Todestag

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Im letzten Jahr fast vergessen. Heute sehr präsent.
Vor 13 Jahren hielt ich Fio, meinen Lebensmenschen, während seines Sterbens und nach seinem Tod im Arm.
Er starb an Ärztefehlern (zuletzt daran, dass die Ärztin den Tropf nicht mehr richtig einstellte, so wie die ja auch die Krebsseite verwechselte), er starb an der Angst vor den Schmerzen durch die Ärztefehler.
Er starb, weil weder er, noch ich, noch wir einander inmitten dieser Ärztefehler zu halten vermochten.

Die Ärzte behaupten, er sei an „Krebs“ gestorben.

Jetzt ist er seit 13 Jahren tot.
Und ich liebe ihn.
Denn die 13 Jahre davor waren mir ein Studium der Lebenslust und er meine Universität.

Selbstverletzung

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Heute auf der „We still need to talk“-Demonstration, zu der sich selber „jüdische Intellektuelle“ nennende Menschen aufgerufen hatten, sagte ein Redner zunächst viel Richtiges über den Antisemitismus auf der Regierungsbank im Bundestag.
Und dann sagte er sinngemäß, dass die mit den Nazis zusammenmarschierenden Querdenker niemals solche Polizei-Schikanen erlebt hätten wie die Nahost-FriedensdemonstrantInnen jetzt.
{ Nebenbei: Bei dem Redner handelt es sich um den Berliner Politiker (Partei: Die Linke) Ferat Koçak. Und warum ein „Berufspolitiker“ auf einer Demonstration von „Intellektuellen“ auftreten muss, habe ich noch nie verstanden und verstehe ich nach wie vor nicht. }

Ich, eine „Querdenkerin“, seitdem ich denken kann, war mit Friedensfahne und Lichterkette dort.

Eine knappe halbe Stunde später bin ich gegangen.

Ich hielt es nicht mehr aus, von diesen Menschen dort auch nach aller bereits erfolgten Aufklärung immer noch als „mit Nazis zusammenmarschierend“ diffamiert zu werden.

Ich hielt es nicht mehr aus, dass trotz aller bereits erfolgten Aufklärung diese sich selbst für „Intellektuelle“ und „KünstlerInnen“ haltenden RednerInnen einen solchen bullshit von sich geben – und damit verdeutlichen:

Sollte die menschliche Vernunft überhaupt noch einmal eine Chance haben, wird das mehrere Generationen dauern!
~ ~ ~

Mittlerweile ist mir der Glaube daran fast völlig geschwunden, dass wir Menschen unserer ehemals mühsam errungenen Vernunft noch einmal eine Heimstatt in der Mehrheit unserer Köpfe bieten können.

Und ich frage mich immer öfter, was ich hier eigentlich noch tu’.
Und ob nicht mein Tun langsam an eine Selbstverletzung grenzt.

Denn wenn ich fast keine Hoffnung auf die Rückkehr der Vernunft in die Mehrheitsmenschenwelt mehr habe, dann stellt sich mir die Frage:
Muss ich mich dann noch so zurichten, sie – die Vernunft – doch beim Spaziergang, auf Demos und anderen Veranstaltungen wieder und wieder zu beschwören?

Dass ich mich damit, die Vernunft entgegen aller Wirklichkeit zur Rückkehr zu beschwören, verwunde, ist mir klar und: spürbar.
Ebenso, dass es nur eine Alternative dazu gibt.

Ja. Nur noch eine.
So sehr ich auch die Freundin des Dritten, des Tertium Datur bin – hier gibt es nur noch eine Alternative.
Vermutlich lässt mich diese Ausweglosigkeit an der Vernunft festhalten.
Das ist unvernünftig.

