensmenschen verbringen konnte. Ich bin dankbar dafür, dass ich jetzt, im Jahre 10 auf der Eisscholle, psychisch und finanziell wieder imstande bin, ab und an Waren zu erwerben, die mir Momente ästhetischen Wohlgefallens schenken. Und ich lade fast jeden Abend meinen Tod zu mir ein (obwohl ich immer noch Angst vor ihm habe), denn ich bin sicher: Sterben zu können ist eine Gnade, und ich will nicht verlernen, dem Leben zumindest dafür dankbar zu sein.

„Ellipse“ mit zwei „L“, Frau Laude!


Ellipse mit zwei L
Und so etwas wie ich nennt sich nun nebenberufliche „Deutsch-Dozentin“ – tz!

Dass ich jetzt diesen kürzlich hier gemachten Fehler (einen von so vielen) entdeckte, passt zu allem.
Ich versuche nicht mehr, mich damit rauszureden, dass Mathe-Wörter noch nie mir eigen waren – als Wortwesen sollte ich auf der Meta-Ebene bleiben und schlicht keine Fehler machen und wenn doch (sie sind ja unvermeidlich), frühzeitig nachsehen. Denn oft spüre ich ja, wenn da etwas heikel ist [sic!].
{ Unvergessen: Mein Änigma. Der Lebensmensch hat auf humanistischer Bildungsgrundlage massive Zweifel angemeldet. Ich habe recherchiert, bin bei meinem Umlaut geblieben. Niemand der KorrekturleserInnen hat protestiert (außer dem Lebensmenschen). Und so steht es in diesem Aufsatz über Walther und Neidhart und die Leerstelle. – Wenn’s wenigstens eine neue geschaffen hätte; aber es wird ohnehin nicht mehr gelesen. Nur einer hat mich später korrigiert, ein Bibliothekar aus Bremen, dem ich immer noch herzlich danke. }

– Passen also will mir das, passend erscheinen jedenfalls: Die „Deutsch-Dozentin“ nicht als Viren-, sondern als Fehler-Schleuder, mithin eine vollkommene Fehlbesetzung.
Aus der früheren Dozentin ist ja bereits nichts geworden, auch sie eine absolute Fehlbesetzung. Jetzt also zeigt’s sich am L: der neuerliche Betrug von Frau Laude. „Deutsch-Dozentin“, tz!

Doch wieder gibt es mehr als zwei. Die Rechnung geht so nicht auf! Sowohl damals als auch heute habe öch nöcht betrogen und es nöcht nöcht getan. Enigma mit „Ä“, Ellipse mit einem „L“: Ich habe diese Fehler begangen.
Mich ihrer geschämt. Über sie gesprochen – immer: über sie gesprochen dort, wo ich sie begangen habe (zum Beispiel über jeden meiner mir erkenntlichen Fehler in jedem Seminar, in jedem Integrationskurs).
Doch es gibt mehr als zwei! Mehr als Fehlermachen und Fehleroffenlegen. So geht die Rechnung nicht auf!
Ich war und bin eine Fehlbesetzung, war und bin eine Täuschung, begehe Fehler und Täuschungen zeit meines Lebens, liefere darüber Rechenschaft ab und Korrekturfahnen.
– Doch so geht die Rechnung nicht auf!
Womöglich geht sie gar nicht auf.

Ich merk’ das schon so lange. Ich sehe es. Ich spüre es. Ich verstehe es nicht.
So aber folgt fast nichts daraus, so bleibt nur ein Änikmah, das mich langsam zersetzt. Oder auch nicht. Oder was ganz anderes macht.
Alles also in bester Ordnung.

„Und dann und wann ein weißer Elefant“

275 Dativ-Tage
Heute, an einem der nun wirklich völlig überflüssigen Tage eines jeden Jahres, fehlt mir die Kettenkarussellfahrt, die ich bislang im Witwesk nur einmal – vor zwei Jahren – im Sommer (ein wenig früher als wir es nun haben) durchführen konnte.
Nachdem es das eine Mal tatsächlich geklappt und so viel Lust bereitet hatte, wollte ich es wiederholen, doch im letzten Jahr war wieder irgendwas (an das ich mich nicht erinnere), und in diesem war Corona.

Der Elefant Rilkes geht mir seit witweskem Jahr und Tag im Kopf herum. Dideldum.
So auch heute wieder.