Blick in das Novembernicht*

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Bald wird der Lebensmensch 13 Jahre tot sein, werde vor 13 Jahren ihn – lebend und tot – zum letzten Mal im Arm ich gehalten haben, und wird mein Leben (Nr. 1, das mit der Nummer 2 ist kaum des Namens wert) seit 13 Jahren beendet sein.
Die Frage, warum damals unser Plan nicht aufging, warum ich lebte und immer noch lebe – sie stellt sich jetzt mit einer mir früher, nach dem Tod, unbekannten Wucht. Die wuchs in den letzten bald vier Jahren stetig. Doch nun hat sie nochmals neuen Schub bekommen, denn nie, auch nicht in den aller Elemente entzogenen Zeiten der Trauer, fühlte ich mich so verloren wie jetzt, da die Menschheit in Europa, dem Nahen Osten und Nordamerika sich anschickt, aller Menschheit ein Ende zu bereiten, nachdem sie die Menschlichkeit bereits getötet hat.
Doch nie zuvor auch fühlte ich mich mir meiner so sicher (die ich das auch durch den Lebensmenschen geworden bin): Ich bin Mensch des 20. Jahrhunderts, der Dialektik der Aufklärung: ich bin Frage & Zweifel und meine Augen sehen doch der Welt und des Menschen Schönheit.
Ab und an.

*
Novembernicht

wo alles noch war
unter krähenhimmel und sonnensturz und
dann letztklar
Dein feines glasbläserhaar
und im bienengrund Deiner lippen voller mund
das honigrund

Dein federatem
unser augenfest getanzt in der pupillen schacht
mein schrittversagen
Dein unendlichfragen

novembernacht

wo alles nicht mehr ist
rundet sich die zeit zu einem punkt
jahr-es-frist
sich selbst an diesem punkt mit krähenlist
im novembernicht, im regenschlag, im zeitenwund
novemberschlund.

(© Corinna Laude, 01.11.2011)

Mein Offener Brief an die Berliner Zeitung in Sachen Th. Mischkes Ausfälligkeiten

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Werte Damen und Herren,

nicht zuletzt durch die mutigen, gegen den Mainstream anschreibenden Kolumnen von Michael Andrick hatte ich mich entschieden, von Ihrem sechsmonatigen Probe-Abo Gebrauch zu machen.
Doch eine Zeitung, deren Redaktion so unerträgliche Beiträge wie den von Thilo Mischke (Kolumnist wie Andrick) zu bringen beliebt, in denen Herr Mischke eine Corona-Gegner-Demo vor „anderthalb Jahren“ herbeifantasiert, auf der aus 50.000 „Antisemiten“ „Judenhass“ herausgeplatz sei (https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/antisemitismus-ist-kein-muslimisches-problem-in-deutschland-es-ist-ein-problem-der-meisten-deutschen-li.2148895?id=824c82e8ed51405cbc22197450cd6169) – eine solche Zeitung, nein: eine solche Propaganda-Postille lese ich nicht!

Ich – ein aufrechter linker Mensch und Wissenschaftlerin – habe es lange genug ertragen, dass ideologisch völlig verblendete Damen und Herren „Medienschaffende“ wie Herr Mischke mich beleidigten, diffamierten und bedrohten, mich, die ich von Anfang an skeptisch gegenüber den „Corona-Maßnahmen“ war und mich trotz aller Einschüchterungsversuche und Verleumdungen (die übelste: Ich sei ein „Nazi“ – am übelsten nicht meinetwegen, sondern weil damit eine m.E. justiziable Verharmlosung des Holocaust betrieben wurde und weiterhin wird, wenn man regierungskritische Menschen allesamt „Nazi“ nennt) nicht habe zum Schweigen bringen lassen.
Dass jetzt solchen Praktiken auch die Berliner Zeitung wieder Tür und Tor öffnet, ertrage ich nicht: Denn das ist widerlich!

Hiermit kündige ich mit sofortiger Wirkung mein Probe-Abonnement der Berliner Zeitung.

Grußlos
Dr. Corinna Laude

________________________
Dieser Th. Mischke geifert in seiner Propaganda (hinter Bezahlschranke):
„Noch vor anderthalb Jahren, nicht vor 80, standen 50.000 Menschen am Brandenburger Tor, und in ihren vom Hass dumm gewordenen Gesichtern war auch der Judenhass zu erkennen. Der deutsche, über Jahrhunderte gegärte, garstige Judenhass. Er platzte aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Keine Neonazis, keine radikalen Muslime, keine Pubertierenden. Nein, Ursulas und Gerts, die in ihren Softshell-Jacken Transparente trugen, die vor dem großen Reset warnten. Die antisemitischen Karikaturen vor sich hertrugen, um vor den Pharmajuden zu warnen.“
Weder hat es vor anderthalb Jahren noch vor drei Jahren solche Demonstrationen gegeben!

„Sie glauben mir nicht? Gehen Sie auf YouTube; nicht nur ich habe dazu einen Film gemacht, eine Reportage geschrieben. Zehntausende Menschen auf der Straße, die völlig enthemmt ihren Antisemitismus herausschrien. Zehntausende.“
Auf Youtube gibt es kein solches Video des Schreiberlings (und es KANN auch kein solches Video geben, weil es die von ihm herbeifantasierten Demos nie gegeben hat)!

„Der Terror der Hamas ist keine Eskalationsstufe, nein, es ist einfach nur eine andere Ausdrucksform. Die widerlichste, verachtungswürdigste von allen, der heimtückische Mord, das Massaker. Aber der Hass, er hat dieselbe Wurzel: Antisemitismus.
Jeder, der sich jetzt nicht klar gegen Antisemitismus positioniert, macht sich mitschuldig
Die Anti-Corona-Demonstranten sind ebensolche Antisemiten.“

Ich behalte mir rechtliche Schritte gegen diese unerträgliche Verleumdung und Volksverhetzung vor!

Jetzt kippt es endgültig

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Ich höre von Freunden und Bekannten, dass nun abermals ihnen die Freund- oder Bekanntschaft aufgekündigt wird, weil sie
entweder sich auf die Seite Israels
oder auf die Seite Palästinas
gestellt haben.

Ich höre, lese, erfahre das.
Und frage mich:
Moment mal?
Wieder werden langjährige Beziehungen zerstört.
Wieder wird eine Positionierung in einem Zwei-Seiten-Feld erwartet.
Wieder läuft der Prozess völlig emotionalisiert ab.

Ich mache da nicht mehr mit.

Der beidseits bestialische Terror in Isreal und dem Gazastreifen wird mich nicht in die Falle locken. Ich mache da nicht mehr mit.
Stattdessen bleibe ich Mensch & witwesker Eisbär.

Und frage mich als solche zwei:
Der Mensch ist ein vernunftbegabtes, neugieriges und mitfühlendes Säugetier. Und er ist ein Monstrum, das sich an der Folter und der Vernichtung von seinesgleichen berauscht. Wird diese Gattung lange genug existieren, um den Menschen über das Monster siegen zu lassen?

Ich werde die Antwort nicht mehr erleben.
Vielleicht gibt es diese Antwort auch nie.

Denn vielleicht ist das der Gattung Innerstes:
dieser Kampf zwischen nur dem Menschen möglicher ‚Bestialität‘ und seiner um Aufklärung ringenden Humanität.

– Dann hieße, diese Gattung zu transzendieren, beides dauerhaft gelten und zugleich zurück zu lassen (das Dritte halt).

Schreibt ein witwesker Eisbär.

Mehr geht jetzt nicht

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Wir waren allein.
Wir waren völlig allein. Umgeben von all diesen ÄrztInnen (auch im Privatleben!).
Wir waren völlig allein.

Und er ist unter größten Schmerzen krepiert.

Gerade sah ich das hier über eine Palliativstation:

Im Gegensatz dazu: WIR WAREN ALLEIN. Völlig allein – umzingelt von ratlosen ÄrztInnen.
Und er ist an den Schmerzen und an der Angst vor den Schmerzen (und an den ÄrztInnen, die die Schmerzen mitverursachten) krepiert.

DAS ist die Normalität, nicht dieses Filmchen!
{A.Th., N.L. – warum habt Ihr so versagt? Dass ich es tat, war grauenhaft genug, aber ich war und bin keine Ärztin.}

Hätten wir so sterben dürfen, wie es in diesem Palliativstationsfilmchen angedeutet wird – dann wären wir zumindest nicht völlig allein und unter Angst und Schmerzen krepiert.
Wir aber waren völlig allein – umzingelt von ratlosen ÄrztInnen.
DAS IST BIS HEUTE NORMAL.