Vorhin hab ich noch rasch einen Übungstext für’s DaZeln nachher geschrieben (in den Büchern und im Netz gibt es für Beginner auf A2 wenig Brauchbares an gemischten Nominativ-/Akkusativ-/Dativ-Übungen ohne allzuviele Pronomen und Präpositionen. Ich habe jetzt eine Kasus-Bestimmungsaufgabe geschrieben. Mal gucken, wie das funktioniert), Titel: „Ein Geburtstagsmorgen.“ – Schön viele Substantive in Nominativ, Akkusativ und Dativ ohne allzuviele Pronomen und Präpositionen. Halt ein perfekter Geburtstagsmorgen.

Dativ kommt von lat. „dare“ = dt. „geben“, da liegt es nahe, an Geburtstage zu denken.

Gestern gab ich mir etwas: Mein erstes Opern-Ticket sub coronā (Ablativ, hab nochmal nachgeguckt; Korrekturen gern im Kommentar!).
Am 28. März 2020 hätte dank meinem ‚Programm‘ gebuchter Tickets das nächste musikalische Ereignis (und wieder eine persönliche Premiere) für mich stattgefunden: „Aida“ in der Bismarck-Oper. – Wurde bekanntlich abgesagt.
Nun werde ich – vielleicht – im September am selben Ort einem „Best of Aida“ lauschen (zugegeben: zähneknrischend habe ich das Ticket für eine Veranstaltung solchen Namens gebucht), vielleicht, vielleicht.

Und dieses Corona-„Vielleicht“, das nun alle und jederzeit im Kopf haben müssen, wenn sie etwas planen – das macht mich ganz leicht.
Denn nun bin ich wenigstens diesbezüglich nicht mehr die beschwerliche Ausnahme.

~ Und dann und wann ein weißer Elefant, vielleicht. {Ich sollte mal wieder an ein Sonett gehn, mindestens in die Lyrik.}

Kreise, El*ipsen, manchmal Zickzack, und dann und wann Spiralen – oder: Sommer im Witwesk, diesmal 2020

274 Löwidows Spiralen
*siehe den 24.08.2020

Vorgestern zog ich wieder einen Kreis um jenes Sehnsuchtsdinges: fuhr auf dem flitzeroten Fahrrad einen neuen Weg zu den Bildern ab.

Der letzte Versuch im Juli ist ja fahrradverkehrstechnisch ernüchternd ausgefallen – ich hatte hier berichtet („Löwidows Kreise) –, vorgestern indes führte mich der Weg an der Rückseite vom Zoo vorbei (Nase also voll in Fell und Federn – gosh, so riecht blankes Leben!) und dann, nach kurzem Zickzack, am Kanal entlang fast bis zu den Bildern.

{Und 100 Meter weiter: zur Musik.
Soweit ich im Moment sehe, wird das mit der Musik und mir einstweilen nichts mehr aufgrund der sogenannten Corona-Maßnahmen: Beide von mir seit drei, vier Jahren aufgesuchten Opern-Häuser, die Philharmonie, der Boulez-Saal sind bereits ausverkauft für die wenigen „Corona“-Spezial-Vorstellungen (Musik-Fest) oder sind für eine wie mich zu teuer (Divan-Orchester). Der „normale Corona“-Vorverkauf startet am Montag, und ich bin sicher: Ich werde keine Karte erhaschen.}

Die Bilder sind – anders als die Musik – jetzt für mich witwesken Eisbären in „Corona“-Zeiten wahrnehmbar. Sie darf ich sehen.

*Memo @ me: Ja, da war was.
Neues.
Im Begriffe.
Zu werden.
Hier auf der witwesken Eisscholle, mir. – Das Ding mit der Musik.
Das war NEU! Das war in jeder Hinsicht neu.

Das war – wie auch die Nullsamkeit und das WEG SEHEN – ganz im Witwesk,
doch das Ding mit der Musik war hier endlich mal mit Sicherheit was Gutes,
und es war fast ohne mich, war ‚nur‘ meine Ohren, ‚nur‘ mein Gehör – es ließ mich

ja: Die Musik ließ mich. (Das war ganz neu.)

In der Deutschen Oper vor allem; manchmal auch in der Staatsoper, der Philharmonie, dem Boulezsaal, dem Konzerthaus und (einmalig bislang) dem Kammermusiksaal.
– Und mir fehlt das.
Dass man, irgendetwas mich einfach lässt.
Einfach so vorhandensein lässt.
Das ging ganz neu in der Musik.
Die ist nun verboten oder stets ausgebucht oder unerschwinglich.

Und so ziehe ich jetzt meine Kreise um die Bilder.
Die mir – anders als die Musik – aus Leben #1 bekannt sind, und wenn nicht sie selbst, dann deren Rezeption.