Und da der Coronoiden-Wahnsinn samt Spritzungen (und die Versorgung von deren Opfern) monströse Geldsummen erforderlich gemacht hat und weiterhin machen wird, wird für die Palliativpflege bald nichts mehr übrig sein.
Dann sterben bald alle Krebsterminalen so wie wir vor bald 13 Jahren: Völlig allein und unter schlimmsten Schmerzen.
Und die Krebsterminalen häufen sich, wie man sogar in der Mainstreampresse liest. Gnade uns Gott oder sonst ein Höheres Wesen.

Haben OstlerInnen mit Trauernden ein noch größeres Problem als WestlerInnen?

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

In einem Telegram-Kanal habe ich kürzlich gelernt, dass Ostdeutsche mit solchen wie mir, die um ihre Toten länger als 10 Wochen oder 10 Monate trauern (da sollte lt. psychotherapeutischen Richtlinien Trauer ein Ende finden), ein ganz großes Problem haben, womöglich ein noch größeres als Westdeutsche.
Und erst recht mit Menschen wie mir, die nach bald 13 Jahren selten nur noch „trauern“, aber weiterhin ihren verstorbenen Lebensmenschen unverbrüchlich lieben.

Diese OstlerInnen haben in dem TG-Kanal in einer Weise auf mich eingeprügelt, die mich dann trotz all meiner bisherigen Erfahrungen mit Todesabwehr (nichts anderes ist das ja) überrascht hat. Ich war erst einmal baff und musste darüber nachdenken bzw. das sacken lassen, also auf dessen Verstoffwechselung in meinem Unbewussten vertrauen.
Immerhin einen Traum hat es gegeben, wenn er diese Realität auch nur von fern berührte.

Und ein Gefühl.
Statt Wut auf diese Leute eine zärtlich-ferne Form von Mitleid. Denn: Die trauern ebenso wie ich es tat, allerdings nicht um Lebensmenschen, sondern um ihr eigenes Leben inmitten eines Staats(lebens), die allesamt krepiert sind.
Und jetzt schießen sie auf solche wie mich. Ja, gut, das ist armselig. Aber langsam schwant mir: Während ich allmählich die doch seit dem Tod ‚aussichtslose‘ Liebe zu meinem Toten in etwas Lebendig-Kämpferisches verwandeln kann (und sie dabei mitnehmen darf), sind diese OstlerInnen bis jetzt in autobiografischer Bitternis gefangen.

Interessant dabei: Sie wiederum werfen mir vor, „verbittert“ zu sein.
– Das bin ich, aber kaum noch wegen unseres Todes, seiner Umstände, des Großen Fehlens, der Nullsamkeit, und auch nicht mehr wegen meines dadurch erzwungenen Neuanfanges weit unter- und außerhalb dessen, was ich einst wollte und konnte, wie sie mir vorwerfen. Jetzt bin ich diesbezüglich eine liebende Witwe im Zustand der Serenität ob des völlig absurden Weltzustands inklusive manch melancholischem Moment dann und wann, aber auch inklusive etlicher schöner Erfahrungen in meiner fast ‚ehrenamtlichen‘, jedenfalls nebenberuflichen Tätigkeit in den Integrationskursen.

Verbittert bin ich angesichts all der feigen MitläuferInnen in diesem Land, die seit dreieinhalb Jahren nur noch Ja und Amen sagen zu allem, was die politisch-medial-technokratischen ‚Eliten‘ an faschistoiden Vorschriften verkünden – darunter so ziemlich all meine Ex-FreundInnen und Bekannten.

Doch auch diese Verbitterung ist so wenig ‚absolut‘ wie jene damals nach dem Tod.
In jene war von Beginn an auch ein großes Staunen und eine noch größere Dankbarkeit darüber gemischt, dass ich vor dem Tod die knapp 14 Jahre in Liebe mit dem Lebensmenschen überhaupt erfahren durfte.
Jetzt mischt sich in meine Verbitterung ob der Menschen Feigheit (einer Feigheit in so um(p)fänglichem Sinne, dass mich wieder und wieder ekelt vor dieser Gattung) immer wieder auch die Erfahrung, dass ganz viele Menschen NICHT feige sind, sondern mutige Fragende, tapfere Zweifelnde, skeptische Aufklärende, um ihre Grenzen wissende Denkende.
(Danke dafür vor allem an die zwei anderen von den Drei Kassandras und auch an die Charlottenburger MontagsspaziergängerInnen!)

~ ~ ~
[Notat am 11.09.23]
Heute an den 11.9.2001 gedacht: Wir haben von Speyer aus einen Ausflug nach Worms gemacht. Dort dann irgendwann von den „Türmen“ gehört, in einem Imbiss diese Ewigkeitsschleife im Fernsehen gesehen. Zurück in Speyer stundenlang gezappt. Der Lebensmensch mir so fern wie selten. Beide hielten wir die Berichte jahrelang für wahr.
Wie blöd wir waren – beide auf verschiedenen Standpunkten, aber dem Mainstream vertrauend –, darüber würde ich so gern mit ihm sprechen, denke aber, dass wir da heute nichts mehr zu diskutieren hätten außer, uns unsere jeweils anders gelagerte Verblendung damals einzugestehen.

Stattdessen habe ich heute eine Rede gehalten auf einer ziemlich spontanen Demo, die an „9/11“ erinnern wollte.

Nachtrag vom 13.09.23: Da Google mir aus völlig unerfindlichen Gründen den Zugriff auf meinen Youtube-Kanal bis auf Weiteres verweigert (notfalls muss ein neuer Kanal her), kann ich einstweilen nur auf den gesamten Stream der Demo verlinken, auf der ich die „Nine/Eleven-Folgen“-Rede hielt (ich hatte sie herausgeschnitten und wollte sie dort einstellen – aber dank Googles Weigerung, mich auf meinen Kanal zugreifen zu lassen, geht das nicht):
https://odysee.com/@Privat:4/output11.09.2023:4 (mein Beitrag startet gegen 56:13 und dauert gut 10 Minuten; interessant, dass ich mich am Schluss verspreche und statt „Brüderlichkeit“ „Bürgerlichkeit“ sage – da dachte ich wohl an den politisch gebildeten Citoyen).

¡No pasarán!

PS: Das Bild zum Beitrag habe ich in einem neuen Programm gemalt. – Wegen des unerträglichen neuen „Service-Vertrags“ von Microsoft bereite ich meinen Umzug auf Linux vor (äh, jedenfalls im Moment, vielleicht scheitert das aber auch), und da muss ich mich leider auch von dem heißgeliebten Sketchbook trennen.
Nach einigem Rumprobieren habe ich aber wohl einen für mich halbwegs akzeptablen Ersatz gefunden. Das Bild zeugt von all diesem Rumprobieren, ich sehe es mir aber nach: Ein Anfang muss ja mal her!

Vorabend eines 60. Geburtstages, der nie stattfinden kann

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)

Immer noch denke ich daran zurück, dass ich vor vier Jahren sagte, dem Lebensmenschen nichts mehr von dem damaligen Heute erklären zu können – käme er zurück, damals nach neun Jahren nach seinem Tod:
2019 hätte ich Fio nichts von der Welt mehr erklären können, wäre er dorthin zurückgekehrt.

Wenn ich mir diese Situation heute ausmale, lässt mich die ganze Verzweiflung, die mich da überkommt, nur noch lachen.
Stünde Fio jetzt hier in der Tür, im August 2023, bald 13 Jahre nach seinem Tod und kurz vor seinem Geburtstag {vielleicht kommt er ja und holt mich ab – nein, Verzeihung, ein kleiner Wunsch rutschte hier herein}
– was könnte ich ihm über die Menschenwelt heute sagen,
außer, dass sie nun vollends ins Inhumane pervertiert ist.
Und eine Erklärung dafür könnte ich ihm heute gar nicht mehr bieten.

– Jedenfalls nicht, ohne weit auszuholen.
Und unsere Schuld, unsere gemeinsame Schuld, anzusprechen.
Denn niemals hätten wir damals Pisa und Bologna zulassen dürfen.