Schnurrt die Witwe also mal wieder in sich zusammen; auch das kennt se noch aus Leben #1: „Wag’s nur, dich zu strecken …!“

Immerhin: In die Bilder mich zu strecken, schaffte ich schon in Leben #1. Und seither weiß ich, dass sie zuvor undenkbare Räume eröffnen.

Noch aber habe ich kein Ticket zu den Bildern gekauft.
Noch ziehe ich – so ist das mit Ambivalenzen, mindestens – meine Kreise drumrum.

~ ~ ~
֍ Ob ich wohl jemals beides haben dürfte: Bild und Musik? ֍
, Frau Laude!
– Wer sagt das? (Ich glaub’ es ihm ja, aber: Wer sagt und macht das?)

 

Nochmals bilderlos: Aufräumen (II)

1. Immer wieder denke ich an die, die – alt oder jung – nun seit fünf Monaten unter „Corona-Maßnahmen-Bedingungen“ hierzulande entweder eine harte (da gibt’s Unterschiede) Chemotherapie oder den Sterbeprozess durchmachen müssen. Ich denke an die direkt Betroffenen, und ich denke an ihre Lebensmenschen.
Doch ich stoppe diesen Gedanken
nach wenigen Sekunden. Denn er ist sinnlos. Ich weiß nicht, wie diese Menschen heutzutage damit umgehen, und ich habe vor zehn Jahren erlebt, dass ein jeder Krebskranke und Krebsangehörige anders damit umging. Und ich stoppe den Gedanken auch, weil er mich ganz schnell auf uns zurückwirft – und wir wären jetzt vermutlich noch elendiger verreckt, als wir es de facto damals ohne Corona taten.
Dennoch lässt dieses gedankliche Geschehen samt seinem ständigen raschen Stopp in mir ein sehr großes Ungenügen zurück – nicht nur ein Gefühl des persönlichen Ungenügens, sondern auch ein überwältigendes Ungenügen des Außen.

2. Dazu will passen: Die Diplompsychologin, zu der mein Lebensmensch damals während der Chemotherapie etwa ein halbes Jahr lang nur unregelmäßig ging, weil Schmerzen und Chemo-Beeinträchtigungen keine Planbarkeit mehr zuließen, hat sich vor wenigen Tagen über meine im Winter 2019 auf Jameda abgegebene Bewertung (5,6) samt Begründung beschwert.
Ich wurde von Jameda aufgefordert, erneut Stellung zu beziehen.
Das tat ich.
Doch nun lernte ich, dass man nur binnen vier Jahren dort Bewertungen abgeben darf. Aufgrund dessen wurde meine Bewertung dieser als „Psychoonkologin“ firmierenden Dipl.Psych. jetzt endgültig gelöscht.

– Diese Frau hat damals behauptet, dass nunmehr kein Krebskranker mehr Schmerzen leiden müsse. Sie hat diese Behauptung uns via Mail geschrieben mitten in einem der schlimmsten Schmerzensstürme.
– Diese Frau hat es sehr begrüßt, von mir über unsere komplementärmedizinischen Unternehmungen informiert zu werden (mehrmals fragte ich sie, ob ich sie nicht aus dem privaten Mail-Verteiler nehmen solle). Sie hat sich offenbar an unseren Erfahrungen mit einem Heiler (die wir kritische Akademiker in jeder Hinsicht sehr seltsam und hinsichtlich ihrer schulmedizinischen Effekte sehr bemerkenswert fanden) ergötzt.
– Diese Frau hat mir direkt nach dem Tod des Lebensmenschen vorgegaukelt, Ähnliches erlebt zu haben wie zunächst wir, wie dann irgendwann nur noch ich. Wenige Jahre später teilte sie mir mit, dass sie glückliche Oma sei.

Jetzt ist meine Bewertung auf diesem lächerlichen Portal also gelöscht worden. Weil sie fünf Jahre zu spät erfolgte. Es war die einzige Bewertung dieser Dipl.Psych. (was in der Branche nicht untypisch ist: keine internetalen Bewertungen zu erhalten).
Und sie war so lächerlich wie dieses Portal:
Natürlich konnte sie nie jemanden davor „bewahren“, dieser Dipl.Psych. erneut auf den Leim zu gehen. Und offenbar hat sie auch diese Dipl.Psych. nicht dazu „gebracht“, ihr Tun zu überdenken. (Hat sie ja auch keinen Grund zu, so als glückliche Oma. Und überhaupt!)

~
Aufräumen. Genau!
Also:
Tschüss, Dipl.Psych. B. Sch.!
{Und dass es mich freut, dass deren Initialen ein Schimpfwort ergeben, lässt mich wissen, dass ich noch länger fegen muss.}