Jetzt 40, 30, 20 Jahre später ernten wir den Idiotie-Sturm, den wir damals säten:
Unsere Kinder sind strunzdumm.
Und die sind jetzt, betätschelt von älteren schlumpfartigen oder schleimigen Kreaturen, an der Macht.

Fio und ich haben keine Kinder gezeugt.
Ich habe gegen Bologna gearbeitet, wo ich nur konnte.
Und dennoch: Auch wir sind schuldig geworden, denn wir konnten diese Menschheitskatastrophen namens „Pisa“ und „Bologna“
(zu letzterem dies: https://www.youtube.com/watch?v=4mApJ9wS0PE, ab Min. 7:44)
nicht verhindern.

Die Menschheit, die sich Pisa und Bologna unterworfen hat, erntet nun die Früchte dieser Saat:
https://www.telepolis.de/features/Uebersterblichkeit-Zu-viele-Menschen-sterben-und-keinen-interessiert-es-9278832.html

Nie hätte ich geboren werden dürfen, denn meine Eltern hätten statt Kindern eine Psychotherapie gebraucht.
Ich bin nun aber auf der Welt. Und ich habe meinen Tod überleben müssen.
Bis an mein (dennoch vermutlich selbstbestimmtes) Ende werde ich jetzt nicht mehr damit aufhören, meine alte Schuld abzutragen.
Also Aufklärung! Und ihre Dialektik.

Vorabende des Zimtkuchens

„Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ (Victor Klemperer)
nach10 Jahren: Zimt!
Heute ist mein letzter Urlaubstag.
Lange habe ich hier nicht mehr geschrieben.
Lange war ich auf keinem Montagsspaziergang. Noch weitaus länger auf keiner Demo mehr.
Wie viele Menschen sind in unseren Kriegen gestorben?

Und ich habe erstmals seit 14 Jahren den 5. August nicht bedacht.
Was da war, fiel mir vorgestern beim Rennen plötzlich ein. Immerhin: Vor ein paar Jahren hätte mich das wortwörtlich aus der Bahn geworfen. Jetzt bin ich weitergerannt, erstaunt. Und habe dann nachts darüber nachgedacht und tu das nun wieder. Dazu gehört
eine Rekapitulation:

5. August 2009. Gegen 14 Uhr nachmittags. Ich sitze am Schreibtisch und schreibe an der Habil-Einleitung (1. Fassung). Das Telefon klingelt. Der Gastroenterologe ist dran. Er hatte vor knapp einer Woche die Geschwulst für eine Crohn-Stenose gehalten, dort, wo er ein gutes Jahr zuvor noch eine hochgradig krebsverdächtige „polypöse Struktur“ entdeckt hatte, die aber die Pathologie als null-nichts-niete befundet hatte.
„Es ist Krebs. Ihr Mann muss dringend operiert werden. Soll ich alles in die Wege leiten? Sie wissen ja von Ihrem Geschwister, dass ich das in Krankenhaus XY machen würde.“
„ ………… Krebs. Kein Crohn? ……… ‚Dringend‘, was heißt das?“
„Wenn ich es in die Wege leite, Anfang nächster Woche. Es ist dringend.“
„ ………… ……… Machen Sie das.“
Ich sitze, das ist das einzige, was ich weiß. Wo, weiß ich nicht. Wie, weiß ich nicht. Wann, weiß ich nicht. Und ich weiß – was ich aber erst später, 15 Monate später in mein Bewusstsein einließ: Es ist alles vorbei, es ist alles verloren, was ich mir in 20, was wir uns in bald 12 Jahren an Sicherheit, Zuverlässigkeit, Vertrauen in diese Welt erarbeitet hatten.
Es ist vorbei, ein für alle Mal verloren (und zum zweiten Mal verloren [nie hätte ich es gewinnen dürfen; doch dass ich es gewann, läßt mich bis heute dessen inne sein, was Menschsein heißen kann]).

„Dringend“ rauscht mir dann durch den Kopf. Es sei „dringend“.
Ich rufe den Arzt zurück.
Frage nach der Klassifizierung (damit kenne ich mich dank meiner Blutsfamilie aus) des Tumors, dessen Anfänge man vor einem guten Jahr noch für null-niente-nada hielt.
Ja. Ich sehe damals: Diese Klassifizierung macht alles „dringend“. Und macht, dass alles vorbei ist – vor allem für alles medizinische Person, das davon hört; erst recht ein knappes Jahr später, nach der Metastasierung.

Ich muss es ihm sagen. Der Arzt hat mich am Telefon gefragt, ob er meinen Mann anrufen und es ihm sagen solle. – ICH muss es ihm sagen. Soll noch ein winziges Hoffnungsfünkchen die Botschaft überspringen und ein kleines Gefühlsnest zum Glimmen bringen, dann muss ich es ihm sagen.
Ich fahre zu ihm ins Büro. Zum ersten Mal. Durch eine Stadt in einer U-Bahn. Frage mich zwischen allem Komplett-Stopp von allem (Gefühl, innerem Monolog, Außenwahrnehmung) immer wieder, wer ich bin, wohin ich unterwegs bin, ob ich bin. Und weiß keine Antworten. (Nein: „Wie ich es ihm sagen soll“, habe ich mich nicht gefragt.)
Ich stehe in seiner Tür. Sein für eine heilige Sekunde freudeüberstrahltes Gesicht aus dem verlorenen Leben. Zerbricht, etliche Momente bevor ich den Mund auftu’.

Wir sind nie wieder nach Hause gekommen.

Ich, schon längst eine Andere, kehrte 15 Monate später in die Wohnung zurück, die einst mein Mann und seine Frau bewohnt hatten (wenn auch nur für sehr kurze Zeit). Einst, damals, war ich diese Frau gewesen. Ich erinnerte mich, als ich im Dezember 2010 diese Wohnung betrat, an manches, auch daran.

Und ich, die ich heute wieder eine Andere bin als damals im Tod, erinnere mich weiterhin an vieles.

In diesem Jahr aber habe ich den 5. August, die Krebsdiagnose vergessen. Sie fielen mir erst kürzlich wieder ein.
Anders als noch vor kurzem mache ich mir das nicht mehr zum Vorwurf. Denn ich liebe den Toten unverbrüchlich.
Aber ich frage mich dennoch, warum das passiert ist.

Zeugt es vielleicht davon, dass ich nun tatsächlich ‚ankomme‘ im völligen Verlust aller Sicherheit, aller Zuverlässigkeit, allen Vertrauens in die Welt; zeugt es von einem Bewusstsein davon, dass alle Daten, alle Wahrnehmungen, alle Faktendeklarationen, alle Gefühle, alle Erinnerungen und alles Wissen dieser Welt null und nichtig sind – es immer schon waren?

Ich, an die ich mich erinnere, habe 2009-2010 erneut ÄrztInnen erlebt, die mit sadistischer Lust die Symptome, die sie vor sich sahen, für unmöglich erklärten, weil kein Lehrbuch sie verzeichnen würde, und die mit ebensolcher Lust Krebsmanifestationen erfanden, weil alle Lehrbücher sie verzeichneten.

Nach wie vor gilt: Solchen Wahnsinn in Kombination mit all den Schmerzen (physisch und psychisch) überlebt kein Mensch.
Er ist richtig gestorben.
Ich –
ich scheine langsam anzukommen im Einzigen, das DA ist, und natürlich auch weder Sicherheit, noch Verlässlichkeit, noch einen Vertrauensgrund bietet:
in mir & dem Moment,
der mich zweifelndes Schwebeteilchen umfängt als Atmosphäre meines Aufglimmens,
und – weil die Zeit immer zum Lachen führt –
der mich immer öfter lachen lässt.

Ja. Aufglimmen, Lachen.
Und ich bin immer wieder ein Moment. (Ein kämpferischer ist immer da.) Bis zum Ende.

Weil in zehn Tagen einer 60 wird, der lange vor seinem 50. Geburtstag starb:

Du weißt, ich glaub nicht dran,
dass Du das jetzt hier liest.
Du weißt, du glaubtest nicht dran,
dass Du das jetzt hier liest.
Ich schreibe das hier jetzt,
weil ich dich liebe, aber nie etwas glaubte.